Autor: cartmanDE (---.du.gtn.com)
Datum: 31.03.01 16:04
Zum bessern Verständnis der Problematik:
Das sogen. Lübecker Gutachten
Jz. - 713 Js 16817/90 StA Lübeck -
- 2 Ns (Kl. 167/90) -
Alkohol und Nikotin sind sowohl für den Einzelnen als auch gesamtgesellschaftlich evident gefährlicher als Cannabisprodukte.
Aus Gründen der Vereinfachung beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf das Verhältnis des Genusses von
Alkohol und Cannabisprodukten. Sie gelten aber auch entsprechend für das Verhältnis von Cannabisprodukten zum Nikotin.
Diese Auffassung der Kammer beruht auf den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen deren Meinungen sich die
Kammer angeschlossen hat. Die Kammer hat die Sachverständigen Herrn Dr. Barchewitz und Herrn Prof. Dr. Dominiak
gehört. Herr Dr. Barchewitz ist Facharzt für Psychiatrie und seit 15 Jahren im Therapiebereich tätig. Zwei Drittel seiner
fachlichen Tätigkeit hat er in Suchtkliniken zugebracht. Er hat auch fünf Jahre im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie
gearbeitet. Seit 1986 ist er Leiter der Fachklinik für Suchtkrankheiten (Holstein-Klinik in Lübeck). Dort befinden sich
überwiegend alkohol- und medikamentenabhängige aber auch anderweit drogensüchtige Personen. Herr Dr. Barchewitz
verfügt auch über erhebliche Erfahrungen mit Drogenabhängigen. Diese gründen sich auf seine Erfahrungen während seiner
gesamten beruflichen Tätigkeit. Der Sachverständige Prof. Dr. Dominiak ist Facharzt für Pharmakologie und Toxikologie
sowie für klinische Pharmakologie. Er ist Direktor des Instituts für Pharmakologie der Medizinischen Universität zu Lübeck
und hat sich insbesondere in jüngster Zeit intensiv mit Wirkungen von Rauschgiften auseinandergesetzt und beschäftigt. Er hat
im Dezember 1991 auf einem Fachkongress von Rechtsmedizinern in Lübeck ein umfassendes Referat zu den toxischen und
pharmakologischen Wirkungsweisen von Drogen (auch der Cannabisprodukte) gehalten und dabei die neusten
wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet analysiert und aufgearbeitet.
Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen und unter Berücksichtigung vielfältiger, allgemein zugänglicher Literatur, die
mit den Sachverständigen und den Prozessbeteiligten im Termin erörtert worden ist, ist die Kammer zusammenfassend zur
Frage der Gefährlichkeit von Alkohol und Cannabisprodukten zu folgenden Feststellungen gekommen:
Die körperlichen Auswirkungen übermässigen Alkoholkonsums erreichen fast alle Organe und Organsysteme und
können diese schwer schädigen oder sogar zerstören, während Cannabisprodukte nur geringfügige körperliche
Wirkungen herbeiführen.
Nach dem Absetzen von Alkohol treten bei Alkoholabhängigen schwere körperliche Entzugserscheinungen auf,
während bei Cannabisprodukten praktisch keine körperlichen Entzugserscheinungen beobachtet werden.
übermässiger Alkoholkonsum kann schwere psychische Schäden bewirken, während bei Cannabisprodukten keine
gravierenden psychischen Störungen zu erwarten sind und allenfalls mit einer geringfügigen psychischen Abhängigkeit
gerechnet werden muss.
In der Bundesrepublik gibt es eine Vielzahl von Verbänden, speziellen Krankenhäusern und speziellen Therapien, die
sich mit Alkoholerkrankungen und Alkoholabhängigkeiten beschäftigen, während es weder eine spezielle Therapie für
Cannabiskonsumenten noch spezielle Krankenhäuser oder Verbände gibt, die sich um Cannabiskonsumenten
kümmern.
In der Bundesrepublik einschliesslich der neuen Bundesländer wird die Anzahl der Alkoholtoten auf 40.000 im Jahr
geschätzt, während kein Fall (auch weltweit) bekannt ist, bei dem der Tod einer Person auf übermässigen Konsum von
Haschisch zurückzuführen ist. Es gibt keine letale Dosis für Haschisch.
Die wirtschaftlichen Folgekosten aufgrund des Alkoholkonsums werden in der Bundesrepublik auf jährlich 50
Milliarden DM geschätzt, während bei Cannabisprodukten entsprechende Zahlen nicht existieren.
Der Alkoholkonsum hat erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsplatz (Arbeitsunfälle, Kündigungen, Krankheitsfälle,
Einstellungen von Suchtberatern), während bei Cannabisprodukten entsprechende Beobachtungen und Schätzungen
nicht existieren.
Der Anteil von tödlichen Unfällen, die im Zusammenhang mit Alkohol stehen, wird in der Bundesrepublik auf 5O %
geschätzt und die Zahl der Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss mit Personenschäden auf gut 30.000 pro Jahr,
während bei Cannabisprodukten auf keine entsprechenden Beobachtungen oder Schätzungen zurückge-
Nach der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes aus dem Jahre 1990 wurden in diesem Zeitraum mehr
als 140.000 Tatverdächtige (knapp 10 % aller Tatverdächtigen) registriert, die nach polizeilichem Erkenntnisstand bei
der Tatausführung unter Alkoholeinfluss standen. Im Bereich der Gewaltdelikte (z.B. Totschlag, Vergewaltigung,
Sexualmord) liegt der Anteil der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss über 36 %, während bei Cannabisprodukten
entsprechende statistische Erhebungen nicht durchgeführt werden.
Im einzelnen ist hierzu folgendes auszuführen:
Wirkungsweisen des Alkohols:
Körperliche und psychische Auswirkungen
aa.)
Alkoholintoxikationen reichen von leichter Gehstörung, starker Gehstörung, Reflexlosigkeit bis zur
Bewusstlosigkeit und Kreislaufinsuffizienz,
bb.)
Leichte Alkoholräusche (0,5 - 1,5) sind gekennzeichnet durch Herabsetzung der psychomotorischen
Leistungsfähigkeit, allgemeine Enthemmung, Beeinträchtigung der Fähigkeit kritischer Selbstkontrolle;
mittelgradige Räusche (1,5 - 2,5) durch euphorische Glückstimmung oder aggressive Gereiztheit,
Verminderung der Selbstkritik, Enthemmung, Benommenheit, Psychomotorischer Unsicherheit,
unreflektierter Bestrebung, triebhafte Bedürfnisse zu befriedigen, Fehlen zielgerichteter Konstanz und
Bereitschaft zu primitiven, vorwiegend explosiven Reaktionsweisen; schwere Rauschzustände (über 2,5)
durch Bewusstseinsstörungen und Verlust realen Situationsbezuges, Desorientiertheit. illusionäre situative
Verkennung, motivlose Angst, Gleichgewichtsstörungen hin bis zur Ataxie, Dysarthrie und Schwindel,
Schädel-Hirn-Trauma, evtl. mit komplizierender intrakranieller Blutung.
cc.)
Die neüre Alkoholforschung lässt zehn psychopathologische Syndrome erkennen, die einzeln oder in
verschiedenen Verbindungen auftreten (Störungen des Bewusstseins und der Motorik, Störungen der
Orientierung, paranoid-halluzinatorisches Syndrom, manisches, gereizt-aggressives, depressives Syndrom,
Angstsyndrom, Suizidalität, sexuelle Erregung, amnestisches Syndrom).
dd.)
Das Alkoholentzugssyndrom wirkt sich internistisch, vegetativ, neurologisch und psychisch aus.
ee.)
Es gibt kaum ein Organsystem, an dem nicht Syndrome oder Krankheiten gefunden wurden, die nicht mit
dem Alkoholismus ursächlich in Verbindung zu bringen sind: z.B. Fettleber, chronische Lungenerkrankung,
Traumata, Bluthochdruck, Mangelernährung, Anämie, Gastritis, Knochenbrüche, Hiatushernie,
Leberzirrhose, Magen-Darm-Geschwüre, chronischer Hirnschaden, Fettsucht, Herzkrankheiten,
gastrointestinale Blutung, epileptische Anfälle, Diabetes, Harnwegsinfekt.
ff .)
Die alkoholische Leberzirrhose ist eine relativ häufige Erkrankung bei fortgeschrittenem Alkoholmissbrauch.
30-50 % aller Leberzirrhosen sind auf den Missbrauch zurückzuführen. Beschwerden sind Appetitlosigkeit,
Müdigkeit, Depressivität. Es kommt gelegentlich zu Hautveränderungen. Die Haut ist pergamentpapierartig
verdünnt und zeigt weisse Flecken. Körperbehaarung und Schambehaarung lässt nach. Potenz und Libido
vermindern sich. Der schwere, alkoholbedingte Leberschaden führt über tiefere Bewusstseinstrübung zum
Koma.
gg.)
Alkoholiker neigen zu mehr Infektionen der Luftwege.
hh.)
Die akute Alkoholintoxikation, besonders bei chronischen Alkoholikern, löst typische
Knochenmarksveränderungen aus und stört somit das Immunsystem.
ii.)
Alkohol wirkt auf die Muskeln in der Weise, daß die Muskulatur schwillt, stark druckempfindlich und
krampfanfällig ist.
jj .)
Alkoholismus verändert das Gehirn morphologisch und funktionell mit der weiteren Folge psychischer
Veränderungen. 3 - 5 % der Alkolholiker werden vom sogenannten Wernicke-Korsakow-Syndrom
befallen, das durch folgende Störungen gekennzeichnet ist:
Verlust des Altgedächtnisses, regelmässig verbunden mit der Unfähigkeit, sich neue
Gedächtnisinhalte einzuprägen;
verminderte Fähigkeit der Reproduktion von Gedächtnisinhalten;
eindeutige Verschlechterung der Auffassungsfähigkeit;
Verminderung der Spontanität und Initiative;
Störungen der Konzentrationsfähigkeit, der räumlichen Organisation und der visüllen und verbalen
Abstraktion.
kk.)
20 - 40 % aller Alkoholiker leiden an Polyneuropathie, die mit schmerzhaften Missempfindungen,
Kribbelparästhesien und Taubheitsgefühl beginnt. Danach kommt es zu ziehenden, brennenden und
stechenden Muskelschmerzen mit Krämpfen und Muskelschwäche.
ll.)
Tremorerscheinungen sind bei Alkoholikern sehr häufig. Sie sind anfangs reversibel, später nicht. Das
Leiden beginnt als feinschlägiger Tremor. Er setzt an den Händen ein, der sich später ausbreitet auf Zunge,
Lippen, Augenlider, Kopf und Füsse.
mm.)
Es gibt eine sogenannte Alkoholepilepsie bei chronischen Alkholikern, die früher keine latente
Krampfbereitschaft aufgewiesen haben
nn.)
Das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden, ist bei Männern mit einem hohen Alkoholkonsum um mehr als
das Vierfache höher als bei Abstinenten oder bei geringem Konsum.
oo.)
Das sogenannte Alkoholdelir ist gekennzeichnet von Desorientiertheit in örtlicher, zeitlicher und situativer
Hinsicht. Es bestehen Auffassungsstörungen und illusionäre Verkennungen. Die Wahrnehmungsstörungen
können zu einer gesteigerten Suggestibilität und Konfabulationen führen. Die Stimmung ist schwankend,
gekennzeichnet durch Angst, Reizbarkeit und durch eine gewisse Euphorie. Typisch ist psychomotorische
Unruhe mit nestelnden Bewegungen und Bettflüchtigkeit.
pp.)
Beim Alkoholiker gibt es verstärkt Eifersuchtsideen und Eifersuchtswahn.
qq.)
Alkoholmissbrauch vor und während der Schwangerschaft kann schwere Schädigungen des Embryos
verursachen. Für die Bundesrepublik wird eine jährliche Rate der Alkoholembryopathie von 1800
geschätzt. Deren wichtigsten Symptome sind Wachstumsdefizit, Minderwuchs, Untergewicht,
statomotorische und geistige Retardierung, Hyperaktivität, Muskelhypotonie, verkürzter Nasenrücken,
schmale Lippen, auch Missbildungen.
Gesellschaftliche Auswirkungen
aa.)
Anzahl der Alkoholabhängigen
Die Anzahl der Alkoholabhängigen wird in der Bundesrepublik bei einer Geschlechterrelation
von 1 (weiblich) zu 2 (männlich) auf 2,5 Millionen geschätzt.
bb.)
Wirtschaftliche Folgekosten
Die gesamtwirtschaftlichen Folgekosten des Alkoholkonsums werden mit ca. 50 Mrd DM
angegeben (vgl. H.H. Kornhuber, in Sonderdruck "Deutsches Ärzteblatt" - ärztliche
Mitteilungen, Heft 19 Seite 1347 bis 1362 vom 12. Mai 1988, im Sonderdruck Seite 2).
cc.)
Auswirkungen auf dem Arbeitsplatz
25 % aller Arbeitsunfälle in der Bundesrepublik sind auf Alkohol zurückzuführen. Bei jeder 6.
Kündigung geht es um Alkohol, Alkoholkranke sind 2,5 mal häufiger krank als andere
Mitarbeiter. In über 800 Betrieben und Behörden werden schon Suchtberater eingesetzt (vgl.
Jahrbuch der Sucht 1991, Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren, Seite 29).
dd.)
Auswirkungen im Strassenverkehr
Unter Berücksichtigung von Dunkelzifferrelationen wird der Anteil von tödlichen Unfällen, die im
Zusammenhang mit Alkohol stehen, auf 5O % geschätzt (vgl. Stephan in Jahrbuch der Sucht
1991, a.a.O., Seite 106, 107). Die Zahl der Verkehrsunfälle unter Alkoholeinfluss mit
Personenschaden wird auf gut 30.000 pro Jahr geschätzt.
ee.)
Alkoholtote
Die Zahl der Alkoholtoten wird in Deutschland einschliesslich der neün Bundesländer mit ca.
40.000 jährlich angegeben.
ff.)
Auswirkungen auf strafbare Handlungen
Nach der polizeilichen Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes aus dem Jahre 1990 wurden
in diesem Zeitraum 141.180 Tatverdächtige (= 9,8 % aller Tatverdächtigen) registriert, die nach
polizeilichem Erkenntnisstand bei der Tatausführung unter Alkoholeinfluss standen (vgl.
Polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes 1990, Seite 85). Die Wirkung des
Alkohols, die Gewaltbereitschaft zu erhöhen, wird besonders deutlich, wenn der Anteil der
Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss in bestimmten von Gewalt geprägten Deliktsgruppen
untersucht wird. So betrug der Anteil der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss bei "Widerstand
gegen die Staatsgewalt" 63,3 %. Bei anderen Gewaltdelikten ergeben sich folgende Zahlen:
Totschlag: 47,4 %
Körperverletzung mit tödlichem Ausgang: 41,4 %
Vergewaltigung: 36,6 %
Vergewaltigung überfallartig durch Gruppen: 50 %
gefährliche und schwere Körperverletzung: 33,9 %
Mord: 29,1 %
Sexualmord: 46,7 %
vorsätzliche Brandstiftung: 29,1 %
sexuelle Nötigung: 28 %
(vgl. Polizeiliche Kriminalstatistik, a.a.O., Seite 85).
Diesen katastrophalen und verheerenden Wirkungen individueller und gesamtgesellschaftlicher Art stehen
folgende Wirkungen des Haschischkonsums gegenüber:
Wirkungsweisen der Cannabisprodukte:
Allgemeine Wirkungen
Zu den allgemeinen Eigenschaften der Droge hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
Der Hauptwirkstoff der Cannabisprodukte ist das THC, genauer das Tetrahydrocannabinol, Das THC wird im natürlichen
Cannabis durch eine Fülle weiterer Wirk- und Duftstoffe ergänzt. Unter den 60 weiteren Cannabinoiden ragen hervor das
Cannabidiol (CBD), das beruhigend (sedativ) wirkt, gelegentlich auch für Kopfschmerzen sorgen, aber auch die
THC-Wirkung verlängern soll, sowie das Cannabinol (CBN), ein Abbauprodukt des THC (vgl. Qünsel in: "Drogen und
Drogenpolitik", Ein Handbuch, herausgegeben von Sebastian Scheerer u. Irmgard Vogt, Campus 1989, Seite 380 m.w.N.).
Cannabis wird bei uns üblicherweise geraucht und zwar meist zusammen mit Tabak als "Joint" oder aber in der Pfeife. Neben
der in der Forschung häufigeren Injektion und dem Einatmen von Cannabisdampf, kann man Cannabis auch als "Tee" trinken
oder aufgelöst im Tee, als Gewürz im Essen, aber auch als Gebäck zu sich nehmen (vgl. Qünsel, Drogen und Drogenpolitik,
a.a.O., Seite 380). Das THC wird über die Schleimhäute aufgenommen und im Körper zu "Metaboliten" verwandelt. Seine
Wirkung tritt beim Rauchen so rasch ein, dass die Dosishöhe meist relativ einfach zu regulieren ist; beim Essen und Trinken
verzögert der Umweg über die Leber die Wirkung mitunter über eine Stunde, weswegen Anfänger aus Ungeduld leicht zu
hohe Dosen einnehmen, Mit einer THC-Dosis von 2-10 mg beim Rauchen und etwa der dreifachen Menge beim Essen und
Trinken, das ist nach THC-Gehalt etwa 0,5 bis 1 Gramm Haschisch, erreicht man eine Wirkungsdauer von etwa 1 - 4
Stunden (vgl. Qünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.0., Seite 381). Die kurz- wie langfristige Wirkung des Cannabis hängt
-wie bei vielen anderen Drogen- ebenso davon ab, wieviel und wie häufig man es konsumiert, wie auch davon, in welchem
"Set und Setting" dies geschieht, wobei alle Faktoren von einander abhängig sind. Dabei hängen Art und Weise des Erlebens
von Cannabisprodukten in besonderer Weise vom "Set und Setting" ab, also von der Situation, in der man Cannabis einnimmt,
vom eigenen persönlichen Zustand wie von der sozialen Umgebung, von den eigenen Ängsten und Hoffnungen und den in der
Gruppe wie in der umfassenderen Kultur mit diesem Genuss verbundenen Erwartungen (vgl. hierzu Qünsel, Drogenelend,
Campus 1982, Seite 76). Die Effekte, die mit der Einnahme von Cannabisprodukten verbunden sind, lassen sich sozial
erlernen, wobei die Erwartungshaltung eine grosse Rolle spielt (vgl. Qünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 381). Bei
stärkerer Dosis, also insbesondere beim Trinken oder Essen oder bei der Verwendung von Haschischöl, sind eindeutigere
halluzinogene Effekte zu erwarten (vgl. Qünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 382). Nicht nur das Ausmass der
Dosis -etwa die Art und Weise, wie man einen "Joint" füllt- und Inhalte des Erlebens sind soziokulturell erlernt, sondern auch
die Häufigkeit des Konsums, was als leichter bzw. schwerer Gebrauch gilt, zu welcher Gelegenheit man Cannabis konsumiert
und wann man damit aufhören soll (vgl. Oünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.0., Seite 382).
Die psychischen Wirkungen beschreibt Binder (Haschisch und Marihuana, Deutsches ärzteblatt 1981, Seite 120) wie
folgt:"Nach dem Rauchen von 1 Gramm Marihuana entsteht ein etwa drei Stunden daürnder Rauschzustand, der durch ein
Gefühl von Losgelöstheit charakterisiert ist, das eine meditative Versenkung oder eine Hingabe an sensorische Stimuli erlaubt.
Der Zustand ist im allgemeinen frei von optischen und akustischen Halluzinationen, die beim vier- bis fünffachen dieser Dosis
auftreten können. Subjektiv gesteigert wird die Gefühlsintensität beim Hören von Musik, beim Betrachten von Bildern, bei
Essen und Trinken und bei sexüller Aktivität. Der Rausch ist zweiphasig und geht nach der Anregungsphase in eine milde
Sedierung über. Bei der genannten Dosierung dominiert eine passive euphorische Bewusstseinslage, bei höherer Dosierung
kann es zu paranoiden Vorstellungen und Dysphorie kommen.... Die Droge führt kaum zu Toleranzbildung und die
Konsumenten kommen über Jahre ohne Dosissteigerung aus."Cannabis besass bis in dieses Jahrhundert auch bei uns eine
medizinische Bedeutung. Weltweit galt es stets als wichtiger Bestandteil der Volksmedizin (vgl. Oünsel, Drogen und
Drogenpolitik, a.a.O., Seite 382 m.w.N.). In neuerer Zeit untersucht man die Wirkungen von Cannabis bei Glaukomen zur
Verminderung des Augeninnendrucks, bei spastischen Krämpfen und Epilepsie sowie bei Asthma und Anorexia nervosa. Eine
ganz besondere Bedeutung gewann es als Mittel gegen den Brechreiz bei Anti-Krebs-Mitteln. In den USA hat man deshalb
500 Krankenhäusern THC zur Bekämpfung dieses Erbrechens praktisch freigegeben und in 23 Staaten diese Behandlung
dem Ermessen jedes Arztes überlassen (vgl. Oünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 382 m.w.N.).
Ein Blick auf Umfragedaten belegt, dass vornehmlich jüngere Menschen Cannabis konsumieren. Sie tun dies, um ihre
Stimmung zu heben (34 %), um den Alltag zu vergessen (28 %), weil man sich entspannt (25 %), Hemmungen überwindet (24
%), intensiver hört und sieht (19 %), und weil man leichter Kontakt züinander bekommt (17 %) (vgl. Qünsel, Drogenelend,
a.a.O., Seite 76 m w.N.).
Körperliche und psychische Auswirkungen
aa.)
Körperliche Auswirkungen
Die körperlichen Auswirkungen des Cannabisgebrauches sind relativ gering. Herz und Kreislauf
werden nicht beeinträchtigt, wenn auch der Puls aktiviert wird. Aus diesem Grunde besteht bei
Personen mit Kreislaufschäden Anlass, mit dem Gebrauch von Cannabis vorsichtig umzugehen.
Wissenschaftliche Beweise dafür, dass der Konsum von Cannabis sowohl bei der Fortpflanzung
als auch im Immunsystem Schäden hervorruft, sind bislang nicht vorgelegt worden. Der
Sachverständige Prof. Dr. Dominiak hat darauf verwiesen, dass es zwar in Tierversuchen
Hinweise für solche Wirkungen gebe, er hat jedoch eine übertragung der im Tierversuch
gewonnenen Erkenntnisse auf den menschlichen Organismus abgelehnt. Zur Begründung hat er
angeführt dass der tierische Organismus häufig in ganz anderer Weise reagiere als der Mensch.
Darüber hinaus werde gerade bei den typischen kleinen Säugetieren mit Dosen gearbeitet, die
knapp unterhalb der bei Menschen praktisch nicht erreichbaren Todesdosis liegen. Schliesslich
fehle bei den Labor- wie Tierversuchen der Blindversuch, nachdem der Auswertende nicht
wissen darf, welches Objekt Cannabis erhielt und welches nicht (vgl. hierzu Qünsel, Drogen und
Drogenpolitik, a.a.O., S. 385).
Darüber hinaus kann das Rauchen von Cannabis zu Lungenschäden führen. Dieser mögliche
Schaden ist jedoch im Vergleich mit dem Schaden, der durch das Rauchen selbst verursacht
wird, eher zweitrangig. Da Haschisch aber auch in anderer Form konsumiert werden kann (durch
Trinken im Tee; durch Essen im Kuchen) ist diese mögliche Schädigung der Lunge kein
spezifisches Risiko des Cannabiskonsums.
bb.)
Psychologische Auswirkungen
Es gibt derzeit keinen Beweis für den Abbau zerebraler Funktionen und Intelligenzleistungen
durch chronischen Cannabisgebrauch. Jedoch ist die zur Intelligenzleistung notwendige Funktion
des Kurzzeitgedächtnisses unter Einfluss von Cannabis reduziert (vgl. Schönhöfer, Die
Pharmakologie der Cannabis-Wirkstoffe, in Arzneimittelforschung 23, 1973, Seite 55).
Es gibt auch keinen medizinischen Hinweis, dass der Cannabiskonsum originär Psychosen
hervorruft. Der Sachverständige Dr. Barchewitz hat ausgeführt, daß der Cannabiskonsum
allenfalls eine bereits vorhandene Psychose zum Ausbruch bringen kann. Diese lediglich
auslösende Funktion können auch andere Rauschmittel oder entsprechende Medikamente
hervorrufen. Die eigentliche Schädigung in der Psyche hat nach den Angaben des
Sachverständigen jedoch bereits vorher stattgefunden. Zu diesen Angaben des Sachverständigen
passt auch die bei Qünsel (vgl. Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 387) getroffene
Feststellung: "Zur Zeit gibt es keine zureichenden Gründe, die dafür sprechen, dass eine
Cannabis-Psychose als besonderer klinischer Befund existiert".
Der Sachverständige Dr. Barchewitz hat auf entsprechenden Vorhalt diese Aussage bestätigt. Die
Beweisaufnahme hat auch ergeben, dass das sogenannte "amotivationale Syndrom" keine
spezifische Folge des Cannabis-Konsums ist. Bei dem "amotivationalen Syndrom" handelt es sich
um ein durch "Apathie, Passivität und Euphorie gekennzeichnetes Zustandsbild". Der
Sachverständige hat in übereinstimmung mit Schönhöfer (vgl. a.a.O., Seite 55) ausgeführt, dass es
nicht möglich sei, eine kausale Beziehung zwischen dem Cannabisgebrauch und dem
"amotivationalen Syndrom" herzustellen. Schönhöfer hält hier vielmehr einen Umkehrschluss für
zulässig. Nach seiner Meinung machen die Elemente des ämotivationalen Syndroms" erst das
Rauscherlebnis des Cannabiskonsums interessant und bedingen somit diesen Konsum (vgl.
Schönhöfer, a.a.O., S. 55).
Auf diese Zusammenhänge hat auch der Sachverständige Dr. Barchewitz auf entsprechenden
Vorhalt hingewiesen. Dies entspricht auch den Untersuchungen, auf die Qünsel (Drogen und
Drogenpolitik, a.a.O., Seite 388) verweist. In empirischen Untersuchungen ist nachgewiesen
worden, dass Cannabiskonsumenten "weniger sorgfältig, weniger diszipliniert und nicht so
strebsam" sind wie eine Kontrollgruppe, "was sich auch darin zeigt, dass sie signifikant weniger
nach Erfolg strebt". Jedoch seien auch potentielle Konsumenten, die nicht strikt gegen Cannabis
eingestellt gewesen seien, aber noch kein Cannabis konsumiert hätten, signifikant weniger
karriere-orientiert... als die Antikonsumenten". Oünsel kommt daher zu der Auffassung, dass
Cannabis eingebunden in einen grösseren Lebensstil sei, der schon vor dem Konsum vorhanden
gewesen sei und deswegen allenfalls als Symptom, jedoch nicht als dessen Ursache zu begreifen
sei.
Zusammenfassend lassen sich deswegen die Befunde zum psychischen Bereich wie folgt
beschreiben:
Nach derzeitigem Wissensstand sind keine gravierenden Störungen zu erwarten, wenn
auch Personen mit Neigungen zu psychischen Störungen ebenso auf Cannabis
verzichten sollten wie diejenigen, die sich damit sozial unerträglichen Situationen
entziehen wollen.
cc.)
Körperliche Abhängigkeit
Körperliche Entzugserscheinungen sind bei Cannabis -anders als bei Alkohol und harten Drogen-
praktisch nicht zu beobachten. Der Sachverständige Prof. Dr. Dominiak hat hierzu ausgeführt,
dass allenfalls -vergleichbar wie beim Absetzen der täglichen Kaffeedosis- leichte
Schlafstörungen, Irritierbarkeit und innere Unruhe auftreten können. Auch seien
Dosissteigerungen aus physiologischen Gründen nicht festzustellen. Vielfach ist sogar beobachtet
worden, dass erfahrene Konsumenten weniger Cannabis brauchen, um "high" zu werden als
Anfänger (vgl. Qünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., Seite 389 m.w.N.). Die
Sachverständigen haben darüber hinaus ausgeführt, dass allenfalls eine leichte psychische
Abhängigkeit vorhanden sei. Diese sei aber nicht. anders einzustufen, als die, die beim täglichen
Kaffeetrinken entstehe. Qünsel (Drogen und Drogenpoltik, a.a.O., Seite 389) führt hierzu
folgendes aus: "Eine Vorstellung von diesen Schwierigkeiten kann man gewinnen, wenn man an
das eigene abendliche Glas Bier denkt, an den üblichen Morgenkaffee oder an die Leere, die
entsteht, wenn man das Rauchen aufgibt -dieselbe Leere überfällt uns, wenn der Fernseher
repariert werden muss, die Tageszeitung wegen Streiks fehlt, die Prüfung bestanden ist oder bei
Arbeitslosigkeit oder Verrentung der alltägliche Arbeitstrott ausfällt."
dd.)
Tödliche Dosis
Bei dem Cannabiskonsum gibt es im Gegensatz ,zum Alkohol, Nikotin und harten Drogenkonsum
keine wissenschaftlich ermittelte letale (= tödliche) Dosis. Todesfälle die auf exzessiven Konsum
zurückzuführen sind, sind bei Haschisch nicht bekannt.
Gesellschaftliche Auswirkungen
aa.)
Anzahl der Haschischkonsumenten
Die Gesamtzahl der Konsumenten ist nicht bekannt. Die Angaben hierüber schwanken. Körner
geht in seinem Kommentar zum Betäubungsmittelgesetz unter Berufung auf die Zeitschrift
Suchtreport 1988, Heft 2 von ca. 3 bis 4 Mio Cannabisabhängigen aus (vgl.. Körner a.a.O.,
Einleitung Seite 9). In der Auskunft des Bundesgesundheitsamtes vom 21. Dezember 1990 wird
eine Zahl von mehreren Hunderttausend und 1 bis 2 Mio angegeben. Der Drogenexperte Berndt
Georg Thamm schätzt in seinem Buch "Drogenfreigabe-Kapitulation oder Ausweg ?" (Verlag
Deutsche Polizeiliteratur GmbH, 1989) für die Bundesrepublik eine Anzahl von über 2 Mio.
Konsumenten von Cannabisprodukten (vgl. Thamm, a.a.O., Seite 232).
bb.)
Haschischtherapie
Es gibt keine spezielle Haschischtherapie und auch keine therapeutische Einrichtung für
Haschischkonsumenten. Dort wo Haschischkonsumenten einer psychologischen oder
psychiatrischen Behandlung bedürfen, ist nach den Darlegungen des
Sachverständigen Dr. Barchewitz der Haschischkonsum nicht die Ursache. Vielmehr steckt
dahinter ein persönliches Problem. Ist dies behoben, dann schwindet auch das Bedürfnis zum
Konsum, da dieser körperlich nicht bedingt ist.
cc.)
Auswirkungen auf strafbare Handlungen
Im Gegensatz zum Alkohol und zu den sogenannten harten Drogen wird die polizeiliche
Kriminalstatistik nicht unter dem Gesichtspunkt geführt, ob der Tatverdächtige die Tat unter dem
Einwirken von Cannabiskonsum begangen hat. Es. gibt in der polizeilichen Kriminalstatistik
hierzu keine statistischen Erhebungen. Daraus lässt sich entnehmen, dass dies für die Begehung
von Straftaten kein relevanter Faktor ist. Dies verdient besondere Hervorhebung im Verhältnis
zum Alkohol, weil der Alkohol häufig eine stimulierende Wirkung hat, die insbesondere die
Bereitschaft zu Gewalttätigkeiten fördert.
Haschisch hat eine im Grundsatz umgekehrte Wirkungsweise. Der Konsum von Haschisch führt
zu einer Hinwendung nach innen und begleitend dazu zu einem Rückzug von der äusseren
sozialen Realität Dabei hat die Einnahme von Haschisch nach den Ausführungen der
Sachverständigen regelmässig eine mehr beruhigende und einschläfernde Wirkung. Allerdings sei
davon auszugehen, dass sich insbesondere diese Eigenschaften im Strassenverkehr nachteilig
bemerkbar machen könnten.
ff.)
Einstiegsdroge
Im Gegensatz zu den Motiven des Gesetzgebers bei der Neufassung des
Betäubungsmittelgesetzes im Jahre 1971 steht zur überzeugung der Kammer nach den
Ausführungen der Sachverständigen und der dabei erörterten und vorgehaltenen Literatur fest,
dass Haschisch keine "Einstiegsdroge" für härtere Drogen ist und auch keine
Schrittmacherfunktion entfaltet.
Die Sachverständigen haben in Übereinstimmung mit der Auskunft des Bundesgesundheitsamtes
zunächst festgestellt, dass es keinen medizinischen und biologischen Auslöser für die Behauptung
gibt, dass Konsumenten sogenannter weicher Drogen auf harte Drogen umsteigen.
Das Schweizer Bundesgericht hat sich in seinem Entscheid vom 29. August 1991 (vgl.
Strafverteidiger, 1992, Seite 18 ff.) mit der angeblichen Gefährlichkeit von Cannabisprodukten
auseinandergesetzt und dabei auch zur Einstiegstheorie bzw. zur Umsteigegefahr Stellung
genommen. Dabei hat es den Sachverständigen Prof. Kind zitiert, der dargelegt hat, dass diese
Behauptung (Einstiegsdroge) heute eindeutig widerlegt sei. Abschliessend heisst es in der
Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts: "Der Gebrauch von Cannabis führt ferner
keineswegs zwangsläufig zu jenem gefährlicherer Stoffe; nach neuesten Schätzungen greifen
insgesamt etwa 5 % aller Jugendlichen, die Erfahrung mit Cannabis haben, zu härteren Drogen
(Geschwinde, a.a.O., Seite 44 N 166)." Auch Körner lehnt in seinem Kommentar zum
Betäubungsmittelgesetz die Theorie von Haschisch als Einstiegsdroge ab. Es helsst dort (a.a.O.,
Anhang C 1, Seite 1070): "Die Theorie von Haschisch als Einstiegsdroge ist kein überzeugendes
Argument, weil der Weg zum Heroin ebenso häufig über Alkohol und Tablettenkonsum verläuft,
ohne dass deshalb ein Verbot von Alkohol oder Tabletten zu fordern wäre." Die Kammer lehnt
daher in Übereinstimmung mit den Sachverständigen und den vorstehenden zitierten Autoren die
Theorie von der "Einstiegsdroge" ab. Die Theorie von der sogenannten Einstiegsdroge wird von
der (unzutreffenden) Denkschablone getragen, dass aus der Verwendung der Droge ein Drang
nach Dosissteigerung logisch folge und dieser von der leichten zur starken Dosis führen müsse
(vgl. hierzu Qünsel, Drogen und Drogenpoli- tik, a.a.O., Seite 391). Dabei wird übersehen und
unberücksichtigt gelassen, ob die Drogen in ihrer Wirkung miteinander vergleichbar sind und
dass dann doch der leichte und beliebig steigerbare Alkoholkonsum als Alternative viel näher
liegt (vgl. Qünsel, Drogen und Drogenpolitik, a.a.O., S. 391).
Es wurde bereits darauf verwiesen, dass der Cannabiskonsum in seiner Zielrichtung eine mehr,
beruhigende und sedierende Wirkung hat, während zum Beispiel die Drogen Kokain und Heroin
stark euphorisierende Auswirkungen haben. Diese Drogen stellen daher von ihrer
Wirkungsweise keine Steigerung der Cannabisprodukte dar, sondern haben eine vielmehr
entgegengesetzte, dem Alkohol ähnliche Wirkung.
Deshalb fehlt es schon an einer den Umstieg tragenden subjektiven Zielvorstellung, die darauf
angelegt ist, die Wirkungsweise des bisherigen Rauschmittels zu steigern.
Darüber hinaus führt gerade der Konsum von Haschisch -wie bereits dargelegt- nicht zu einer
Toleranzausbildung, die nach immer stärkeren Dosen drängt. Im Gegenteil: haschischgewöhnte
Konsumenten werden regelmässig mit einer niedrigeren Dosis "high" als Anfänger (vgl. oben S.
30). Darüber hinaus wird der Versuch unternommen, die Umstiegstheorie statistisch wie folgt zu
begründen (vgl. dazu Täschner, Das Cannabis-Problem 1979, Seite 169; zitiert nach Kreuzer,
NJW 1982. Seite 1311): "untersucht man andererseits aber klinisch-stationär behandelte
Drogenabhängige, meist Heroinsüchtige oder Polytoxikomane, so stellt man fest, dass sie ihre
Drogenkarriere zu 98 bis 100 % mit Haschisch begonnen hatten." Kreuzer verweist in seinem
Aufsatz auf Untersuchungen von Prof. Keub, wonach diese Theorie in den USA sschon längst
tot war, als -scil. bei uns- die Drogenwelle 1968 begann". Kreuzer führt weiterhin aus, dass Prof.
Keub in einer Studie nachgewiesen habe, dass Alkohol die Haupteinstiegsdroge sei und dass bei
einem Drogenkongress in Wien alle anwesenden Experten verschiedener Disziplinen die
Einstiegstheorie verworfen hätten (vgl. Kreuzer, a.a.O., Seite 1311 Fussnote 9). Kreuzer führt in
seinem Aufsatz auch weitere Untersuchungen an, die für deutsche Verhältnisse die Unhaltbarkeit
der Einstiegstheorie ergeben hätten (vgl. Kreuzer, a.a.O., Seite 1311 Fussnote 10).
Darüber hinaus lässt sich die Einstiegstheorie auch anhand der statistischen Zahlen über die
geschätzten Drogenabhängigen widerlegen. Der Pharmakologe Schönhöfer hat in seinem Aufsatz
(a.a.O., Seite 54) die Umsteigetheorie an Zahlen, die für Amerika gelten, überprüft. Wörtlich
heisst es: "Der Direktor des "Natonal Institute of Mental Health" schätzte in einem Hearing vor
dem "Subcommittee to Investigate Juvenile Delinqüncy" am 17. September 1969 die Zahl der
Jugendlichen Marihuana-Konsumenten in USA auf 8 bis 12 Mio. Im Mai und Oktober des
gleichen Jahres veröffentlichte die "Washington Post" Gallup-Umfragen, die die Zahl der
Marihuana-Konsumenten mit rund 10 Mio angaben. Nach der hier in der Bundesrepublik
üblichen Umsteigertheorie müssten also heute rund 30 % dieser Menschen, mithin also 3
Millionen Heroinsüchtige sein. Das ist nicht der Fall. Die Zahl der Heroinsüchtigen in den USA
liegt bei 200.000 mit einer geschätzten Dunkelziffer gleicher Grösse, also insgesamt bei 400.000.
Das sind zwischen zwei bis vier, rund also höchstens 5 % der Marihuana-Konsumenten." Diese
Zahlen belegen, dass ein Umstieg nur in geringem Umfange stattfindet. Sie entsprechen den
Zahlen, die das Schweizer Bundesgericht zugrunde gelegt hat, und die auch auf die
Bundesrepublik zutreffen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Barchewitz ist
davon auszugehen, dass es in der Bundesrepublik ca. 100.000 Drogenabhängige gibt, die
sogenannte harte Drogen konsumieren. Die Zahl der Haschischkonsumenten liegt -wie bereits
dargelegt- zwischen 2 und 4 Mio.. Dieses krasse Missverhältnis von Cannabiskonsumenten zu
Konsumenten "harter" Drogen beweist, dass offensichtlich kein kausaler Umsteigeeffekt
vorhanden ist.
Dies haben auch die von der Kammer gehörten Sachverständigen ausdrücklich bestätigt. Sie
haben vielmehr darauf verwiesen, dass eine Suchtkarriere, die einmal beim Heroin ende,
typischerweise vom frühen Gebrauch von Nikotin oder Alkohol geprägt sei. Sie meinen daher,
dass der Gebrauch dieser bei uns üblichen Konsumdrogen viel eher einen Einstiegseffekt
aufweise. Darüber hinaus haben die Sachverständigen darauf hingewiesen, dass ein
Umsteigeeffekt allenfalls durch den gemeinsamen illegalen Drogenmarkt erfolge. Sie haben hierzu
ausgeführt, dass der Haschischkonsument die Droge vom gleichen Dealer bekomme, der auch
über "harte" Drogen verfüge. Aus diesem "sozialen Kontakt" ergebe sich eine sehr viel grössere
Gefahr des Umsteigens als aus dem Konsum und den damit verbundenen Wirkungen (so auch
Binder, a.a.O., Seite 125).
Die Kammer weiss aus einem Referat des Amsterdamer Strafrechtsprofessors Dr. Rüter, das
auch insoweit in der Hauptverhandlung erörtert worden ist, dass gerade aus diesen Gründen die
niederländische Drogenpolitik eine Trennung der Märkte von "weichen" und "harten" Drogen
anstrebt. Die Einrichtung von sogenannten "Coffee-Shops", in denen Cannabis-Produkte zum
Konsum frei verkäuflich erworben werden können, ohne dass strafrechtliche Verfolgung zu
befürchten ist, hat zum Ziel, den ssozialen Kontakt" des Konsumenten "weicher" Drogen zu
"harten" Drogen beim Ankauf zu unterbinden. Deswegen müssen die Inhaber von
"Coffee-Shops" mit Bestrafungen und Schliessung ihrer Geschäfte rechnen, wenn sie "harte"
Drogen verkaufen. Durch diese Trennung der Märkte wird nach Auffassung der Niederländer
der mögliche Umsteigeeffekt, der durch den "sozialen Kontakt" mit dem gleichen Dealer bewirkt
werden kann, erheblich reduziert.
. Zusammenfassend kann daher festgestellt werden, dass die individuellen und gesamtgesellschaftlichen
Wirkungen von Haschisch denkbar gering sind
Das Schweizerische Bundesgericht hat in seiner Entscheidung vom 29. August 1991 (a.a.O., Seite 19) hierzu folgendes
festgestellt:
"Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse lässt sich somit nicht sagen, dass Cannabis geeignet sei, die körperliche und
seelische Gesundheit vieler Menschen in eine naheliegende und ernstliche Gefahr zu bringen."
Der Sachverständige Prof. Dr. Dominiak hat erklärt, dass Cannabis nach seiner Kenntnis das Rauschmittel mit den geringsten
individuellen und gesamtgesellschaftlichen Wirkungen sei, das es zur Zeit auf der Welt gebe. Binder hat in seinem Aufsatz im
Deutschen ärzteblatt (a.a.O., Seite 124) ausgeführt:
"Medizinisch gesehen, dürfte der Genuss von ein bis zwei Joints Marihuana (ein bis zwei Gramm Marihuana, resorbierte
THC-Menge 8-16 mg) pro Tag unschädlich sein, zumindest aber weniger schädlich sein, als der tägliche Konsum von
Alkohol oder von 20 Zigaretten. Für alle drei Drogen gilt das Prinzip "sola dosis facit venenum" und somit wäre gegen den
gelegentlichen Konsum von Marihuana im Grunde genau so wenig einzuwenden wie gegen das gelegentliche Glas Wein oder
die gelegentliche Zigarette, Jede Droge im übermass genossen, ist schädlich."
Soweit der exzessive Gebrauch von Cannabisprodukten bei bestimmten Risikogruppen zu bestimmten -nicht ernstlichen-
Schädigungen führen kann, ist darauf hinzuweisen; dass dies grundsätzlich für fast alle Substanzen gilt, die der Mensch zu sich
nimmt (Zum Problem ,der fehlenden Relation zwischen Extrem- und Normalkonsum aus sozialwissenschaftlicher Sicht vgl.
Kreuzer, a.a.O., S. 1312). Auch der exzessive Gebrauch von Zucker kann zu Schädigungen führen. Darüber hinaus haben
zahlreiche rezeptpflichtige Schmerz-, Schlaf- und Beruhigungsmittel bei langandaürnden, übermässigen Konsum Sucht und
schwere gesundheitliche Schäden mit teils tödlichem Ausgang zur Folge.
Entzugstherapien bei Medikamentenabhängigkeit sind aufwendig. Medikamentenmissbrauch kann auch Psychosen auslösen.
Auch nicht rezeptpflichtige Schmerzmittel und sogar Vitamine können bei übermässiger Dosierung zu schweren
Gesundheitsschäden führen, Bei Aspirin drohen z.B. Magengeschwüre z.B., wie sie durch die Einnahme von mehr als drei
Multivitamin-Tabletten geschehe, überschreitet bei einer Leibesfrucht den Grenzwert und kann zu Fruchtschäden führen
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