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Anhörung im Gesundheitsausschuß des Berliner Abgeordnetenhauses (08.01.2004)

Beiträge:

Berlin: Gesundheitsausschuss berät Reformanträge [CLN#140, 09.01.2004]

Anhörung im Gesundheitsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses (08.01.2004)
Mit Prof. Dr. Dieter Kleiber., Richter Andreas Müller und Georg Wurth (DHV).

Sitzung des Gesundheitsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses (26.02.2004)


http://www.parlament-berlin.de/adis/citat/VT/15/AusschussPr/gsmv/gsmv15034.w.pdf

Wortprotokoll GesSozMiVer 15 / 34 15. Wahlperiode Plenar- und Ausschussdienst

Wortprotokoll Ausschuss für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz unter Zuladung des Rechtsausschusses

34. Sitzung 8. Januar

2004 Beginn: Ende: 15.34 Uhr 18.40 Uhr

Vorsitz: Frau Abg. Dr. Schulze (PDS)

Frau Vors. Dr. Schulze:

Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung

a) Antrag der Fraktion der Grünen

Neue Wege in der Drogenpolitik I Modellversuch kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten

Drs 15/2006

b) Antrag der Fraktion der CDU

Verzicht auf Modellversuch einer Freigabe von Cannabis

Drs 15/2108

c) Antrag der Fraktion der Grünen

Neue Wege in der Drogenpolitik II

Cannabisbesitz bis 30 Gramm straffrei!

Drs 15/2007

d) Antrag der Fraktion der FDP

Vernünftiger Umgang mit Cannabiskonsum: Neuorientierung der Berliner Drogenpolitik

Drs 15/2045 # 258

Wünschen Sie ein Wortprotokoll? – Das ist der Fall. Das Reglement sieht vor, dass die Fraktionen das Begründungsrecht zu Ihren Anträgen haben. Deshalb bitte ich jetzt zunächst die Fraktion der Grünen, ihre Anträge unter TOP 1 a) und 1 c) zu begründen. – Bitte!

Abg. Ratzmann (Grüne):

Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich übernehme gern diesen Part, unsere Anträge noch einmal zu begründen. Sie sind ja schon reichlich in der Presse kommentiert und disku-tiert worden. Deshalb will ich mich kurz fassen, weil wir alle gespannt darauf sind, was die Sachverständigen zu diesen von uns aufgeworfenen Problemen zu sagen haben.

Zunächst zu dem Antrag 1 a), den wir mit „Modellversuch kontrollierte Abgabe von Cannabisprodukten“ überschrieben haben: Der rechtliche Aufhänger, mit dem ich beginnen will, befindet sich im Betäubungsmit-telgesetz § 3 Abs. 2. Er gibt die Möglichkeit, zur Gewinnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die im öffentlichen Interesse stehen, Ausnahmen von dem generellen Verbot des Besitzes, Konsums, Anbaus und des Handels der in der Anlage 2 zum Betäubungsmittelgesetz aufgeführten Produkte zu erlauben. Den wol-len wir hier nutzen und glauben, dass Berlin der richtige Ort ist, so einen Modellversuch erstmalig in der Bundesrepublik umzusetzen und daraus wesentliche neue Erkenntnisse für die Beurteilung der Gefährlich-keit und der Steuerungsmöglichkeiten des Cannabiskonsums zu gewinnen. Wir hatten bereits einen Vorlauf. Sie alle werden sich erinnern, dass in Schleswig-Holstein bereits einmal der Versuch unternommen worden ist, ein solches Produkt aufzulegen. Das Bundesamt, das für eine Ausnahmegenehmigung zuständig ist, hat es damals abgelehnt. Wir haben diese Ablehnung ausgewertet und die dort aufgeführten Gründe auch in un-serem Antrag mit berücksichtigt. Wir meinen, dass es an der Zeit ist, in einem groß angelegten Versuch neue Erkenntnisse über die Konsumgewohnheiten von Cannabiskonsumenten zu erlangen. Das ist bisher – wie gesagt – in einem so groß angelegten Versuch noch nicht passiert. Wir glauben, dass man trotz aller wissen-schaftlichen Erkenntnisse, die bereits vorliegen, mit einer großen Gruppe von Menschen in einem abgeschot-teten Gebiet – wie man es in Berlin trotz des Falls der Mauer immer noch annehmen kann – und mit einer sehr ausgeprägten Konsumentenstruktur einen wesentlichen Erkenntnisgewinn erzielen kann – in Zusam-menarbeit mit Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen, die hier im Land Berlin vorhanden sind.

Wir haben in unserem Antrag insbesondere – was nicht abschließend gewertet werden soll – die Frage der Auswirkung von Cannabiskonsum als Einstiegsdroge aufgeführt. Wir glauben, dass sich gerade bei Jugend-lichen jetzt geänderte Verhaltensmuster finden, die der Erforschung harren. Wir glauben, dass es trotz der bereits vorliegenden Forschungsergebnisse zu der Frage der Trennung von Rauschgiftmärkten gerade durch das Auftauchen von neuen Drogen erforderlich ist, die Auswirkung des Cannabiskonsums und der Notwendigkeit der Trennung der Rauschgiftmärkte noch einmal in den Fokus zu nehmen. Ganz wichtig für Berlin ist aber auch die Frage: Wie entwickeln sich die Preise, Konsummuster und Absatzmärkte in einer Situation, wo wir nicht mehr ein in einem klandestinen Raum heimlich abgewickeltes Geschäft haben, sondern unter wissenschaftlicher Beobachtung offen zutage tretende Konsummuster abfragen und auswerten können.

Ein kleiner Nebeneffekt, der für das Land Berlin sicherlich nicht ganz ohne Bedeutung ist, ist die Frage, wie man finanztechnisch mit diesem Problem umgeht. Es gibt kaum stichhaltige Berechnungsmöglichkeiten über die Absatzmengen und die daraus resultierenden Einnahmemöglichkeiten, die bei einer normalen Besteue-rung anfallen. Alles, was wir da haben, bezieht sich auf Schätzwerte. Wenn man allein den Wert, der jetzt für die Tabaksteuer in Ansatz gebracht würde, auf die bereits vorliegenden geschätzten Umsatzmengen von Cannabis anwenden würde, würde sich wahrscheinlich eine Besteuerungsmöglichkeit für Berlin im Bereich einer zweistelligen Millionensumme ergeben. Eine etwa in gleicher Höhe anfallende Einsparungsmöglichkeit ergibt sich aus den wegfallenden Kosten für Repressionen. Wir alle wissen – das ist auch in einigen Gutach-ten hier schon angesprochen worden –, dass es bereits jetzt die Möglichkeit gibt, Verfahren einzustellen, soweit sie sich auf geringe Mengen beziehen, die zum Eigenkonsum mitgeführt werden. Wir haben aber das Problem, dass Polizei und Staatsanwaltschaft immer noch zunächst Verfahren betreiben müssen, die sehr kostenintensiv sind. Wir haben sehr hohe Eingangszahlen bei den Staatsanwaltschaften in diesen Bereichen, die – nachdem diese Bearbeitung erfolgt ist – alle zur Einstellung gebracht werden. Wir glauben, dass das Kosten sind, die man sich sparen kann und die dazu führen können, dass die knappen Ressourcen der Justiz sich auf die wirkliche und notwendige Kriminalitätsbekämpfung konzentrieren können, die hier im Land Berlin ansteht.

Ein weiterer Punkt, den wir aufgeführt haben und der zur weiteren Erforschung nach wie vor dringend erfor-derlich ist, sind die Auswirkungen des Cannabiskonsums jenseits der Verschreibungspflichtigkeit oder der Möglichkeit, es als Medikament zu verschreiben, im allgemeinen Konsum in medizinischer Sicht. Wir haben sehr viele Konsumenten, die Cannabis – jetzt noch in der Illegalität – nicht nur als reines Genussmittel kon-sumieren, sondern auch zur medikamentösen Behandlung als schmerzlinderndes Mittel in sehr vielen Berei-chen, und die immer noch Gefahr laufen, dass sie zumindest mit einem Verfahren überzogen werden. Das Amtsgericht im Land Berlin hat sich gerade dazu durchgerungen, erstmalig in der Bundesrepublik jemanden freizusprechen, der sich mit der Begründung, Cannabis aus medizinischen Gründen zu konsumieren, vertei-digt hat.

Das alles sind Gründe, die dafür sprechen, jetzt diesen Schritt in Berlin mit einer sehr konsistenten Konsu-menten- und Konsumentinnenstruktur und einer großen Zahl von Konsumentinnen und Konsumenten zu wagen und über einen lang angelegten Versuch genau diese Erkenntnisse zu gewinnen, um hier einen Schritt nach vorn gehen zu können.

Der zweite Antrag bezieht sich etwas profaner auf das Vorfeld eines solchen, breiter angelegten Versuchs. Wir wollen, dass die geringe Menge, die derzeit durch eine Richtlinie im Betäubungsmittelgesetz konkreti-siert wird, also die Menge, bei der Staatsanwaltschaften von der Verfolgung absehen können, heraufgesetzt wird. Sie ist derzeit durch die Senatsverwaltung für Justiz auf 6 Gramm festgelegt. Wir haben unterschiedli-che Höchstmengen in den einzelnen Bundesländern. Es gibt Länder, die weit darunter liegen. Es gibt auch Länder wie beispielsweise Schleswig-Holstein, die weit darüber liegen, die bei 30 Gramm im Regelfall im-mer noch von einer geringen Menge ausgehen. Wir glauben, dass Berlin sich an dieser Marge orientieren sollte und die 30-Gramm-Regelung von Schleswig-Holstein als Definition für die geringe Menge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes übernehmen sollte. – So weit zur Begründung unserer beiden Anträge.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herzlichen Dank, Herr Ratzmann! – Ich bitte jetzt die CDU-Fraktion um die Be-gründung. – Bitte, Herr Wansner!
Abg. Wansner (CDU):

Vielen Dank! Ich glaube, der Verzicht auf die Modellversuche einer Freigabe von Cannabis ist eigentlich schon deshalb logisch, weil auch der Regierende Bürgermeister zwischenzeitlich eine Kehrtwendung gemacht hat und der Meinung war: Dies ist nicht mehr notwendig. – Wir brauchen auch des-halb keine Studie mehr, weil es zwischenzeitlich drei neue Studien aus England gibt, Frau Vorsitzende, die eindeutig beweisen, dass Cannabis die Gesundheit nachhaltig schädigt. – Herr Ratzmann, die Drogenbeauf-tragte der Bundesregierung, Frau Marion Caspers-Merk erklärte zu dieser kürzlich erschienenen Studie der britischen Lungenstiftung, dass diese nachhaltig nachweise, dass Cannabisgebrauch den Menschen schädige, Krebs erzeuge und insbesondere deshalb nicht mehr zu akzeptieren sei. Wir können Sie nur bitten, bei der Anhörung und der Diskussion diese neue Studie zur Kenntnis zu nehmen und nicht unbedingt eine neue auf-zulegen, weil auch die alten Studien gezeigt haben, dass Cannabis mit zu den gefährlichsten Drogen in die-sem Land gehört. Gerade bei der enormen Arbeitslosigkeit und Jugendarbeitslosigkeit, die wir haben, müsste man sich die Frage stellen: Brauchen wir jetzt Drogen, um die Menschen von der Notwendigkeit abzuhalten, in diesen Arbeitsbereichen etwas zu suchen bzw. von der Hoffnungslosigkeit in diesem Staat abzulenken? – Deshalb kann auch die Diskussion hier nur so geführt werden, dass wir keinerlei Versuche brauchen. Mich persönlich hat in dem Antrag der Grünen eines ein wenig schockiert – –

[Abg. Ratzmann (Grüne): Nur ei-nes?] –

Ja! Eines insbesondere, lieber Herr Ratzmann, und zwar der Hinweis auf die Einnahmeerwartung des Landes Berlin bei der Besteuerung und dem Verkauf von Cannabisprodukten. Sie hätten in Ihrem Antrag noch schreiben müssen, welche Folgeschäden daraus resultieren bzw. welche Kosten dann auf das Gesund-heitswesen in diesem Land zukommen. Deshalb fordere ich Sie und uns alle auf, der Verantwortung hier gerecht zu werden, denn wenn Sie sich die Studien von Synanon durchgelesen haben, dann wissen Sie, dass gerade viele junge Menschen in diesem Bereich sehr oft Cannabis nehmen bzw. auch einige Probleme hier herrschen.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Nach Herrn Wansner hat jetzt die FDP-Fraktion das Wort zur Begründung. – Bitte schön, Herr Matz!

Abg. Matz (FDP):

Danke schön! – Maßgeblich für die Argumentation und das Handeln der FDP-Fraktion ist nicht, was der Regierende Bürgermeister zwischen zwei Corona-Bieren in Mexiko von sich gegeben hat, sondern, dass wir eine konsequente und glaubwürdige Politik im Umgang mit Cannabis brauchen. Dazu zählt als Erstes die Feststellung, dass die prohibitive Politik der letzen 30 Jahre offenkundig gescheitert ist, weil der Anteil an Konsumenten – beispielsweise in der jugendlichen Bevölkerung – so hoch ist, dass man nicht ernsthaft davon ausgehen kann, dass mit einer Verbotspolitik etwas zu erreichen ist. Wenn ich sage „glaubwürdige Argumentation“, dann heißt das aber auch, dass man sich nicht von vornherein von Machbar-keitsüberlegungen – also: Was ist auf den entsprechenden politischen Ebenen überhaupt durchsetzbar? – allein leiten lässt, sondern zunächst einmal feststellt, was man eigentlich machen müsste. Eigentlich müsste man – sehr wohl unter Beachtung von Jugendschutzvorschriften – anfangen, Cannabis in etwa mit Alkohol gleichzustellen. Beides halte ich trotz allem für schädlich, denn es ist ein Drogenkonsum, gegen den mit Prävention, mit Aufklärung vorgegangen werden sollte. Ich bin nicht der Meinung, dass wir den Cannabis-konsum verharmlosen sollten, ich bin auch nicht der Meinung, dass wir hier im Abgeordnetenhaus das fröh-liche Kiffen propagieren sollten, sondern es geht nur um einen pragmatischen Umgang mit einer bisher ille-galen Droge, bei der man festgestellt hat, dass die bisherige Politik nicht erfolgreich ist.

Wenn man jetzt konsequent ist, dann muss man nicht nur über die straffreie Menge zum Eigenkonsum spre-chen, denn das ist z. B. noch nicht geeignet, den bürokratischen Aufwand bei den Strafverfolgungsbehörden zu beseitigen. Es muss trotzdem erst mal angefangen werden, zu ermitteln, bevor das Ermittlungsverfahren irgendwann eingestellt wird. Auch ein Modellversuch ist nicht das, was konsequentes Vorgehen erfordern würde, sondern politisch richtig wäre, die Anlage 1 zum Betäubungsmittelgesetz zu ändern und Cannabis und verwandte Wirkstoffe – aus dieser Anlage 1 zumindest – herauszunehmen. Das müsste man eigentlich machen. Alles Weitere – deswegen schreiben wir das in unserem Antrag – sind nur Ersatzhandlungen, weil wir von vornherein damit rechnen, das auf der Bundesebene nicht durchsetzen zu können. Insofern fordern auch die Grünen in ihren beiden Anträgen nur Ersatzhandlungen, die wir dann, wenn man das eigentlich Richtige nicht durchsetzen kann, auch in etwa befürworten. Allerdings steht auch bei einem Modellversuch die Durchsetzbarkeit im Raum und sollte bei der heutigen Anhörung weiter verfolgt werden.

Die schwächste Forderung in diesem Zusammenhang ist die nach der Erhöhung des straffreien Besitzes ge-ringer Mengen zum Eigenkonsum. Das ist zwar richtig, aber – wie ich eben schon ausgeführt habe – es wür-de den bürokratischen Aufwand in keiner Weise beseitigen helfen. Er wäre nach wie vor vorhanden. Deswe-gen ist dies das schwächste Vorgehen im Forderungskatalog. Insofern wünsche ich mir oder uns allen, dass die Koalition, die sich bei diesem Thema ein bisschen gegenseitig zu blockieren scheint, noch zu mehr durchringen kann als zu der Frage: 6 oder 15 Gramm. – Denn die beiden anderen Punkte – entweder in das Betäubungsmittelgesetz bzw. in die Anlage selbst einzugreifen oder zumindest einen Modellversuch zu pro-bieren, der auch auf Bundesebene genehmigungspflichtig ist – sind die Vorgehensweisen, die davor oder darüber hinaus in jedem Fall auch erprobt werden sollten.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herzlichen Dank! – Ich begrüße jetzt unsere Gäste, nämlich Frau Dr. Schulze von teenex e. V., Herrn Wurth vom Deutschen Hanfverband, Herr Prof. Kleiber von der Freien Universität Berlin und Herrn Müller vom Amtsgericht Bernau. – Ladies first! ist eigentlich die Regel. – Frau Dr. Schulze, bitte!

Frau Dr. Schulze (teenex e. V.):

Sehr geehrte Abgeordnete! Werte Gäste! Ich spreche hier nicht als Frau Dr. Schulze, sondern als Vertreterin eines Vereins, der Jugendliche für ein selbstbestimmtes Leben ohne Drogen motiviert, und dieses tun Jugendliche selbst, nicht Erwachsene. Erwachsene sind Begleiter, Erwachsene nut-zen solche Möglichkeiten wie heute, weil sie Jugendlichen nicht offen stehen. Unsere sind 14 bis 16 und 18 Jahre alt. Aus diesem Grund bin ich sehr aufgeregt, weil ich zum einen die Gruppe derer vertrete, die mit uns zusammenarbeiten: Jugendliche bis zu 18 Jahren, 800 und mehr, davon 60 aktive ehrenamtliche arbeitende Jugendliche, die in Schulen arbeiten, die selbst auch Erfahrungen mit Drogen gemacht haben, u. a. mit der so häufig verharmlosten Droge Cannabis. Sie haben sich, als sie die Anträge von den Grünen und auch der FDP studiert haben, entschieden gegen diese Anträge gewandt und sich, obwohl sie nicht Mitglied der CDU sind und sicherlich auch der CDU nicht nahe stehen, für eine solche Aussage positioniert. Ich muss dazu sagen, dass ich in meiner zweiten Tätigkeit – also der nicht ehrenamtlichen – therapeutische Leiterin einer Einrich-tung für Jugendliche bin, die Drogenprobleme haben. Von diesen Jugendlichen haben ca. 60 % heute in Fol-ge langjährigen Drogenkonsums, insbesondere von Cannabis, Schizophrenien entwickelt. Wir sind eine Ein-richtung, die gar nicht so viele Jugendliche aufnehmen kann, wie sich um Therapieplätze bewerben. Insofern macht es unser Leitbild, ein selbstbestimmtes Leben ohne Drogen, nicht erforderlich, in ähnlicher Weise vorzugehen, wie Sie Ihre Anträge gestaltet und vorgebracht haben. Ich halte es in einer Zeit, wo Präventi-onsprojekte gestrichen werden, bei denen Jugendliche mitarbeiten und mitwirken können, die ihr Leben ohne psychoaktive Substanzen gestalten wollen, die ohnehin schon genug Probleme mit den legalen Drogen ha-ben, die in unserer Gesellschaft existieren und die ihnen frei zugänglich sind, obwohl es Jugendschutzgesetze gibt, für nicht verantwortlich, dass in dieser Weise weiter propagiert wird. Diese Projekte existieren hier in Berlin. Schauen Sie sich einmal an, wie viele davon gestrichen werden! Das halte ich auch im Sinne unserer Mitglieder für nicht verantwortlich.

Ich halte es aber auch für nicht verantwortlich, Jugendliche, die ein Problem mit Drogen haben, die auf ille-galer Basis in den Besitz dieser Drogen gekommen sind, in gerichtlicher Weise zu belangen. Ich denke auch, dass unterdessen das Betäubungsmittelgesetz Möglichkeiten zulässt. Auch da spreche ich aus den Erfahrun-gen meiner Arbeit, dass ich bisher noch keinen Jugendlichen erlebt habe, wo die Straftat allein darin bestand, dass sie Betäubungsmittel besaßen und das dazu geführt hat, dass sie einem justitiablen Prozess zugeführt worden sind, sondern es sind weitere Straftaten hinzugekommen, die u. a. dadurch entstanden sind, dass sie aus der sozialen Bahn geworfen worden sind, dass sie nicht mehr zur Schule gegangen sind, dass sie die Lehrausbildung nicht fortgesetzt haben. Es waren nicht in erster Linie die Drogen. Auch das bestätigen uns Jugendliche an Gymnasien und in Ausbildungseinrichtungen. Auch dort gibt es verständnisvolle Lehrer und Ausbilder, die wissen, dass diese Jugendlichen Cannabis konsumieren, und die, solange die Jugendlichen ihren Aufgaben nachkommen, auch den weiteren Schulbesuch tolerieren. Das ist nicht die Frage. Wir sollten die Möglichkeiten zunächst ausnutzen und evaluieren: Was hat die Novelle des Betäubungsmittelgesetzes erbracht? Inwiefern ist beispielsweise von Strafverfolgung abgesehen worden?

Ein weiteres Problem, das wir u. a. mit dem Konzept der begrenzten und kontrollierten Freigabe von Drogen haben, ist: Wie wollen Sie ausschließen, dass Jugendliche an Cannabis herankommen? Wie wollen Sie das regeln? – Wir schaffen es heute schon nicht, dafür zu sorgen, dass Jugendliche nicht an Alkohol herankom-men, obwohl sie erst 14 sind. Wir schaffen es nicht, dass Jugendliche neben der Schule oder nicht weit davon entfernt am Automaten Zigaretten ziehen können. Ich halte dies für nicht verantwortlich, wenn man nicht die Dimensionen versteht, noch dazu vor dem sozialpolitischen Hintergrund unserer Stadt Berlin: Konzepte und Projekte werden nicht mehr gefördert, es gibt Jugendarbeitslosigkeit bzw. die Ausbildungsplatzmisere, es gibt die Probleme in der Schule, wo Umwälzungsprozesse bevorstehen. Dazu kommen die Auswirkungen, die diese Droge bei Jugendlichen sichtbar hat: Null-Bock-Stimmung – all das, was wir kennen –, die Mög-lichkeit des Rückzugs aus sozialen Kontexten. Das alles ist für mich ein Grund, zum heutigen Zeitpunkt diesen vorgebrachten Vorschlägen im Interesse der Jugendlichen, die ich vertrete, nicht zuzustimmen.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herzlichen Dank, Frau Dr. Schulze! – Ich bitte alle Nachfolgenden, sich auf ein Zeitlimit von fünf Minuten einzurichten, wenn Ihnen das möglich ist. – Herr Wurth, bitte!

Herr Wurth (Deutscher Hanfverband):

Ich werde mich bemühen, einigermaßen kurz zu sprechen und werde auch nur kurz auf die Gründe eingehen, die für mich für neue Wege in der Drogenpolitik sprechen. Ich emp-finde mich als Sprachrohr für über 100 000 Cannabiskonsumenten in Berlin, und als solches halte ich es als vollkommen selbstverständlich, dass diese Leute nicht mit dem Strafrecht drangsaliert und auch keinem Schwarzmarkt überlassen werden sollten. Es muss vernünftigere Wege geben, um diesen Leuten ihr Canna-bis zu geben, da sie es sowieso konsumieren. Ich halte die Argumente für verfehlt, zu sagen: Wir schaffen einen freien Markt oder eine freie Zugänglichkeit. – Wir haben jetzt einen vollkommen freien Markt, wo jeder alles ohne jede Regulierung bekommt, und das ist das Problem. Ich möchte vorweg sagen, dass es mir nicht darum geht, Cannabis zu verharmlosen, und dass ich nicht sage, dass es keine Probleme gibt, sondern dass es durchaus Einzelfälle gibt, wo es extreme Probleme geben kann, wie es hier auch gerade schon aus der Praxis berichtet wurde. Ich glaube nur nicht, dass das Strafrecht darauf irgendwelche positiven Einflüsse hat, sondern dass die jetzige Kriminalisierung eher noch zusätzlich viele negative Auswirkungen hat. Und dass die Strafandrohung niemanden vom Konsum abhält, ist für mich auch eine relativ eindeutige Geschich-te. – Ansonsten würde ich weitere Argumente zu der Frage, ob das Sinn macht oder nicht, gerne den Herren Kleiber und Müller überlassen. Ich nehme an, dass sie dazu noch etwas sagen werden. Für mich ist die ganze Sache klar und selbstverständlich im Sinne der Konsumenten, die in Berlin wohnen.

Ich möchte deshalb konkret eher einiges zu der Umsetzung der angesprochenen Projekte sagen und habe dazu einige Papiere vorgelegt, die den meisten von Ihnen bekannt sein dürften. Ein viertes, zur Frage der geringen Menge, habe ich als Tischvorlage noch hier und werde sie gleich herumreichen. Ich möchte jetzt im Einzelnen kurz auf diese Dinge eingehen.

Zunächst einmal zu den Abgabestellen: Das ist bei dem ganzen Projekt der Dreh- und Angelpunkt, wenn man sich dafür entscheidet. Das muss funktionieren und von den Konsumenten angenommen werden. Im Gespräch sind dabei öfter die Apotheken genannt worden. Ich bin aber der Meinung, dass Apotheken dazu da sind, Heilmittel zur Linderung und Heilung von Krankheiten zu verteilen, und nicht dazu da sind, Ge-nussmittel zu verkaufen. Cannabiskonsumenten sind in der Regel nicht als Kranke anzusehen, sehen sich selber auch nicht als solche und haben in Apotheken nichts verloren. Das sieht sowohl die Mehrheit der Apo-theker als auch die Mehrheit der Cannabiskonsumenten so. Deswegen sind wir der Meinung, dass es speziel-le Fachgeschäfte oder Abgabestellen geben sollte, die auf Cannabiskonsumenten ausgerichtet sind und von diesen auch entsprechend akzeptiert werden. Im Sinne des Präventionsgedankens müssen diese Abgabestel-len aber einige Bedingungen erfüllen, und das ist im Wesentlichen der Jugendschutz, das heißt, eine Alters-grenze von 16 oder 18 Jahren mit Ausweispflicht. Ich bin deswegen der Meinung, dass das zumindest ein Versuch sein kann, das Einstiegsalter von Jugendlichen wieder hoch zu setzen. Ich gebe Ihnen Recht, dass es nicht einfach sein wird, das durchzusetzen, wie man jetzt auch bei Alkohol und Tabak sieht. Man müsste das vielleicht etwas ernsthafter angehen. In der jetzigen Situation haben wir einen vollkommen freien Markt, wo gar nicht der Versuch unternommen wird, Jugendliche davon abzuhalten, außer mit einer pauschalen Krimi-nalisierung, die offensichtlich nicht funktioniert und das Einstiegsalter immer weiter hinuntergeht, was wir auch für ein Problem halten. – Dann sollte das Verkaufspersonal ausgebildet sein, entsprechend Auskunft geben und beraten können. Es sollte eine klare Produktdeklaration geben, welchen Stoff man da genau hat, wie hoch der Wirkstoffgehalt ist usw., eine Qualitätskontrolle, um gesundheitsschädliche Inhalte zu vermei-den, eine Art Gebrauchsanweisung zu jeder Verkaufseinheit, ähnlich eines Beipackzettels mit Wirkung, Ri-siken, Nebenwirkungen, Dosierung usw. und weiteres Informationsmaterial zu Hanf in jeder Verkaufsstelle. Es sollte keine Werbung für Cannabisprodukte geben, und die Verkaufsstellen und deren Mitarbeiter sollten mit dem Berliner Drogenhilfesystem vernetzt sein für Leute, die von sich aus Hilfe suchen. – Ich bin der Meinung, dass mit diesen Bedingungen im Vergleich zu derartigen Schwarzmarktsituationen auf jeden Fall ein erheblich besserer Verbraucherschutz gegeben ist als jetzt. Es kann nur besser laufen als jetzt. Schlimmer kann es nicht werden, und man kann durch solche Regelungen versuchen, einen möglichst vernünftigen Um-gang damit zu finden.

Zu den anderen Punkten werde ich etwas kürzer Stellung nehmen, zum einen zur Frage der Versorgung eines solchen Modellprojektes mit entsprechender Ware. Wir sagen, dass es möglich ist, die Produktion des Can-nabis innerhalb der Grenzen von Berlin auf relativ kleiner Fläche zu organisieren, so dass entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden können mit entsprechender Qualitätssicherung und sinnvollen Preisen, die dazu führen, dass das Schwarzmarktniveau nicht stark übertroffen wird und damit das Projekt überhaupt funktioniert. Aus unserer Sicht wird es dadurch keine Probleme bei diesem Projekt geben, dass man Cannabis möglicherweise international importieren muss und damit irgendwelche Probleme hat.

Ein Punkt noch zu den Finanzen: Wir haben ein relativ umfangreiches Papier mit Schätzungen, welche posi-tiven Effekte eine Cannabislegalisierung auf öffentliche Haushalte haben würde, vorgelegt. Im Falle dieses Modellprojektes würde es nicht 100-prozentig greifen, weil eine Besteuerung nicht gleich möglich wäre. Nur Teile dieser Dinge würden greifen, z. B. hätten wir etwas geringere Ausgaben für die Strafverfolgung und auch neue Arbeitsplätze mit entsprechenden Einnahmen, die mit daran hängen. Zusammen mit den Einnah-men aus dem Cannabisverkauf gehen wir davon aus, dass so ein Modellprojekt für das Land Berlin zumin-dest kostenneutral durchzuführen ist, es also kein zusätzliches Geld kosten wird, was heutzutage ein sehr wichtiges Argument ist. Eine Hürde, die oft noch gesehen wird, ist die der technischen Umsetzung, was z. B. die Bezugskarten für die Teilnehmer eines solchen Versuches angeht und die Anonymisierung usw. Da verweise ich auf den An-trag von Schleswig-Holstein. Die hatten sehr gute Ideen, wie man das unter einen Hut bekommt, z. B. eine persönliche Bezugskarte auszustellen, gleichzeitig zu anonymisieren, aber es auch hinzubekommen, die Leu-te innerhalb der Verkaufsstellen anonym für das wissenschaftliche Begleitprogramm zu befragen. Auch da sehe ich keine wesentlichen Umsetzungsprobleme. Das heißt, offene Fragen für die Politik sind dann nur noch in kleinerem Umfang da, wie z. B. solche kniffeligen Fragen, ob man die Altersgrenze bei 16 oder 18 Jahren festlegen will – für beides gibt es gute Argumente –, oder ob es in den Verkaufsstellen eine Kon-summöglichkeit geben soll, ähnlich wie in holländischen Coffeeshops, oder dass Cannabis eher über die Ladentheke gehen soll, wie in Schweizer Hanflädli.

Eine große Frage sehe ich allerdings noch, bei der ich Ihnen empfehlen würde, sie noch einmal mit Juristen und Wissenschaftlern zu besprechen: Wie sollte das Forschungsdesign ausgelegt sein, damit eine Genehmi-gung erreicht werden kann? – Das ist für mich der letzte Knackpunkt. Alle anderen Fragen sind im Prinzip händelbar. So viel zum Antrag Modellprojekt.

Jetzt noch ein paar Worte zur Frage der geringen Menge: Vier Fraktionen im Abgeordnetenhaus haben sich mit der Begründung dafür ausgesprochen, die geringe Menge heraufzusetzen, um damit eine wesentliche Erleichterung für die Cannabiskonsumenten in Berlin zu erreichen und sie weniger zu kriminalisieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine deutliche Erhöhung der geringen Menge notwendig, das heißt: Nicht 15 Gramm, denn Herr Körting hatte der „Berliner Zeitung“ schon einmal gesagt: Die Menge ist jetzt bei 6 bis 15 Gramm, und in der Praxis ist es jetzt schon so, dass bei bis 15 Gramm fast alle Verfahren eingestellt werden, und dass im Prinzip die Festlegung auf 15 Gramm ein Nachvollziehen der alltäglichen Praxis ist. Das heißt, bei den Berliner Cannabiskonsumenten werden dadurch keinerlei spürbare Veränderungen an-kommen.

Ich plädiere eher dafür, diese geringe Menge höher anzusetzen, beispielsweise bei 30 Gramm. – Ich habe in dem Papier, das ich gleich herumgeben werde, dazu noch einige Ausführungen gemacht, auch zu der Frage, ob man damit dem Kleinhandel nicht Tür und Tor öffnet. Unserer Meinung nach ist das Kleinhal-ten der geringen Menge nicht geeignet, um den Kleinhandel einzuschränken, sondern führt nur dazu, dass mehr Konsumenten kriminalisiert werden. Wenn Sie sich tatsächlich dafür entscheiden, das Modellprojekt durchzuführen und die entsprechenden originalverpackten Mengen aus der Bestrafung herauszunehmen, ist allerdings die Chance gegeben, die geringe Menge nicht so stark anzuheben, weil dann keine Vorratshaltung mehr nötig ist, wenn man ständig damit rechnen kann, anständige Qualität zu bekommen. In dem Punkt könnte man die geringe Menge bei 15 Gramm hinnehmen. – Vielen Dank!

Frau Vors. Dr. Schulze:

Recht herzlichen Dank! – Herr Prof. Kleiber, bitte!

Prof. Dr. Kleiber (FU Berlin, FB Erziehungswissenschaften und Psychologie, Arbeitsbereich Prävention und psychologische Gesundheitsforschung): Sehr geehrte Damen und Herren! – Zunächst einmal möchte ich mich ganz herzlich für die Einladung und für die Gelegenheit bedanken, an dieser Anhörung teilnehmen zu können. – Ich möchte mich vorab ganz kurz vorstellen: Ich bin Hochschullehrer an der Freien Universität Berlin und dort als Psychologe und Gesundheitswissenschaftler tätig, und das ist der Hintergrund, vor dem ich zum Thema Cannabis etwas sagen. Ein weiterer Hintergrund besteht darin, dass ich mich seit mehr als zehn Jahren intensiver mit cannabisbezogenen Problemen beschäftige, vor allem in Zusammenhang mit zwei Studien, die ich für das Bundesministerium für Gesundheit durchgeführt habe, die eine gemeinsam mit Frau Prof. Soellner über die Auswirkungen des Cannabiskonsums, über Entwicklungstendenzen und Konsummus-ter und Einflussfaktoren auf diese Konsummuster in der Bundesrepublik Deutschland, und eine zweite Stu-die mit Herrn Prof. Kovar aus Tübingen, einem Pharmakologen und Toxikologen, mit dem wir eine interna-tionale Literaturauswertung zum Thema Cannabis durchgeführt haben. Darüber hinaus war ich für das Bun-desministerium für Gesundheit im letzten Jahr an der internationalen Cannabis Task-Force beteiligt, die die Aufgabe hatte, für verschiedene europäische Länder die Risiken des Cannabiskonsums abzuschätzen und darzustellen. – Ich habe Ihnen über das Sekretariat einen jüngsten Beitrag, den ich mit Frau Soellner zusam-men geschrieben habe, verteilen lassen, in dem wir uns mit den Risiken des Cannabiskonsums beschäftigt haben. Die Risikoabwägung in Bezug auf die politischen Maßnahmen ist eine der Kernfragen, die es zu be-antworten gilt.

Ganz kurz, das kann hier in den wenigen Minuten nur resümierend sein, gehe ich vor allem auf ein paar Punkte ein, die in den Anträgen, die vorgelegt wurden, angesprochen sind. Der erste wichtige Punkt betrifft die Entwicklungstendenzen des Konsums. Hier wird in der Presse, national wie international, immer davon ausgegangen, dass wir vor allem bei jungen Leuten in der Bundesrepublik Deutschland einen dramatischen Konsumanstieg zu verzeichnen haben. Die jüngste Veröffentlichung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat etwas sehr Interessantes gemacht, nämlich erstmalig in den letzten Jahren eine so genannte Strukturanalyse und eine Strukturbereinigung. Wir haben es nämlich in den Konsumtrenduntersuchungen mit Querschnittserhebungen zu tun, bei denen repräsentativ 12- bis 25-Jährige untersucht werden. Wenn man das heutzutage macht, dann haben diese Untersuchungen im Vergleich zu 1976 das ganz große Problem, dass die Zusammensetzung dieser Stichprobe eine gänzlich andere ist als in früheren Jahren, weil es nicht mehr so viele 12-, 13- und 14-Jährige gibt, wie sie es früher gegeben hat. Mit anderen Worten: Heutzutage haben wir in einer solchen Stichprobe einen sehr viel höheren Anteil von älteren Menschen, die damit auch ein lebenszeitbedingt höheres Risiko oder eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, Cannabis konsumiert zu haben. Wenn man heutzutage die Stichprobe mit denen von 1976 parallelisiert, findet man keinen Konsum-anstieg mehr, der statistisch gesichert wäre. So schreibt es die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-rung.

Zur Frage, die immer wieder angesprochen worden ist und zu der auch der Regierende Bürgermeister eine Randbemerkung gemacht hat, dass man Jugendliche vor dem Konsum schützen muss, also die mitgespro-chene Frage, ob Cannabis eine Einstiegsdroge ist: Hier gilt die Zielsetzung des Regierenden Bürgermeisters ohne Wenn und Aber. Wir müssen vor allem darauf achten, dass, wenn wir präventionspolitisch erfolgreich sein wollen, das Konsumalter heraufsetzen. Eine Kriminalisierungs- und Pönalisierungspolitik scheint mir dafür jedoch weniger der geeignete Weg zu sein. – Die internationale Auswertung der Studien zeigt, dass es keinen Zusammenhang zwischen den Variationen der Konsummuster von Cannabis und etwaigen Variatio-nen von härteren Substanzen gibt. In Bezug auf die so genannten Partydrogen ist der Konsum weitgehend unabhängig. In Bezug auf Opiate gibt es auch keine Korrelation. Es gibt das, was die Wissenschaftler eine Nullkorrelation nennen, also einen zufälligen Zusammenhang. Cannabis ist zwar biografisch häufig die erst-konsumierte Droge, da aber mehr als 95 % der Konsumenten den Konsum nach mehreren Versuchen in der Regel wieder einstellen, ist wissenschaftlich von einer Einstiegssubstanz nicht zu sprechen. Ein Zusammen-hang zu späterem illegalen Opiatkonsum ist auszuschließen.

Die Frage nach dem Zusammenhang von Cannabis und psychischer Gesundheit ist so zu beantworten, dass in der Regel keine langfristigen und negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit festzustellen sind. Es gibt sogar Längsschnittstudien, die methodisch gut angelegt sind und darauf abheben, dass der Pro-biergebrauch von Cannabis mit der Risikobereitschaft und der Neugier von Jugendlichen zusammenhängt, so dass diese Längsschnittstudien zu dem Ergebnis kommen, dass Jugendliche, die dauerhaft abstinent bleiben, in der Regel zu den ängstlicheren und weniger neugierigen gehören, und deshalb eine schlechtere psychoso-ziale Entwicklung haben als diejenigen, die mit ihrem Neugiermotiv in kontrollierter Weise einen gewissen Spielraum haben.

Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit sind relativ ausführlich untersucht worden. Hier findet man in den internationalen Auswertungen, sei es in der Cannabis Task Force, sei es bei der Weltgesund-heitsorganisation, keine Hinweise darauf, dass langfristig negative Auswirkungen zu registrieren sind. Aller-dings weise ich immer wieder darauf hin, dass es einen ganz wichtigen Punkt gibt: Jugendliche, die unter Umständen über Jahre mehrmals täglich Cannabis konsumieren, produzieren sich über diesen Konsum eine Art Entwicklungsverzögerung. Die ist nicht substanzinduziert, sondern lebensstilbedingt. Deshalb entsteht hier ein gewisses Problem bei allen Jugendlichen, die eine Tätigkeit ohne Bezug auf andere Tätigkeiten kon-tinuierlich über viele Jahre fokussiert ausüben.

Die Auswirkungen auf Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Leistungen sind kurzfristig negativ, und langfristig sind alle Einschränkungen reversibel. Ein ganz wichtiger Punkt, der jetzt auch in englischen Studien ange-sprochen worden ist und zunehmend häufiger in der Presse auftaucht, ist der Zusammenhang zwischen Can-nabis und Schizophrenie. Man findet zunehmend Hinweise darauf, dass es möglicherweise einen auslösen-den Effekt von Cannabis auf eine Schizophrenie gibt. Von einigen wird vermutet, dass Schizophrenien durch Cannabiskonsum neu entstehen. Es gibt ein sehr hartes Argument, das dagegen spricht: Wenn das der Fall wäre, dann müsste man in Kulturen, in denen Cannabis nicht konsumiert wird, niedrigere Schizophrenieraten finden, als in Kulturen, in denen Cannabis regelmäßig oder gar häufiger konsumiert wird. Wiederum bräuch-te man eine positive Korrelation. Diese Korrelation gibt es nicht, und es ist ein Zeichen dafür, dass die Tatsa-che, dass latent vorhandene Schizophrenien durch Cannabis möglicherweise ausgelöst werden, viel wahr-scheinlicher ist. Es spricht vieles dafür, dass Menschen, die auf Grund einer psychischen Labilität prävulne-rabel sind, ein höheres Bedürfnis haben, zu illegalen Substanzen zu greifen, weil sie damit besser funktionie-ren. Das ist auch etwas, was wir in unseren Studien gefunden haben. Diejenigen, die das Gefühl haben, dass sie mit Cannabis besser funktionieren, ist dringend von dem regelmäßigen Konsum abzuraten, weil bei ihnen ein Abhängigkeitsrisiko besteht, das bei ein bis zwei Prozent der Konsumenten zu registrieren ist.

Auf die Leistungsorientierung scheint Cannabis – so zeigen es jedenfalls die Längsschnittstudien – keinen negativen Effekt zu haben, so dass ich resümierend zu dem Ergebnis komme, dass ich unter gesundheitswis-senschaftlichen Gesichtspunkten keine guten Gründe sehe, weshalb Cannabis anders klassifiziert wird, als die vielfach riskanteren Drogen Alkohol und Tabak. Das zeigen Vergleiche, wie sie von der Weltgesund-heitsorganisation, aber auch von der Schweiz angestellt worden sind. Das heißt nicht, dass man deshalb so-fort wie bei Alkohol und Tabak verfahren muss, sondern das zeigt nur, dass wir keine gesundheitswissen-schaftlich begründeten Argumente haben, die hier eine Abweichung von der Praxis zeigen.

Zu den Anträgen, habe ich, wenn ich darf, noch zwei oder drei Bemerkungen: Vorab den Antrag der FDP, den ich kurz kommentieren möchte, weil er aus meiner Sicht der weitestgehende Antrag ist. Dem wäre aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive eigentlich nichts entgegenzusetzen. Er hat nur für das Land Berlin den Nachteil, dass er das Land nicht unmittelbar handlungsfähig macht. Das abzuwägen ist keine Frage der Wissenschaft und schon gar nicht der Gesundheitswissenschaft, und deshalb möchte ich mich da bei Emp-fehlungen enthalten, aber diesen Punkt muss man auch sehen. – Zu den naheliegenderen Anträgen, zunächst einmal zu den beiden von den Grünen: Der erste Antrag läuft auf die Installierung eines Modellversuches hinaus. Abgesehen davon, dass es in Schleswig-Holstein einen gescheiterten Versuch gegeben hat, was nicht bedeutet, dass man es nicht noch einmal versuchen kann, sehe ich ein großes Problem, das Juristen zu über-winden helfen müssten. Es gibt den Verweis auf das Heroinvergabemodell, das wir in der Bundesrepublik haben. Abgesehen davon, dass bei einem solchen Modell relativ hohe Kosten entstehen, ist die Frage zu klä-ren, ob die Arzneimittelprüfbehörde einer Vergabe zu nicht medizinischen Zwecken zustimmen wird. Das müssen Juristen entscheiden. Da sehe ich die zentrale Hürde. Ansonsten – wenn diese Hürde genommen würde – kann man einen solchen Modellversuch ausarbeiten, wissenschaftlich begleiten und untersuchen.

Dabei sind allerdings einige Fragen in dem Antrag angesprochen worden, von denen ich denke, dass sie nicht besonders geeignet sind, um in einem solchen Modellversuch untersucht zu werden. Die Frage der Auswirkungen des Cannabiskonsums als Einstiegsdroge ist etwas, was man in anderen Zusammenhängen genauso gut oder besser untersuchen kann, ebenso den Einfluss von Cannabiskonsum auf die Leistungsfä-higkeit. Im Übrigen liegen eine Fülle von Studien vor, die man nicht unbedingt replizieren müsste. Was man mit einem solchen Modellversuch in erster Linie untersuchen könnte, wäre die Frage, ob eine solche Abgabe überhaupt einen spürbaren Einfluss auf das Konsumverhalten von Jugendlichen und Erwachsenen hat, also, ob die Konsumentenzahlen dramatisch ansteigen oder nicht, ob die Klientenzahlen im Hilfssystem ansteigen oder nicht oder wie sich die Märkte entwickeln. Das sind Dinge, die man beobachten könnte und möglicher-weise beobachten sollte.

Zur 30-Gramm-Regelung kann man wissenschaftlich, jedenfalls als Gesundheitswissenschaftler, nicht so richtig Stellung nehmen, weil eine 10-Gramm-Regelung keinen zusätzlichen gesundheitlichen Schutz gegen-über einer 15- oder 30-Gramm-Regelung bietet. Das heißt, der Gewinn ist – wenn überhaupt – möglicherweise wiederum im Strafverfolgungs- und Justizbereich zu suchen und hier möglicherweise ein sekundärer Gewinn für eine Frage, die mich in den letzten Jahren zunehmend beschäftigt hat. Wir haben eine eklatante Wissenslücke über die möglichen Nebenwirkungen der prohibitiven Strategien. Wenn wir uns einmal die Strafverfolgungsziffern nach dem BtMG anschauen, dann sind es über 100 000 Fälle pro Jahr im Cannabis-bereich, von denen 47 % nach § 31 eingestellt worden sind. Über die übrigen Fälle, die möglicherweise ein-gestellt würden, wenn wir eine andere Rechtsgrundlage hätten, was aus diesen Jugendlichen, die ihre Karrie-ren unter Umständen abbrechen, die ihre Führerscheine abgeben müssen, und wie sie sich entwickeln, weiß man relativ wenig. Das heißt, wir haben auch gegenwärtig eine Schadensseite, die allerdings völlig ausge-blendet ist. Diese Dinge müsste man gegeneinander abwägen und dafür – das kann und sollte man wissen-schaftlich beobachten – geeignete Voraussetzungen schaffen. Diese zu schaffen, wäre die Aufgabe der Poli-tik. – In der Grobtendenz sehe ich in drei der vier Anträge zumindest den Versuch, der neuen wissenschaftli-chen Lage gerecht zu werden, und für diese Initiative kann ich die verschiedenen Fraktionen beglückwün-schen. Ob sie allerdings tragen werden, ist eine Frage, die ich nicht zu beantworten habe und bei der ich mich so still wie möglich verhalten werden. Ich kann Ihnen nur mein fachliches Votum zum Besten geben. – Vielen Dank!

Frau Vors. Dr. Schulze:

Recht herzlichen Dank! – Herr Müller, bitte!

Herr Müller (Richter am Amtsgericht Bernau): Danke schön! – Zunächst bedanke ich mich auch dafür, dass ich hier eingeladen wurde. Ich denke, ich wurde deshalb eingeladen, weil ich am 11. 3. 2002 das Bundesver-fassungsgericht angerufen habe, und zwar deshalb, weil das Amtsgericht Bernau nach der Anhörung von drei internationalen Sachverständigen, unter anderem auch von Herrn Prof. Kleiber, zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Kriminalisierung von Cannabisprodukten in der gegenwärtigen Form, nämlich durch die Auf-nahme in der Anlage 1 zum Betäubungsmittelgesetz verfassungswidrig ist, verfassungswidrig deshalb, weil es nach den durch das Bundesverfassungsgericht 1994 erfolgten neueren Gutachten nach der neueren For-schung mittlerweile feststeht, dass die Gefahren, die mit dem Cannabiskonsum einhergehen, lange nicht mehr so hoch und deutlich ausfallen können bzw. ausfallen, wie das Bundesverfassungsgericht 1994 noch angenommen hat. Das Amtsgericht Bernau hat auf Grund der im Auftrag des Bundesgesundheitsministeri-ums erfolgten Untersuchungen feststellen können, dass die gegenwärtige Rechtslage so ist, dass die Krimina-lisierung aus folgenden Gründen verfassungswidrig ist: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die freie Entfaltung der Persönlichkeit darf nur eingeschränkt werden, wenn es hierfür zielstrebende Erwägungen gibt, die es rechtfertigen, tatsächlich mit den Mitteln des Strafrechts Jugendliche und Erwachsene zu kriminalisie-ren. Wenn die Gefahren allerdings geringer sind und Cannabis als Einstiegsdroge – die Mär der Einstiegs-droge – nicht mehr gehalten werden kann – ich verweise hier auf die Entscheidung des Bundesverfassungs-gerichts aus dem Jahre 1994, darin steht wortwörtlich: „Die Mär von der Einstiegsdroge kann nicht mehr gehalten werden“. –, dann hat der Staat kein Recht, den Suchtstoff Cannabis zu kriminalisieren. Abgesehen davon ist, und das hat sich in den letzten 30 Jahren gezeigt, die Kriminalisierung nicht geeignet, nur einen einzigen Jugendlichen oder Heranwachsenden oder auch nur einen einzigen Menschen davor zu bewahren, diesen weiteren Suchtstoff Cannabis zu nehmen. Es ist auf Grund internationaler Studien erwie-sen, dass es völlig egal ist, ob strafbar oder nicht. Die Menge des Cannabiskonsums bleibt letztlich gleich. – Ich verweise hier auf das Beispiel Holland: Das Beispiel Holland funktioniert seit 30 Jahren. Cannabis ist frei zugänglich. In Holland wird nicht mehr gekifft als in Deutschland. Des Weiteren ist Holland nicht in der Nordsee versunken, um es plastisch zu sagen. Darüber hinaus ist es auch nicht erforderlich, weil dem Ge-setzgeber verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die den Cannabisgebrauch vernünftig regeln können. Das geht über das Gewerberecht bis hin zum Finanzrecht. Das geht über das Ordnungswidrigkeits-recht und über das Jugendschutzgesetz. Es gibt diverse Möglichkeiten, auf einer anderen Ebene gegen die letztlich verbliebenen Gefahren des Cannabiskonsums zu handeln. Diese Möglichkeiten muss der Gesetzge-ber als milderes Mittel regelmäßig in sein Kalkül mit einbeziehen.

Aus diesen Gründen ist die generelle Kriminalisierung von Cannabisprodukten bereits verfassungswidrig. – [Unruhe bei der CDU]

– Meine Herren von der CDU-Fraktion! Es wäre nett, wenn Sie einem Gast die nötige Aufmerksamkeit schenken würden. –

[Abg. Hoffmann (CDU): Der Kollege Matz gehört der FDP an!]

– Frau Vors. Dr. Schulze: Herr Hoffmann, Sie hatten nicht das Wort! – Ich denke, der Gast hat grundsätzlich Recht. – [Zuruf des Abg. Czaja (CDU)] – Das sind Höflichkeitsgebärden, die wir immer eingehalten ha-ben.

– Das Wort hat jetzt Herr Müller. – Bitte sehr!

Herr Müller (Amtsgericht Bernau): Darüber hinaus ist der Gleichheitsgrundsatz, nämlich Artikel 3, in er-heblichem Maß tangiert. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1994 festgestellt, dass die Kriminalisie-rung von Cannabisstoffen deshalb nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt, weil es eine kulturfremde Droge sei. Es ging seinerzeit davon aus, dass es sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen um potentiell gleich schädliche Drogen handele. Und aus eigenem Wissen ist uns bekannt, dass wir jährlich 40 000 Alko-holtote zu beklagen haben, dass 50 % aller Straftaten mit Alkohol im Zusammenhang stehen und dass wir dagegen weltweit nicht einen einzigen Cannabistoten zu bedauern haben. Insofern ist die Mär von der Ein-stiegsdroge und den vielen Toten, die eine Liberalisierung bringen würde, wissenschaftlich unhaltbar. Mit anderen Worten:

Aus diesen beiden Gründen ist die generelle Kriminalisierung verfassungswidrig. Verfas-sungswidrig ist aber auch die gegenwärtige Lage in den Bundesländern. De facto macht dieser Ausschuss etwas, was nicht sein Recht ist. Er überlegt nämlich, wie man entkriminalisieren kann. Das Betäubungsmit-telrecht ist Bundes- und nicht Länderrecht. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1994 festgestellt und nur deshalb die gegenwärtige Regelung für möglich erachtet, weil durch die jeweiligen Justizminister auf Landesebene eine Vereinheitlichung herbeigeführt werden kann. Das ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht der Fall.

Wenn Sie nur die Ländergrenzen überschreiten, werden Sie unterschiedliche Regelungen fin-den, und auch das ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz. Insgesamt wird alles, was zur Liberalisierung gemacht werden kann, durch das Bundesverfassungsgericht noch gedeckt. Ich gehe allerdings davon aus, dass sich das Bundesverfassungsgericht bereits in den nächsten Monaten mit der Vorlage des Amtsgerichts Bernau beschäftigen wird – ansonsten hätte das Amtsgericht bereits seit langem eine Klatsche bekommen, aber das ist nicht der Fall gewesen – und möglicherweise auf Bundesebene einheitliche Regelungen anstreben, nämlich nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei 15 Gramm zu landen.

Zu den einzelnen Anträgen: Als ich sie las dachte ich – –

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herr Müller! Es gibt zwischenzeitlich einen Antrag zur Geschäftsordnung. Inso-fern muss ich Sie erst einmal unterbrechen, aber danach bekommen Sie wieder das Wort. Ich bitte Sie jedoch noch einmal nachdrücklich im Zeitlimit zu bleiben. –

Bitte, Herr Brinsa!

Abg. Brinsa (CDU): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Der Vortrag von Herrn Müller artet in eine Hauptverhandlung aus. Wir befinden uns im Parlament, und ich fühle mich inzwischen – auch wenn ich durchaus die Auffassung teile, dass wir Gästen die gebotene Höflichkeit entgegenzubringen haben – in einer Form informiert, die ich als ungezogen empfinde. Ich bitte Sie, Frau Vorsitzende, dieses zu unterbinden.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herr Müller, Sie haben das Wort. Ich bitte, sich etwas kurz zu fassen.

Herr Müller (Amtsgericht Bernau):

Ich bedanke mich dafür. – Mit ungezogenen Jugendlichen habe ich viel zu tun. – Neben den FDP-Antrag habe ich „Absolut richtig!“ geschrieben, und genau das steht letztlich in der Vorlage des Amtsgerichts Bernau und ist das, was eigentlich gemacht werden müsste. Was den Antrag der Grünen angeht, so kann ich nur befürworten, dass die 30-Gramm-Regelung eingeführt wird, denn auch die Justiz ist überlastet. Sowohl die Richter und Staatsanwälte als auch die Polizeibeamten kämpfen letztlich für den Papierkorb. Wenn dem jedoch so ist und wir teilweise nicht in der Lage sind, eine vergewaltigte Frau rechtzeitig und schnell genug als Opfer zu behandeln und dieses dem Straftäter genügend in Rechnung zu stellen, dann ist das einfach ein Gebot, eine Frage der Kosten-Nutzen-Rechnung, und es gilt zu überlegen, hier und dort diverse Staatsanwälte und Richter zu entlasten, zumal die Verfahren in aller Regel sowieso eingestellt werden.

Noch kurz zum Antrag der CDU: Die Holländer, Schweizer und Belgier sind konservative Menschen, und sie haben eine Kosten-Nutzen-Rechnung durchgeführt. Sie haben dieses Thema nicht ideologisch besetzt, sondern überlegt, was vernünftig ist. Als ich Ihren Antrag sah dachte ich an Artikel 6 Grundgesetz, der be-sagt: Der Senat hat die Verpflichtung, die Jugend zu schützen. Dadurch, dass Sie einer sachgemäßen und vernünftigen Regelung von vornherein widersprechen, könnte der Gedanke gefasst werden, dass Sie die Ju-gend gar nicht schützen wollen. Nach wie vor ist es in unseren Schulen so, dass jeder erzählen kann, er habe sich am Wochenende halbtot gesoffen, aber kaum jemand sagt: Ich habe gekifft. Die Lehrerinnen und Lehrer gehen also nicht vernünftig mit diesem Problem um, und die Eltern schweigen, weil es nach wie vor tabui-siert ist. Sie reden mit ihren Kindern erst dann, wenn sie bei Gericht erfahren, dass diese regelmäßig kiffen und sie dort vorgeführt werden. Das alles sind Gründe dafür, weshalb wir zu einer sachgemäßen, vernünfti-gen und vor allen Dingen tabulosen Cannabispolitik zurückkehren müssen. Machen wir es doch wie die Schweizer und Niederländer! – Danke schön!

– [Beifall von den Zuhörenden] –

Frau Vors. Dr. Schulze:

Sehr verehrte Damen und Herren! Für mich als Ausschussvorsitzende wird es langsam etwas schwierig. Ich bitte Sie von Beifallsbekundungen Abstand zu nehmen, denn die Regelung in diesem Haus besagt, dass wir Expertinnen und Experten anhören, jedoch in sachlicher Form und mit einer angemessenen Ruhe. Alle nachfolgenden Redner müssen vielleicht auch nicht so laut reden wie Herr Müller. Insofern werden wir jetzt zu einer sachlichen Diskussion dieses Themas übergehen. Es liegen bereits einige Wortmeldungen vor. – Bitte, Herr Hoffmann, Sie haben das Wort!

Abg. Hoffmann (CDU):

Vielen Dank, Frau Vorsitzende! – Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Vorsit-zenden des Rechtsausschusses zu entschuldigen. Er hatte leider nicht die Möglichkeit, an dieser Sitzung teil-zunehmen. Ich bin jedoch ganz froh darüber, denn er wäre, glaube ich, insbesondere über die Anmerkungen erschrocken, die der letzte Redner „abgelassen“ hat. Um es einmal deutlich zu sagen: Sie befinden sich hier vor einem Parlament, das einen gewissen Respekt verdient. Sie brauchen nicht zu tun, als würden hier ir-gendwelche Dumpfköpfe sitzen, die nicht wissen, worüber sie entscheiden sollen. Wir machen uns unsere Gedanken.

– [Zurufe] –

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herr Hoffmann! Auch Sie bitte ich um die nötige Sachlichkeit.

Abg. Hoffmann (CDU):

Vielen Dank, Frau Vorsitzende! Ich werde selbstverständlich sofort zu der notwen-digen Sachlichkeit zurückkehren. Ich hätte mir nur gewünscht, Sie hätten einen solchen Einwand rechtzeitig auch gegenüber dem Anzuhörenden angebracht.

- [Beifall bei der CDU] –

Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist sachgerecht? Darüber sollten wir uns in diesem Ausschuss Gedanken machen sowie in einem weite-ren Ausschuss, nämlich im Rechtsausschuss, der am Ende noch einmal über diese Fragen diskutieren wird. Dem Schutz der Jugendlichen und der Fürsorgepflicht gebührt unserer Ansicht nach eine besondere Auf-merksamkeit. Deswegen ist die Frage an die Anzuhörenden: Welchen Vorteil hat denn überhaupt derjenige, der Cannabis nimmt? Welcher Ansatz spricht dafür, Cannabis möglicherweise zuzulassen und erweitert frei-zugeben? Eine Debatte darüber ist besonders wichtig, denn wenn Sie in einer ständigen Penetranz propagie-ren, dass es nichts ausmache, eine weitere Droge – – Ich sage ausdrücklich, dass ich keine Debatte über ei-nen Vergleich zwischen den verschiedenen Drogen führen möchte, um dann dazu zu kommen, dass es eine schlimmere und eine weniger schlimme Droge gibt. Vielmehr müssen wir uns über die Frage Gedanken ma-chen: Wie viele Drogen gibt es insgesamt? Das Europäische Parlament und die dort Verantwortlichen haben sich darüber Gedanken gemacht und sind bezüglich des Rauchens zu dem Schluss gekommen, klare Ver-schärfungen anzugehen. Sie sagen: Wir müssen den Drogenkonsum einschränken und vor gesundheitlichen Schäden warnen.

Insofern stellt sich auch die Frage, wie der Schutz umzusetzen ist. Ist es möglich, im Vorfeld besser zu in-formieren? Mich interessiert insbesondere, von Ihnen, Frau Dr. Schulze von teenex e. V., die Sie mit den Betroffenen arbeiten und Erfolge gehabt haben, zu erfahren, wie man hätte vorgehen müssen, damit die Ju-gendlichen besser geschützt gewesen wären. Denn es ist ein Problem, in der öffentlichen Debatte etwas zu verharmlosen oder – wie es der Herr vom Hanfverband dargestellt hat – zu sagen, dass alles gar nicht so schlimm sei und man sich die Frage stellen müsse, wie sich eher gegen andere Dinge vorgehen ließe, weil Cannabis im Vergleich zum Alkohol gar nicht so problematisch sei.

Das führt dann bei denjenigen, die in diese Versuchung kommen oder bei denen eine entsprechende Neugier geweckt wird, dazu, dass sie sagen: Ach, das ist nicht so schlimm, das kann ich mal machen. Wäre es aus Gründen des Schutzes und der Fürsorgepflicht nicht besser, wenn wir als Staat ganz klar sagen würden, nein, das ist gesundheitsgefährdend, das sollte nicht gemacht werden? – Meine Kolleginnen und Kollegen werden dazu sicherlich noch weitere Fra-gen haben und einige Ausführungen machen, insbesondere was die Gesundheitsschädigung angeht.

Sie haben vorhin das Thema „Genussmittel“ erwähnt. Da stellt sich mir die Frage: Werden denn durch Can-nabis mehr oder weniger oder gleichviel Endorphine freigesetzt wie bei der Schokolade? Wenn man das schon mit Genussmitteln vergleicht, dann frage ich mich, welchen Vorteil man damit in Anspruch nehmen kann. Wenn es um die Kriminalisierung geht, dann haben wir trotz der Zulassung beispielsweise der Zigaret-ten einen Schwarzhandel, der sich über Preise definiert, also haben wir trotzdem Kriminalität. Wie beantwor-ten Sie das? – Dabei möchte ich es erst einmal belassen.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Mit Blick auf die Uhr bitte ich alle Nachfolgenden, sich kurz und knapp zu fassen, damit wir etwas zügiger voranschreiten. – Herr Kleineidam, bitte!

Abg. Kleineidam (SPD):

Danke, Frau Vorsitzende! – Ich muss gestehen, dass es mir etwas schwer fällt, nur Fragen zu stellen. Aber es fällt mir ohnehin schwer, dieser Diskussion zu folgen. Sie zeigt wieder einmal, wie emotional über dieses Thema in unserer Gesellschaft diskutiert wird. Ich glaube, dass niemand – auch nicht von den antragstellenden Fraktionen – die Schädlichkeit von Drogen in Frage stellen oder deren Kon-sum fördern möchte. – So habe ich jedenfalls diese Anträge verstanden. – Die Frage, über die wir zu disku-tieren haben, ist, ob es gesundheits-, kriminal- oder rechtspolitisch Sinn macht, solche gesundheitlichen Gefahren mit strafrechtlichen Verboten zu bekämpfen. Ich hoffe, dass wir uns – entgegen der letzten Stunde – in der künftigen Diskussion mehr auf einer sachlichen Ebene bewegen werden und versuchen, die verschiedenen Gesichtspunkte gegeneinander abzuwägen. Denn dass Verbote allein nicht unbedingt helfen, ist, glaube ich, auch aus anderen Rechtsgebieten unstrittig. Ich muss mir schon jeweils im konkreten Einzelfall überlegen, ob ein strafrechtliches Verbot Sinn macht, welche Folgewirkungen es hat und ob diese Folgewirkungen – auch im Vergleich zu dem angestrebten Ziel – noch zu rechtfertigen sind. Ich muss geste-hen: Wenn ich mir überlege, dass das Verbot von Rauschmitteln wie Cannabis den illegalen Markt überhaupt erst möglich macht, dann liegt für mich persönlich schon ein großes Problem darin, dass die enormen Ge-winnspannen nur auf Grund des Verbots möglich sind. Das ist im Grunde genommen die Geschäftsgrundlage für eine organisierte Kriminalität. Wenn Sie einmal die internationale Polizeistatistik lesen und der Frage nachgehen, woraus sich der internationale Terrorismus finanziert, dann erfahren Sie, dass dieses Geld zu 90 % aus Gewinnen des Drogenhandels stammt. Das gesundheitspolitische Ziel, das wir verfolgen, nämlich Schaden vom Einzelnen abzuwenden, erkaufen wir uns andererseits mit erheblichen Gefährdungen. Diesen Kontext müssen wir betrachten, um eine angemessene Antwort auf die Frage zu finden, ob es weiter Sinn macht, dieses Verbot stehen zu lassen Herr Hoffmann, dann müssen Sie sich auch einen Vergleich mit anderen Drogen gefallen lassen, denn es geht dabei um die Glaubwürdigkeit dieses Staats. Sie können keinem Jugendlichen – wenn er es nicht ver-steht – erklären, warum Sie in diesem Staat, in dieser Gesellschaft Alkohol fördern und Cannabis verbieten. Wenn Sie sich dieser Frage nicht stellen wollen – Sie haben ausdrücklich gesagt, dass Sie eine Diskussion darüber verweigern –, dann machen Sie diesen Staat unglaubwürdig. Es ist nicht nachvollziehbar, warum wir bei dem völlig anderen Thema „Pfand auf Getränke“ Weinflaschen nicht mit Pfand belegen. Die Alkoholin-dustrie in Deutschland kann sich darüber Gedanken machen, wie sie Süßstoff in ihren Alkohol mischt, um möglichst die 12- und 13-Jährigen noch als Konsumenten zu bekommen, und auf der anderen Seite verfolgen wir mit einem riesigen finanziellen Aufwand Cannabiskonsumenten. Wenn Sie auf diese Fragen keine an-gemessenen Antworten finden, dann machen Sie diesen Staat unglaubwürdig. Deshalb fordere ich Sie auf, sich diesen Fragen zu stellen und gemeinsam in diesem Ausschuss angemessene Antworten zu finden. Aus meiner Sicht ist der Vorschlag dieses Modellversuchs eine Möglichkeit, die Diskussionen in den nächs-ten Jahren zu fördern und auf eine sachliche Grundlage zu bringen. Für mich stellen sich jedoch noch einige konkrete Fragen zur Durchführbarkeit eines Modells, die ich an die Experten weitergeben möchte. Zum ei-nen stellt sich die Frage: Kann es Sinn machen, wenn ich einen isolierten Bereich wie Berlin nehme – Herr Ratzmann sagte zu Beginn „Mauer weg“, aber auch mit einer Mauer hatten wir eine gewisse Versorgung. Macht es Sinn, einen Modellversuch, eine Legalisierung in Berlin zu machen, wenn ringsherum in Branden-burg oder im Rest der Bundesrepublik oder in Europa andere Regeln gelten? Vielleicht muss dann ein enormer Konsumentenstrom nach Berlin befürchtet werden. Welche Probleme gibt es dabei? Wie könnte diesen eventuell begegnet werden?

Ein für mich noch völlig offener Punkt ist – das ist auch in allen Diskussionsbeiträgen deutlich geworden –, dass gerade Jugendliche besondere Schwierigkeiten im Umgang mit Drogen haben. Unter gesundheitspoliti-schen Gesichtspunkten ist unser Hauptaugenmerk auf die Gruppe von Elf- bis Fünfzehnjährigen zu richten. Wer mit 20 oder 30 Jahren Cannabis raucht, ist in der Regel verantwortungsbewusst genug, mit seinem Kör-per umzugehen, aber für Jüngere ist Hilfe geboten. Ich glaube, wir alle wissen aus eigenen Erfahrungen – jedenfalls habe ich zwei Kinder im passenden Alter, die aus der Schule erzählen –, wie üblich der Umgang mit Cannabis heute ist. Nur, hilft uns da ein Modellversuch weiter? Auch dann wird der Jugendschutz gelten, und wir werden kaum dazu kommen, einen Modellversuch zu machen, in dem wir an Dreizehnjährige Can-nabis abgeben. Es stellt sich mir die Frage: Wie können wir diese Problemgruppe sachgemäß in einem sol-chen Modellversuch unterbringen? Und Herrn Prof. Kleiber, der darauf hingewiesen hat, dass im Vergleich zwischen früheren und heutigen Statistiken nicht unbedingt von einem Anstieg des Drogenkonsums gespro-chen bzw. dieser nicht belegt werden kann, frage ich: Können Sie über das Alter Aussagen treffen? Durch die Presse geistert immer wieder die These, dass immer jüngere Jugendliche zunehmend Erfahrungen mit Cannabis haben. Muss das so kritisch gesehen werden wie das, was Sie insgesamt über die Konsumentenzahl ausgeführt haben, oder haben Sie darüber andere Erkenntnisse?

In meinem letzten Punkt komme ich konkret zu einem Modellversuch, der sowohl von Herrn Ratzmann als auch von den Experten angesprochen worden ist: Man könnte die Marktentwicklung betrachten. Ich halte das für eine spannende Frage. Ein illegaler Markt hat hohe Preise, die unter Umständen zur Beschaffungskrimi-nalität führen. Dagegen lässt sich zumindest die These aufstellen: Was wäre bei einer Freigabe? Würden die Preise sinken, würde ich dann nicht unter Umständen auch Beschaffungskriminalität überflüssig machen? Wenn wir auf der anderen Seite einen Modellversuch machen, also eine isolierte Insellösung: Kann ich dann freie Preise machen? Oder muss ich dann, wenn die Preise in Berlin viel niedriger sind, befürchten, dass Leute aus Brandenburg kommen und sich legal billig mit Drogen versorgen, um sie dann dort illegal zu ver-kaufen? Ich habe gelesen, dass in Richtung Schleswig-Holstein einmal gesagt worden ist, dass der Preis in einem solchen Modellversuch knapp über dem Schwarzmarktpreis liegen muss, um einen solchen Effekt zu vermeiden. Wenn ich das mache, dann kann ich daraus am Ende keine Erkenntnisse über die Marktentwick-lung ziehen. Deshalb frage ich die Experten: Sind aus Ihrer Sicht Modellversuche denkbar, damit wir am Ende zu verwertbaren Ergebnissen gelangen?

Frau Vors. Dr. Schulze: Bitte, Herr Czaja!

Abg. Czaja (CDU):

Vielen Dank, Frau Vorsitzende! – Ich will mich kurz fassen, auch wenn es schwierig ist, die Fragen nicht mit Meinungsäußerungen zu verbinden. Deswegen werde ich versuchen, das in der ange-messenen Form zu machen, wie es Herr Kleineidam gerade getan hat. – Ich gehe zunächst auf die Dinge ein, die Sie soeben angesprochen haben – erstens: Herr Kleineidam, Sie haben gefragt, wie die Beschaffungskri-minalität in diesem Bereich aussieht. Die Frage würde ich gern an die Experten oder an einige, die sich Ex-perten in diesem Bereich nennen, jedenfalls an Sie, die Sie geladen sind, richten: Gibt es denn im Cannabis-bereich überhaupt Beschaffungskriminalität? Oder ist das Preisniveau nicht teilweise sogar unter dem des Alkohols, so dass in diesem Bereich überhaupt keine Beschaffungskriminalität vorhanden ist? Zweite Frage: Mit welchem Aufwand wird derzeitig Strafverfolgung betrieben? Es wird immer von einem hohen Strafverfolgungsaufwand gesprochen. Ich kenne keine Zahlen darüber, wie hoch der Strafverfol-gungsaufwand in der Berliner Justiz für Cannabiskonsum ist. Vielleicht könnten Sie uns dazu auch noch einige Zahlen nennen.

Und last but not least: Ich hätte gern noch einmal die Kosten, die Sie, Herr Kleineidam, angesprochen haben, von denjenigen, die das Modellprojekt so in den Mittelpunkt gerückt haben, erläutert.

Meine Fragen, die eher in die Richtung gehen, dass deren Beantwortung dafür sprechen wird, dieses Modell nicht durchzuführen, sind – erstens: Herr Prof. Kleiber, sind Sie der Ansicht, dass das wachsende Gesund-heitsbewusstsein nicht nur in Deutschland, sondern auch in allen anderen Ländern – ich erinnere dabei an die Verpflichtung zur guideline bei allen Produkten in Australien und Amerika – dazu führen wird, dass Sie überall die Möglichkeit haben werden, anzurufen, um auszusteigen, so dass der Konsum derartig einge-schränkt wird, dass diese Tendenz eher in eine andere Richtung geht und dass das, was Sie bei Cannabis derzeitig programmieren wollen, im Grunde genommen die Dinge sind, die vor 25 Jahren gefordert wurden, aber dem heutigen „Trend“ nicht mehr entsprechen? Zweitens: Welche medizinischen Erkenntnisse sind derzeit in Klinikversuchen mit Cannabis, Hanf nicht möglich, sondern erst dann, wenn die Grenze entweder auf 30 Gramm nach gesetzt oder ein Modellprojekt eingeführt wird? Alle Studien über Cannabiskonsum bei Krebs- und Aidskranken, über die ich gelesen habe, waren juristisch möglich und vom Gesetzgeber erlaubt. Sie bedurften keines Modellprojekts und wurden auch nicht in den Strafrahmen gestellt. Herr Ratzmann nannte vorhin das Beispiel, dass jemand Hanfkonsum als seine eigene medikamentöse Behandlung angegeben hat und vom Gericht Recht bekam, diese fortzufüh-ren. Diese Beispiele hätte ich gern noch einmal aufgeführt.

Dann wurde vorhin gesagt, dass Cannabiskonsum immer zu Depressionen führen würde. Das stimmt medi-zinisch gesehen wohl nicht. Wenn ich die Studie richtig gelesen habe, dann führt der Cannabiskonsum zu einer Verstärkung der jeweiligen Stimmungslage, in der man sich befindet – jedenfalls war das den medizi-nischen Berichten zu entnehmen, die ich gelesen habe. Meine Frage an Sie, Herr Prof. Kleiber: In welcher Stimmungslage befinden sich denn üblicherweise die Konsumenten; in einer Stimmungslage, die so positiv ist, dass sie danach noch viel glücklicher sein möchten, oder befinden sich die Konsumenten – um im ju-gendlichen Jargon zu sprechen – in einer schlechten, miesen oder Null-Bock-Stimmung, die nach dem Can-nabiskonsum noch viel schlechter ist?

Eine weitere Frage: Die psychische und physische Abhängigkeit von vor allem jüngeren Konsumenten wird in vielen medizinischen Studien in den Mittelpunkt gestellt. Es wird gesagt, dass das bei Konsumenten über 18 Jahren nicht mehr das große Problem ist, sondern vor allem bei den jüngeren Konsumenten. Wenn ich jedoch die Zahlen der Konsumenten in Berlin daneben lege – dazu nehme ich vor allem die Zahlen der Lan-desdrogenbeauftragten, Frau Koller, denen laut eines Zeitungsartikels im letzten Jahr zu entnehmen war, dass ein Großteil der Konsumenten unter 18 Jahre alt ist –, dann frage ich Sie: Für wen ist dieser Modellver-such gedacht, wenn ein großer Teil der Konsumenten dort gar nicht hineinpasst?

Fraglich finde ich – damit komme ich zu meiner vorletzten Frage – die Marktvorstellung der FDP, wenn sie glaubt, in Berlin ein eigenständiges, inselbezogenes Modellprojekt machen zu können. Sie kennen sicherlich die Situation im nahen Gürtel von Holland, wohin man üblicherweise fährt, wenn man sich Cannabis besor-gen möchte. Man geht nicht zu dem illegalen Händler in der nächsten Großstadt, sondern holt sich das im Coffeeshop in Amsterdam. – [Zuruf] – Ich kann darüber nichts erzählen, weil ich dort nicht wohne. Aber Sie, Herr Matz, kommen von dort, und deshalb frage ich Sie: Wenn Sie einem solchen Projekt zustimmen, glau-ben Sie, dass man den Markt in Berlin einengen kann, glauben Sie, wenn Sie bei der Love-Parade sagen würden, dass diese oder jene Droge in diesem oder jenem Modellprojekt zwar von dem Berliner Konsumen-ten erworben werden darf, aber nicht von den anderen, dass so etwas in Berlin funktioniert?

Sie können doch bei aller Ernsthaftigkeit nicht davon ausgehen, dass man ein Modellprojekt in der heutigen Zeit auf den Ber-liner Markt begrenzen kann. Herr Ratzmann hat diesen Antrag sicherlich geschrieben, als sich Berlin noch in einer Insellage befand, das mag sein. Das ist auch nicht das große Problem, aber das muss dann schon den Gegebenheiten angepasst werden.

Nun zu der Mär Einstiegsdroge: Ich gebe Ihnen Recht, dass alle Studien sagen, es sei eine Mär, dass das eine Einstiegsdroge sei. Aber auch die umgekehrte Argumentationslinie, die häufig gefahren wird, nämlich dass der Zugang zu harten Drogen verringert würde, wenn man Cannabis freigäbe, ist dann genauso eine Mär. Das wird in der Debatte häufig verwechselt, und niemand von Ihnen hat das heute erwähnt. Sie haben nur von der Mär gesprochen, dass Cannabis eine Einstiegsdroge sei. Es interessiert mich sehr wohl, was diejeni-gen dazu sagen, die mit den Jugendlichen zu tun haben. Frau Dr. Schulze, welche Erfahrungen haben Sie mit denjenigen gemacht, die sich mit ihren Drogenproblemen an Sie wenden? Haben Sie Erfahrungen damit, was Einstiegsdroge Ja oder Nein angeht? – Vielen Dank!

Frau Vors. Dr. Schulze: Das Wort hat nun Frau Dott. – Bitte sehr!

Frau Abg. Dott (PDS):

Schönen Dank, Frau Vorsitzende! – Es sind eigentlich schon alle Fragen gestellt worden, die man landläufig stellt. Das Problem bei dieser Gesamtdebatte besteht aus meiner Sicht darin, dass auf der einen Seite lange gehegte ideologische Auffassungen der einen oder anderen Studie gegenüber ste-hen, und jeder sucht sich aus den Studien den Teilbereich heraus, der ihm gerade in den Kram passt. – Dabei gucke ich weniger Herrn Czaja als vielmehr Herrn Wansner an. – Wir sollten dieses Thema ernsthaft und allgemein betrachten, denn unsere Aufgabe besteht nicht darin, irgendwelche einzelnen Thesen mit Zähnen und Klauen zu verteidigen, sondern wir sitzen auch deshalb hier, um irgendwelche politischen Entscheidun-gen zu treffen. Ich sitze in diesem Ausschuss auch als Mitglied des Rechtsausschusses und bin aus diesem Grund Herrn Richter Müller dankbar, dass er den rechtlichen Teil so engagiert vorgetragen hat – meiner Ansicht nach muss das in einem solchen Ausschuss erlaubt sein. Er ist der Einzige, der zzt. vor dem Verfas-sungsgericht klagt. Ich bedauere, dass der Vorsitzende des Rechtsausschusses nicht anwesend ist, denn wir haben bei diesen Anträgen die Federführung und werden uns auf juristischer Ebene damit auseinander setzen müssen.

– [Abg. Wansner (CDU): Wir werden ihm berichten!] –

Ich hoffe, dass Sie dem Vorsitzenden des Rechtsausschusses empfehlen werden, sich dieses Urteil

– [Herr Müller (Amtsgericht Bernau): Selbstver-ständlich!] –

einmal im Internet anzusehen. Der Hanfverband hat es zum Beispiel ins Netz gestellt – www.hanfverband.de. Darin ist der gesamte Vorgang auf 73 Seiten zu finden, so dass sich auch die Juristen mit den Paragraphen auseinander setzen können. Das ist nicht meine Lieblingsarbeit, sondern mich interes-siert bei dieser Thematik vor allem der gesundheitliche Aspekt.

Aus diesem Grund halte ich es – ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ohne jemanden zu kränken – für heuchlerisch, sich dermaßen gegen diese eine Droge auszusprechen und derweil die anderen selbst zu kon-sumieren. Ich finde das in Ordnung, was Frau Dr. Schulze in ihrem Verein macht und halte es für völlig rich-tig, Jugendliche aufzuklären und sie darin zu unterstützen, Drogen nicht zu missbrauchen. Und wenn diese Jugendlichen das für richtig erachten und auch so leben möchten, dann ist das in keiner Weise zu kritisieren. Aber es muss auch erlaubt sein, das nicht für die einzig mögliche Umgangsart mit Drogen zu halten – genau-so wenig wie ich Vegetarier kritisieren würde, weil sie ihre Lebensform für gesund halten. Meine Tochter ist Vegetarierin, und ich kenne dieses Problem. Deshalb kann ich anderen Leuten nicht verbieten, Fleisch zu essen. Das hat auch etwas damit zu tun, was man selbst verkraften kann, mit der Kultur und dem schmalen Grad zwischen Sucht und Genuss. Jeder, der eigene Kinder hat, weiß, dass Verbote sowieso nichts bringen. Aus diesem Grund: Wenn wir uns die Cannabisdiskussionen der letzten Jahre ansehen – da ich aus dem Os-ten komme, habe ich das nachgeholt, denn diese Diskussionen wurden in den westlichen Bundesländern schon viel länger und ausführlicher geführt –, dann hat sich im Umgang mit diesem Thema zwar wenig, so doch aber in der Form Diskussion eine Menge geändert, so dass die heutige Schlussfolgerung dahin gehen muss, Cannabis nicht mehr zu verteufeln, sondern diese Droge in den Rahmen zu stellen, in den sie gehört. Ich denke, dass die gesundheitlichen Schäden durch Alkohol – das sage ich auch als ein im Gesundheitswe-sen tätiger Mensch – wesentlichen größer sind und häufiger vorkommen. Allerdings werden sie in der Be-völkerung toleriert, und das kritisiere ich.

Deshalb glaube ich, dass wir mit diesen Anträgen vernünftigerweise umgehen müssen. Allerdings habe ich noch eine Frage an die Angehörten: Sie alle haben darauf hingewiesen, dass bei diesen Anträgen Bundes- und Landesrecht miteinander verschränkt sind. Als Angehörige der Regierungskoalition können wir direkt erst einmal nur das beeinflussen, was tatsächlich Landesrecht ist. Alles andere muss dann als Bundesratsini-tiative oder als Forderung an die Bundesebene formuliert werden. Ich wüsste gern Ihre Auffassung darüber, was aus landesrechtlicher Sicht in baldiger Zeit praktikabel sein wird. Wir können nicht alles auf die Bun-desebene schieben. Aus meiner Sicht werden sich diese Dinge weniger schnell bewegen, als es wünschens-wert wäre.

Dann wüsste ich gern Ihre Auffassung zu der Thematik Cannabis als Medizin. In Ihren Gutachten, die ich ausführlich gelesen habe, gibt es – besonders in den Gutachten von Herrn Prof. Kleiber – dazu ausführliche Abschnitte. Vielleicht können Sie uns noch sagen – zurzeit bewegt sich die Politik gerade auch auf der Bun-desebene –, in welcher Weise Sie eine Möglichkeit sehen, diese Bewegung auf der Landesebene zu unter-stützen. – Damit meine ich zum Beispiel auch den geringen Anbau von Cannabis zum Eigenbedarf, also das Thema, das öffentlich gerade eine Rolle spielt.

Ich finde, dass diese Thematik es verdient hat, dass wir endlich zu einer Entkriminalisierung von Gebrau-chern beitragen. Cannabisbesitzer werden nicht allein nur deshalb die Gerichte beschäftigen, sondern es gibt andere Dinge. Aber wenn ich sehe, wie viele der eingeleiteten Verfahren letztendlich wieder eingestellt wer-den, dann bestehen zwischen den einzelnen Bundesländern riesige Unterschiede. Da stellt sich die Frage, warum nicht mit einer einheitlichen Regelung dann auch gleiches Recht geschaffen werden kann – Herr Richter Müller ging vorhin darauf ein. Nur als Beispiel: Schleswig-Holstein liegt bei Einstellungen der Verfahren bei 90 %, Brandenburg bei 12%, Berlin bei 40 % und Niedersachsen bei 44 %. Das geht also quer durch den Gemüsegarten und wird unterschiedlich gehandhabt. Aber in jedem Fall beschäftigt es die Gerich-te, und zwar an der falschen Stelle. Wir alle wissen, wie hoch die Stapel der nicht bearbeiteten Akten überall sind. Wir könnten endlich dazu beitragen, einen vernünftigen und arbeitsökonomischen Schritt zu tun. Aus diesem Grund hoffe ich – wir führen heute nur diese Anhörung durch –, dass wir in der Entscheidung zu diesen Anträgen dann auch in der Drogenpolitik des Landes Berlin ein Stück weiterkommen. Wir haben es bereits in der Koalitionsvereinbarung formuliert – zwar leider nicht so konkret wie wir heute darüber spre-chen, aber immerhin – und die Richtung gezeigt, in die wir gehen wollen. Ich hoffe, dass sowohl die Anträge als auch diese Anträge dazu beitragen werden, dass wir ein Stück weiterkommen. – Danke!

Frau Vors. Dr. Schulze:

Bitte, Herr Matz!

Abg. Matz (FDP):

Eine Richtung habe ich bei der Koalition bisher noch nicht ausmachen können. Aber das ist auch für mich einer der spannendsten Punkte dieses Themas, die im Verlauf der nächsten Wochen noch zu klären sind. An den unterschiedlichen Vorstellungen von FDP und Grünen, die es in Nuancen auch gibt, wird das, glaube ich, nicht scheitern. Aber mir ist noch nicht klar, wohin es bei der Koalition gehen wird.

Frau Dott, ich möchte Ihnen auch in einem anderen Punkt etwas widersprechen, nämlich dass eigentlich schon alle Fragen gestellt wären. Ich habe bisher eher den Eindruck, dass wir in dieser Anhörung noch weit hinter dem zurückbleiben, was eine Anhörung alles zu Tage fördern könnte. Deshalb möchte gleich noch zwei, drei Fragen nachlegen.

Leider komme ich nicht ohne eine Vorbemerkung aus, dies ist eine Replik auf Herrn Czaja und den Markt: Das, was Sie dazu einfordern und fragen, ist exakt und auf den Punkt gebracht von Herrn Kleineidam enthal-ten gewesen. Herr Kleineidam sagte nämlich völlig zu Recht, dass das eine Frage des Preises sei. Denn so-lange man bei einem Modellversuch den Preis so steuert, dass er knapp über dem Schwarzmarktpreis liegt, wird es auch nicht zu großem Cannabistourismus nach Berlin kommen, das ließe sich damit ausschließen. Die Frage im Umkehrschluss lautet nur, wo der Wert des Modellversuchs vor dem Hintergrund dieses Ver-suchs bleibt. Das ist eine ernsthafte Frage, die ich heute gern geklärt wüsste, anstatt wir immer in diesen ideologischen Schichten stecken bleiben. – Ansonsten werde ich das in Richtung CDU damit bewenden las-sen – vor allem nach dem Beitrag von Herrn Hoffmann. Sie haben bestimmt den bayerischen Ministerpräsi-denten Edmund Stoiber schon davon überzeugt, dass er bei der Eröffnung des politischen Aschermittwochs in diesem Jahr mit einem Literglas Mineralwasser dort stehen wird. Dann sind Sie drogenpolitisch sicherlich auf dem richtigen Weg.

– [Abg. Czaja (CDU): Und was trinken Sie bei Ihrem Dreikönigstreffen?] –

Ich habe heute eine andere Haltung vertreten als Sie, und deshalb darf ich Aschermittwoch auch etwas anderes trin-ken. Herr Prof. Kleiber, das Wort „Korrelation“ ist heute zum ersten Mal bei Ihnen gefallen, und seitdem zieht es sich ein wenig durch diese Diskussion. Können Sie uns ein wenig helfen, indem Sie noch einmal etwas zum Wert dieses Begriffs sagen, beispielsweise wo er uns hilft und wo nicht? Beispielsweise stelle ich fest, dass es die extrem hohe Korrelation von fast plus 1 zwischen dem frühkindlichen Konsum von Apfelsaftschorle und dem Konsum von harten Drogen gibt. Jeder harte Drogenkonsument hat in seiner frühen Jugend Apfel-saftschorle getrunken. Deshalb neige ich jedoch nicht zu dem Schluss, dass der Konsum von Apfelsaftschor-le für kleine Kinder etwas Negatives ist in Bezug auf den späteren Drogenkonsum. Also, diese Rückschlüsse, die immer gezogen werden, halte ich für problematisch und in dem Sinn auch die hier diskutierte Einstiegs-droge Cannabis. Es mag sicherlich eine hohe Korrelation geben, dass spätere Konsumenten von harten Dro-gen irgendwann auch einmal Cannabis konsumiert haben.

Die Frage ist nur, ob es dabei einen Sachzusam-menhang, einen zwingenden Zusammenhang des Zustandekommens gibt. Genauso beziehe ich das umge-kehrt auf Ihre Bemerkung bezüglich der psychosozialen Entwicklung von Probierfreudigen. Auch da würde ich jetzt nicht den Rückschluss ziehen wollen, man möge doch möglichst viel Probierwilligkeit zeigen und Cannabis konsumieren, dann würde man im späteren Leben flexibler, neugieriger und selbstbewusster wer- Abgeordnetenhaus von Berlin Wortprotokoll GesSozMiVer 15 / 3415. Wahlperiode 8. Januar 2004 Seite 18 – oe/sth – den. Ich halte diesen Rückschluss für unzulässig, aber hätte das Ganze gern noch einmal von Ihnen kommen-tiert. Dann haben Sie sich zu Recht darauf bezogen, dass für einen Modellversuch das Bundesinstitut für Arznei-mittel/Medizinprodukte zustimmen müsste. Sie sagten, Sie sähen darin eine große Hürde, und von da her würde man wahrscheinlich nur die medizinische Anwendung durchbekommen. Ich lese dieses Gesetz an der Stelle anders und bin der Ansicht, dass man – auch über die medizinische Anwendung hinaus – einen Can-nabisversuch durchaus genehmigungsfähig bekommen könnte. Das Problem, das ich sehe – auch dazu bitte ich um Ihren Kommentar –, ist eher ein politisches. Ich glaube, dass das Institut in seiner Entscheidung nicht völlig frei ist, und wir haben eine rot-grüne Bundesregierung. Deshalb meine Bemerkung an die Grünen: Was immer Sie hier fordern, müssten Sie auch bei Ihren eigenen Leuten auf der Bundesebene durchbekom-men. Mir scheint, dass es auch – genauso wie es damals ein Herr Seehofer nicht so toll fand, wenn es Mo-dellversuche gegeben hat – bei der Drogenbeauftragten dieser Bundesregierung ein Problem gibt bzw. insbe-sondere beim Bundesinnenminister Schily, der gerade auch seine holländischen Kollegen im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum stark unter Druck gesetzt hat. Ich glaube also nicht, dass es eine sachliche oder rechtliche Hürde gibt, sondern eine allein politische auf der Bundesebene.

Meine letzte Frage geht an Frau Dr. Schulze: Sie haben in Ihrer Stellungnahme den Zusammenhang hervor-gehoben, dass das wachsende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung einer Legalisierung von Cannabis-produkten entgegen steht. Mir fehlen dazu die Fakten. Deshalb wüsste ich gern, ob Sie tatsächlich einen Be-leg für diesen Trend haben, nämlich dass das Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung im Ganzen wächst. Oder ist es eventuell so, dass wir ein stärkeres Auseinanderdriften der Bevölkerung feststellen müssen – wie es die Erkenntnisse aus dem Kindergesundheitsbericht des Landes Berlin nahe legen –, indem es auf der einen Seite immer gesündere, fitness- und gesundheitsbetontere Teile in der Bevölkerung gibt, aber gleich-zeitig auch eine andere Gruppe, die immer anfälliger ist für Drogenkonsum, nicht gesundheitsbewusstes Verhalten und viele gesundheitliche Probleme, die damit im Zusammenhang stehen und gar nicht im dro-genpolitischen Bereich liegen? Das ist eine Beobachtung, die ich mache. Aber vielleicht gibt es für das, was Sie geschrieben haben, Fakten, die Sie in Ihrer schriftlichen Stellungnahme nicht aufgeführt haben; die wür-den mich interessieren.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Frau Jantzen, bitte!

Frau Abg. Jantzen (Grüne):

Vielen Dank, Frau Vorsitzende! – Ich betone, dass die Grünen und ich persön-lich garantiert nicht die Probleme und Gefahren, die mit dem Drogenkonsum jeglicher Art verbunden sind, verharmlosen wollen. In diesem Zusammenhang wünschte ich mir, ich könnte selbstbestimmt ohne Drogen leben, wozu es für mich notwendig wäre, dass ich auf bestimmte Dinge keinen Zugriff hätte, weil ich in mei-nem Verhalten nicht so konsequent bin, von bestimmten Dingen meine Finger zu lassen. Was ich mir als Mutter von zwei Jugendlichen wünsche, ist, dass ich mit ihnen über Konsum von illegalen Drogen genauso reden kann wie über Alkohol, weil mir das einen besseren Zugang verschafft, sie auf Gefahren hinzuweisen, und wenn sie tatsächlich Probleme damit haben, ihnen dabei zu helfen. Nun haben meine Kinder das Glück eine Mutter zu haben, die damit relativ liberal umgeht, was viele Kinder und Jugendliche nicht haben. Da wir Grünen es mit der Prävention der Gesundheitsgefahren und des Jugendschutzes ernst meinen, möchte ich darauf hinweisen, dass wir einen Antrag zum Thema „Rauchfrei und Spaß dabei“ gestellt haben. Wir haben also sehr wohl beide Seiten im Kopf.

Insbesondere unter dem Aspekt des Schutzes von Jugendlichen interessiert mich, wie Sie es einschätzen, wenn ein solcher Modellversuch zu Stande käme, was auch von anderen Fraktionen in diesem Haus abhän-gig ist, wo die Altersgrenze tatsächlich anzusetzen ist. Wäre dann nicht doch eine Altersgrenze bei 16 Jahren günstiger, wenn wir wissen, dass viel mehr junge Leute unter 18 Jahren konsumieren? – Ich bitte alle dieje-nigen, die darüber Auskunft geben können, etwas zu sagen.

Herr Kleiber, Sie haben angesprochen, dass die negativen Folgen, die das prohibitive Verhalten beim Gebrauch von Drogen auf die psychosoziale Entwicklung von Jugendlichen hat, noch relativ unerforscht seien. Ich fände es gut, wenn Sie dazu noch Genaueres ausführen würden. – Es ist völlig klar, dass wir mit unseren Anträgen versuchen, auf Landesebene etwas zu regeln – zumindest insoweit, wie es uns möglich ist, was auf Bundesebene zu regeln wäre und dort von uns auch zu regeln versucht wird. Es sollte uns um das gehen, was sachgemäß und vernünftig ist, um Jugendliche und Erwachsene vor gesundheitlichen Schäden durch den Gebrauch von Drogen zu bewahren. Nach allem, was ich hier gehört habe und auch sonst lese und erfahre, haben die Kriminalisierung und das Verbot von Cannabisprodukten niemanden davon abgehalten, es zu konsumieren.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herr Ratzmann!

Abg. Ratzmann (Grüne):

Ich glaube, dass diese Debatte deutlich gezeigt hat, dass wir einen solchen Mo-dellversuch brauchen, auch weil sie eine Diskussion und einen Diskussionsstil widerspiegelt, den wir seit 30 Jahren, nämlich seit Inkrafttreten des Betäubungsmittelgesetzes kennen. Jede Art von Änderung und jeder Schritt in Richtung von Entkriminalisierung führt zu einer ideologiebeladenen Debatte, die mit rationalen Erkenntnisgewinnen und der Nutzung rationaler Erkenntnisquellen überhaupt nichts mehr zu tun hat – so ähnlich kommt mir unsere heutige Debatte vor. Wir haben – das möchte ich noch einmal klarstellen – einen Antrag gestellt, der nicht darauf abzielt, Berlin zu einem Kifferparadies zu machen, in dem jeder frei zu Ma-rihuana- und Cannabisprodukten greifen kann, sondern wir haben einen Antrag gestellt, der darauf abzielt, einen Modellversuch zu machen. Wir werden uns – Herr Prof. Kleiber hat es angesprochen – sicherlich im Rechtsausschuss damit auseinander setzen müssen, inwieweit wir die Voraussetzungen, die das Betäu-bungsmittelgesetz für einen solchen Antrag und Versuch stellt, durch ein entsprechendes Versuchsdesign erfüllen können.

Herr Müller hat die richtige Frage aufgeworfen. Ich hoffe, denn dann würden wir gar nicht mehr handeln müssen, dass das Bundesverfassungsgericht im Sinne Ihrer Beschlussvorlage entscheiden wird, weil dann nämlich die Situation einer völligen Entkriminalisierung gegeben wäre und die Erkenntnisgewinnung jen-seits eines komplizierten Antragsverfahrens im wissenschaftlichen Raum vorangetrieben werden könnte. Dann könnte nämlich Herr Prof. Kleiber in groß angelegten Studien genau das erforschen, was ihm noch auf der Seele brennt, ohne dafür erst einmal einen Antrag über notwendige Versuchsräume beim Institut für Arzneimittel und Medizinprodukte stellen zu müssen.

Wir haben diesen Antrag gestellt und werden uns an den Voraussetzungen des Betäubungsmittelgesetzes entlang tasten müssen. Tatsache ist, dass Schleswig-Holstein an einigen dieser Voraussetzungen gescheitert ist. Eine dieser Voraussetzungen, die im Betäubungsmittelgesetz aufgelistet ist, heißt beispielsweise, dass man sicherstellen muss, dass keine Suchtabhängigkeiten erhalten oder gefördert werden bzw. entstehen kön-nen, dass gewisse Sicherheitsaspekte im Bereich des Anbaus und des Handels erreicht werden können und vor allen Dingen, dass der Zweck des Gesetzes auch weiterhin beachtet wird, nämlich die medizinische Ver-sorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Genau daran ist Schleswig-Holstein gescheitert. Das Amt hat da-mals gesagt, dass der Antrag, den sie gestellt haben, sich gerade nicht darauf bezog, maßgeblich die medizi-nische Versorgung mit in den Fokus zu nehmen, sondern die kontrollierte Veräußerung zur Überprüfung generalpräventiver Effekte. Genau deshalb haben wir in unseren Antrag hineingeschrieben, dass es uns gerade nicht darum geht, in Berlin einen Laborversuch, eine Bodenhaltung für Kiffer einzurich-ten, sondern dass es darum geht, Erkenntnisse zu gewinnen, die notwendig sind, um für die Zukunft eine rationale Diskussionsgrundlage zu schaffen. Darüber möchten wir reden, und dahin müssen wir sehr schnell kommen.

Herr Kleiber hat zu Recht gesagt, dass der FDP-Antrag richtig ist, nämlich zu sagen, dass wir im Bundesrat dafür sorgen wollen, dass die Anlage 1 wegkommt bzw., dass die Cannabisprodukte aus dieser Anlage 1 gestrichen werden. Wer dieses Gesetz liest, wird feststellen, dass das der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Das ist keine Entscheidung, die der Bundestag mit eigener Mehrheit treffen kann. Und wer sich die Konstel-lation im Bundesrat politisch vor Augen führt, weiß, dass das Ganze nicht durchkommen wird. Deshalb ha-ben wir darauf abgezielt, zu sagen, wir wollen auf Landesebene handlungsfähig werden. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist, zu zeigen, dass das in Berlin über einen solchen Versuch gelingen kann. Wir müssen diesen Antrag beim Bundesamt stellen, und es mag sein, dass das Bundesamt politisch beeinflusst ist und so entscheiden wird, aber der Klageweg ist eröffnet in diesem Bereich. Ein Gericht wird die Voraussetzungen prüfen müssen, ob – falls eine Ablehnung kommt – ein wissenschaftliches Design geeignet ist, die tat-bestandlichen Voraussetzungen des Betäubungsmittelgesetzes zu erfüllen. Das können Sie hochtreiben durch die gesamte Klaviatur der Verwaltungsgerichtsbarkeit, wo die politische Beeinflussung eine entscheidend kleinere Rolle spielen wird als bei der Entscheidung des Amts an sich. Das hat Schleswig-Holstein damals nicht gemacht, und es ist bei der Entscheidung des Amts geblieben. Wir haben noch keine juristische Bewer-tung, inwieweit ein solches Vorhaben nach vorne getrieben werden kann.

Was ich von den Expertinnen und Experten und insbesondere von Herrn Prof. Kleiber wissen möchte, ist, ob wir in Berlin eine Wissenschaftslandschaft, eine Suchtmittelforschung haben, die mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen eine notwendige Begleitforschung „designen“, also das Projekt an sich und die Ver-suchsvoraussetzung mit erarbeiten können, um dann auch die entsprechende Begleitforschung zur Auswer-tung der Erkenntnisgewinnung voranzutreiben. Ich fand es interessant, dass Sie die prohibitiven Nebenwir-kungen angesprochen haben, die sich aus der jetzigen gesetzlichen Lage ergeben. Es müsste sicherlich genau hingeschaut werden, ob das unter die Voraussetzungen des Betäubungsmittelgesetzes fällt. Ich neige eher zu der Auffassung von Herrn Matz, dass wir über den reinen Gesundheitsansatz, also dem medizinischen An-satz, wie er im Moment in dem Modellversuch Heroinabgabe gegeben ist, hinausgehen können. Das Gesetz definiert wissenschaftliche Erkenntnis, die im öffentlichen Interesse liegt unter Beachtung genau dieser Rah-menbedingungen des generellen Gedankens des Betäubungsmittelgesetzes, der beachtet werden muss. Eine Fehlvorstellung scheint mir noch immer ein bisschen durch die Gegend zu geistern, wenn ich Herrn Czaja höre, der meint, man könne den Markt gar nicht abgrenzen, dann sage ich Ihnen zur Klarstellung: Ich befinde mich seit 2001 in diesem Parlament. Wenn ich richtig informiert bin, dann war die Mauer zu diesem Zeitpunkt bereits 11 Jahre weg. Ich habe diesen Antrag bestimmt nicht zu dem Zeitpunkt geschrieben, als die Mauer noch bestanden hat. Aber dadurch, dass es sich um einen Versuch handelt, werden wir eine begrenzte Teilnehmerzahl haben, die in die Versuchsanordnung eingebunden sein muss. Es wird keine Situation geben, die einen unkontrollierten Zustrom von Leuten – woher auch immer – nach Berlin mit sich bringen wird, der dann unter den sanktionsfreien Genuss, Erwerb oder Handel von Betäubungsmitteln ergeben könnte. Gerade an die Wissenschaft stellt sich die Frage: Wie kann man eine Versuchsanordnung in diesem Bereich so ges-talten, dass der Erkenntnisgewinn möglichst hoch ist? Wir haben in unserem Antrag einige Punkte angeris-sen. Das ist natürlich keine abschließende Liste, sondern wir sind darauf angewiesen, gemeinsam mit Sach-verständigen dieses Design nach vorne zu bringen. Der wichtige politische Fingerzeig, den wir aus Berlin geben müssen, ist doch: Wir wollen uns bewegen, wir wollen eine andere Cannabispolitik haben, wir sehen die Notwendigkeit, dass es einer rationalen Debatte zu diesem Thema bedarf, und deshalb wollen wir in die-sem Bereich ein Stück weitergehen, um endlich die Entdämonisierung und -ideologisierung dieser Debatte zu erreichen. Ich glaube, dass es Berlin als einer modernen Großstadt gut täte, wenn sie sich genau das auf die Fahnen schreiben könnte vor dem Hintergrund der realen Entwicklung, die wir bei Cannabiskonsum und -produktion haben.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Bitte, Herr Wansner!

Abg. Wansner (CDU):

Frau Dr. Schulze! Bei der teilweisen Freigabe weicher Drogen, wenn diese so käme, wie es teilweise diskutiert worden ist, würden wir dann nicht gerade junge Leute, die teilweise noch labil sind – wir können Herrn Müller raten, einmal zum Kottbusser Tor zu fahren, in einigen Bereichen wäre das sicherlich eine Lehrstunde für Sie –, dazu verführen, Cannabis zu nehmen, weil sie das Gefühl haben, dass die Politik der Meinung ist, dass die Einnahme gar nicht so gefährlich sein kann, wenn derartige Entscheidungen getroffen werden? – [Herr Müller (Amtsgericht Bernau): Ich habe 15 Jahre in Kreuzberg gewohnt!] – Herr Prof. Kleiber, auch ich habe mich mit einigen Studien befasst.
Herr Dr. Charlton Turner, der angeblich über 6 000 wissenschaftliche Studien in Bezug auf Cannabis durchgeführt hat, schreibt:

Keine andere Droge wird von Menschen gebraucht oder missbraucht, die so lange im Körper verbleibt wie Cannabis. Es gibt keine andere legale oder illegale Droge, die jedes wichtige Organ des Körpers angreift und jedes System und jede einzelne Zelle im Körper.

Das heißt, hier ist von jemandem ein klares Urteil gefällt worden, der sich damit beschäftigt hat. Wir wissen, dass gerade diese Droge einen Monat im Körper bleibt, weil sie gar nicht so schnell abgebaut werden kann. Es gibt also wissenschaftliche Studien darüber, und auch das Handbuch über Drogenmissbrauch des Ameri-kanischen Ärztebundes sagt eindeutig, dass Wahnvorstellungen, Persönlichkeitsverluste sowie der Verlust jeglicher Einsicht auftreten. – [Unruhe links] – Besonders gravierend an der Wirkung von Cannabis auf die Hirnzellen ist, dass zerstörte Hirnzellen vom Körper nicht ersetzt werden können – kaputt ist kaputt.

– [Zuruf: Bei Alkohol auch!] –

Das heißt, dass die Diskussion, die wir führen, in anderen Ländern bereits weitergeführt worden ist. Hinken Sie möglicherweise mit Ihrer persönlichen Einschätzung hinter diesen Versuchen her? Wäre es vielleicht notwendig, sich ergänzend mit diesen wissenschaftlichen Studien zu beschäftigen, die andere Länder, die möglicherweise stärkere Probleme hatten, bereits vor uns durchgeführt haben?

Frau Vors. Dr. Schulze:

Ich bitte Sie, den Geräuschpegel etwas herunterzufahren, anderenfalls verstehen wir uns wechselseitig nicht mehr.

– Der Herr Staatssekretär möchte auch noch einige Fragen loswerden. – An dieser Stelle möchte ich ihm im Namen des Ausschusses und aller Gäste zu seinem Geburtstag gratulieren. Herr Dr. Schulte-Sasse sagte, er könne sich nichts Schöneres vorstellen, als mit uns seinen Geburtstag zu feiern. – Bitte, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort!

StS Dr. Schulte-Sasse (SenGesSozV):

Das verschlägt mir die Sprache. Ich bin völlig verwirrt, nur auf Grund dieses völlig überraschenden Glückwunschs und muss mich schnell wieder sammeln. – auch ohne Cannabis. – Ich möchte drei Fragen stellen und will überhaupt keine politische Wertung zu den angesprochenen Themen abgeben. Denn dieser Ausschuss wird sich in einer der nachfolgenden Sitzungen über die Informationen, die heute im Rahmen der Anhörung vorgetragen worden sind, intensiv beraten. Wir werden dann viele der Fragen, die heute aufgeworfen worden sind, noch einmal im Kreis der Abgeordneten diskutieren. Im Rahmen der Redebeiträge der Experten haben sich mir drei Fragen gestellt, die ich gern vortragen möchte. Die erste Frage richtet sich an Herrn Wurth, Frau Schulze und Herrn Prof. Kleiber, und zwar geht es um den Begriff der geringen Menge. Dieser Begriff geht davon aus, dass wir im Bereich des Haschisch- oder Cannabiskonsums eine Entkriminalisierung erreichen wollen. Der Begriff der geringen Menge muss natürlich gefüllt werden. Wir haben heute von drei verschiedenen Dosen gehört, nämlich 6 Gramm – das ist der Grenzwert, den wir heute in Berlin haben –, 15 Gramm und 30 Gramm. Mich interessiert, welche Menge Cannabis einem nicht regelmäßigen und nicht chronischen Gebrauch pro Monat entspricht. Was wäre die ungefähre Richtmenge, die zu Grunde gelegt werden müsste, um einen nicht regelhaften, nicht chronischen Gebrauch von Cannabis pro Monat anzunehmen? Ich frage deshalb danach: Soweit ich Ihre Beiträge verstanden und die Literatur gelesen habe, ist der Cannabiskonsum als solcher unstreitig nicht problematischer als zum Beispiel der regelhafte Konsum von Alkohol oder Tabak. Kritisch wird es allerdings dann, wenn es sich um einen regelmäßigen, chronischen Konsum handelt – wir sprechen dabei von Risikogruppen. Dann ist die Risikoabschätzung anders als bei einem gelegentlichen Gebrauch von Cannabis. Deshalb ist das im Hinblick auf die weitere Debatte eine für mich wichtige Frage.

Die zweite Frage richtet sich an denselben Kreis und betrifft den Modellversuch sowie den damit einhergehenden Jugendschutz. Wir gehen davon aus, dass das eigentliche Problem des Cannabiskonsums in Berlin vor allem die Gruppe der bis 17- bis 18-Jährigen, also der Jüngeren betrifft. Wir haben auch schon gehört, dass ein Modellversuch diese Gruppe gar nicht erreichen kann, weil das schon der Jugendschutz verbietet, so dass drogenpolitische Fragen zum drogenpolitischen Risikomanagement bei der eigentlich gefährdeten Gruppe, nämlich den Kindern und Jugendlichen, über Modellversuche nur schwer zu beantworten sind. Ins-besondere stellt sich für mich die Frage, ob die Annahme plausibel ist, dass man, wenn man einen solchen Modellversuch mit einer geregelten Abgabe von Cannabis machen würde, tatsächlich Einfluss auf die Existenz eines schwarzen Marktes für Jugendliche nehmen könnte. Ich vermute, dass ein solcher Modellversuch an der Existenz eines schwarzen Markts für Jugendliche wenig oder nichts ändern würde, so dass wir im Hinblick darauf – zumindest für diesen Teil der Risikogruppe – keinen wirklichen Gewinn hätten.

Die dritte Frage richtet sich speziell an Herrn Prof. Kleiber. Ich fand das, was Sie zu der Frage der Risiken des Cannabiskonsums ausgeführt haben, sehr aufschlussreich und wichtig, soweit das heute aus der Literatur absehbar ist. Aber ich glaube, dass wir ehrlicherweise feststellen müssen, dass es Bereiche gibt, über die wir wenig oder gar nichts wissen und dass gerade in diesen Bereichen das Nichtwissen nicht bedeuten kann, dass es keine Probleme gibt, auch keine gesundheitlichen Probleme gibt. Im Bereich der Schizophrenie – und speziell darauf zielt auch meine Frage zu der Schizophrenieproblematik von Cannabis – gibt es eine neue Risikofrage, die vor einigen Jahren überhaupt noch nicht diskutiert wurde und noch gar nicht in der Sicht der Risikoforschung im Hinblick auf Cannabis gelegen war. Das ist eine neue Erkenntnis, die übrigens auch zeigt, dass wir in Zukunft ggf. mit neuen Erkenntnissen im Hinblick auf Risiken von solchen Suchtstoffen rechnen müssen. Aber ich halte Ihr – so habe ich es zumindest verstanden – zentrales Argument nicht für plausibel, dass die Schizophrenieproblematik von Cannabis deshalb nicht allzu hoch bewertet werden kann, weil die Schizophrenierate in anderen Völkern völlig unabhängig von der Häufigkeit des Cannabiskonsums liegt, also eine solche direkte Korrelation zwischen Schizophrenierat und Cannabiskonsum auch nicht angenommen werden kann, also auch keine Kausalität angenommen werden könnte. Das erscheint mir deshalb nicht plausibel, weil nach meiner Kenntnis die Schizophrenierate in den verschiedenen Völkern der Welt sehr, sehr unterschiedlich ist, und zwar bis um den Faktor 3, 4, und auch wenn wir uns nur Deutschland anschauen, ist die Schizophrenierate von der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe abhängig. Wir haben also bei den sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen eine völlig andere Schizophrenieanfälligkeit im Vergleich zu den nicht sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Wenn das so stimmt, was ich gerade vorgetragen habe, wäre Ihr Argument, das das Schizophrenierisiko entkräftet, völlig hinfällig, und da würde mich es interessieren, wie Sie das sehen.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Danke schön! – Das ist nun eine Vielzahl von Fragen, die an Sie gerichtet wurden. Alle, die Fragen gestellt haben, sollte noch einmal einen Blick in die Unterlagen werfen, die von den Exper-tinnen und Experten zur Verfügung gestellt wurden. – Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit, die Fragen zu beantworten, die man in den Papieren nicht nachlesen kann. – Wer möchte von Ihnen beginnen? – Herr Wurth, bitte schön!

Herr Wurth (Deutscher Hanfverband):

Ich werde mich bemühen, einigermaßen Struktur in die vielen Fragen hineinzubringen, was nicht ganz einfach ist und was bei der Fülle der Fragen auch nicht sehr schnell gehen wird. – Ich fange mit den eher ulkigen Fragen bzw. Anmerkungen an. Zum Beispiel der Vorwurf, dass hier Cannabis mehrfach als Genussmittel benannt wurde – selbstverständlich ist Cannabis ein Genussmittel. Wenn Sie fragen, was es denn bringt, Cannabis zu konsumieren und nach Schokolade fragen, kann man ein-fach antworten: Für die meisten Konsumenten ist Cannabis einfach ein Genussmittel. Ich nehme an, dass Sie Ihr Leben auch nicht vollkommen abstinent abgewickelt und auch verschiedene Genussmittel konsumiert haben. Das ist auch keine Frage von Moral oder sonst etwas, sondern die Menschen haben offensichtlich ein gewisses Bedürfnis, solche Genussmittel zu konsumieren, und manche entscheiden sich für das eine, und manche entscheiden sich für das andere. Insofern macht es keinen Sinn zu fragen, was speziell der Sinn von Cannabiskonsum ist. Das ist eigentlich der gleiche Sinn, wie bei anderen Genussmitteln eben auch, nur dass eben unterschiedliche Geschmäcker vorhanden sind.

In dem Zusammenhang uns oder mir vorzuwerfen, wir würden Cannabis verharmlosen, möchte ich zurückweisen. Ich habe das ausdrücklich nicht gemacht und habe betont, dass ich durchaus auch Probleme beim Cannabiskonsum sehe, dass es eben einen gewissen Anteil von Cannabiskonsumenten gibt, der offensichtlich Probleme mit seinem Konsum hat. Aber wenn ich gleichzeitig sage, Cannabiskonsum ist mit Sicherheit nicht gefährlicher als z. B. Alkohol, dann ist das keine Verharmlosung, dann ist das einfach eine realistische Einordnung dieser Substanz. Insofern finde ich es eher umgekehrt verharmlosend, wenn gesagt wird: „Über Alkohol und Tabak reden wir nicht.“ Dann ist auch der Einwand von Herrn Kleineidam sinnvoll, zu sagen: Dadurch macht sich Staat unglaubwürdig und dadurch machen sich auch Parteien unglaubwürdig. Ich kann auch sagen, dass z. B. im Internet Bilder per E-Mail kursieren, die Herrn Stoiber beim Fassanstich oder mit der Maß zeigen und gleichzeitig sein Zitat dazu, dass bei der Cannabislegalisierung Tausende von Leuten sterben.

– [Abg. Hoffmann (CDU): Sagen Sie doch bitte etwas zur Sache!] –

Das ist zur Sache – –

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herr Hoffmann, Herr Wurth hat das Wort, und er beantwortet jetzt die Fragen.

Herr Wurth (Deutscher Hanfverband):

Das ist uns gegenüber auch jetzt von Ihrer Seite genannt worden, eben die Frage der Verharmlosung, und darauf möchte ich eingehen.

– [Abg. Wansner (CDU): Die Frage hat Ihnen niemand gestellt!] –

Doch! Sie haben mir vorgeworfen, ich würde Cannabis verharmlosen. Das kommt in der Diskussion sehr häufig vor. Das ist eine ganz grundsätzliche Frage, und ich möchte mir nicht vorwer-fen lassen, dass ich Cannabis verharmlose.

– [Abg. Hoffmann (CDU): Ist Cannabis aus Ihrer Sicht gefährlicher als Schokolade oder nicht?] –

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herr Hoffmann, es gibt eine Geschäftsordnung, auf die ich Sie verweise. – Herr Wurth hat das Wort.

Herr Wurth (Deutscher Hanfverband):

Ich würde darauf eingehen, wenn Sie auf die Idee kommen würden, Schokolade zu verbieten. Vorher sehe ich dafür keinen Sinn. – Ich möchte noch einmal ganz kurz allgemein darauf hinweisen, dass eine Legalisierung natürlich nicht alle Probleme aus der Welt schafft, die mit Cannabis zusammenhängen, z. B. gewisse Abhängigkeitsentwicklungen bei einem kleinen Teil der Konsumenten oder auch Zusammenhang mit Schizophrenieauslösungen oder sonst etwas. Das wird nicht allein durch eine Legalisierung besser werden. Wir brauchen eine Menge anderer Instrumente, gesellschaftliche Vorgänge, um vernünftiger mit Drogen allgemein umgehen zu können und genauso mit Cannabis.

Das ist z. B. ein anderer Schulunterricht, bei dem wesentlich intensiver auf diese Fragen eingegangen wird, und bei dem nicht nur verteufelt wird und gesagt wird: „Cannabis dürft ihr auf keinen Fall anpacken, davon werdet ihr schizophren.“ – wenn die Schüler gleichzeitig in ihrem Umfeld sehen, dass viele Leute kiffen und dabei nur ein geringer Anteil damit Probleme hat, dann macht das unglaubwürdig. Man muss eher sagen: Okay, Genuss-mittel werden konsumiert, Rauschmittel werden konsumiert – Wie sollte man damit umgehen und wie kann so bewusst damit umgehen, dass man keine Probleme damit bekommt? – Das gilt genauso für Alkohol und andere Dinge. Es sind hier auch Diskussionen mit Eltern angesprochen worden. Also, es ist ein ganz offener gesellschaftlicher Prozess, der da nötig ist. Die Frage der Legalisierung oder Kriminalisierung ist nur ein kleiner Teil davon. Deswegen noch einmal: Die Legalisierung wird die Probleme nicht lösen. Umgekehrt: Wenn Sie genau das feststellen und sagen: „Was soll denn die Legalisierung bringen? Gesundheitlich mag dabei gar nicht so ein großer herauskommen. Warum sollen wir dann legalisieren?“ – Dann ist das aus Sicht von Cannabiskonsumenten eine Unverschämtheit, weil auch das Verbot keinerlei gesundheitsfördernde Auswirkungen hat. Es lässt sich nachweisbar laut Statistiken der Bundesregierung niemand vom Cannabis-konsum durch das Verbot abhalten. Es hat für die Leute nur negative Auswirkungen. Aber nur, weil Sie sa-gen: „Ich sehe auch keine gesundheitlich positive Auswirkung der Legalisierung.“ – rennen Sie weiter hinter etwa 3 Millionen Cannabiskonsumenten in Deutschland her und überziehen sie mit über 100 000 Strafver-fahren im Jahr.

Das ist bei der Argumentationsgrundlage nicht hinzunehmen.

– [Abg. Czaja (CDU): Darf ich ganz kurz fragen, woher Sie die Zahl „100 000 Strafverfahren“ haben?] –

Klar! Das sind die offiziellen Zah-len – über 140 000 Strafverfahren. Das sind z. B. die Zahlen im Bundesdrogenbericht, gar nicht mit Straßen-verkehr, nur Strafverfahren wegen Cannabisbesitzes.

Auch die Sache: negatives Signal an Jugendliche. – Ich sehe da kein negatives Signal, wenn ich so eine rea-listische Einordnung finde und mit Ihnen realistisch über Drogenkonsum diskutieren will und sage, dass man z. B. zu Genussgelegenheiten durchaus Genussmittel konsumieren kann, wie meinetwegen das Bier bei einer Familienfeier, aber dass Drogenkonsum zur Problembewältigung nicht sinnvoll ist. In so eine Richtung muss die ganze Diskussion gehen. – [Zuruf von der CDU: Dazu müssen Sie mal Synanon befragen!] –

Ja! Ich gehe dann auch nächste Woche zu Synanon.

Zur Frage nach den Kosten der Strafverfolgung: Da haben wir versucht, uns möglichst weit anzunähern. Sie haben das Papier. Wir konnten nur einen Korridor eingrenzen, der einigermaßen realistisch ist. Wir schätzen einigermaßen konservativ bundesweit die Kosten der Strafverfolgung bei Polizei, Justiz, Gefängnissen usw. auf etwa 1 Milliarde DM. Das können relativ leicht auf die Bevölkerungszahl von Berlin umrechnen und vielleicht noch ein paar Größen, die da noch unklar sind, auch gerne von der Verwaltung nachchecken. Auf jeden Fall ist die Einschätzung, die ich eben irgendwo gehört habe, ein zweistelliger Millionenbetrag inner-halb von Berlin auf jeden Fall realistisch für die Kosten der Strafverfolgung nur von Cannabiskonsumenten wohlgemerkt. Zu den Kosten des Modellprojektes: Dazu habe ich eben schon einmal angemerkt, dass ich mir gut vorstellen kann, dass die Kosten des Modellprojektes durch gewisse Einsparungen, die das Modellprojekt mit sich bringt, komplett aufgefangen werden können, z. B. bei der Strafverfolgung, vor allen Dingen aber auch durch den Verkauf des Cannabis. Es soll ja nicht so wie bei dem Heroinprojekt sein, dass sie das Heroin kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen, sondern dass sie das zu marktüblichen Preisen kaufen und dar-über auch gewisse Kosten des Modellprojekts abgedeckt werden können. Wir können uns gerne noch einmal im Einzelnen darüber unterhalten. Ich habe auch ein Papier zum Anbau von Cannabis geliefert. Da dürfen gewisse Spannen übrig bleiben, die zur Finanzierung des Projektes beitragen. Was das wissenschaftliche Begleitmodell angeht – die Registrierung der Leute mit den Karten, mit dem entsprechenden Chipsystem usw. – hat Schleswig-Holstein damals bei seinem Antrag geplant, von jedem Konsumenten bei der erstmali-gen Registrierung einen Beitrag von 10 € zu nehmen, so dass auch diese Kosten aufgefangen werden. Wenn man das geschickt anstellt, wird die ganze Sache das Land Berlin nichts kosten.

Noch einmal zu der Marktfrage an sich und zu den Preisen: Es kam auf der einen Seite die Frage: Wie soll ein Schwarzmarkt, wie z. B. bei den Zigaretten, verhindert werden? Wie soll verhindert werden, dass hier ein Markt entsteht, bei dem die Preise unterhalb des Schwarzmarktes sind und dadurch von Berlin aus dieses legale Cannabis in die Bundesrepublik strömt? Umgekehrt gab es aber auch die Frage: Wie kann man – wenn man festgelegte Preise hat – noch eine Marktentwicklung beobachten? – Dazu muss ich sagen: Eine Marktentwicklung bei einem Modellprojekt zu beobachten, wird praktisch nicht möglich sein. Das würde bedeuten, dass man einen vollkommen legalen Markt hat, der z. B. auch Import erlaubt, der viele verschie-dene vollkommen frei agierende Anbieter hat. Das wird so bei einem Modellprojekt nicht gehen. Dann wür-de man beobachten, wie hier und da Shops auf- und zugemacht werden, man beobachtet z. B. ob jetzt mehr Cannabis aus den Niederlanden oder aus Marokko kommt. Solche Beobachtungen wird es nicht geben. Wenn man das macht, wird es wahrscheinlich darauf hinauslaufen, dass man lizenzierte Anbaubetriebe – vielleicht ein oder zwei – hat, die die Ware meiner Meinung nach direkt in Berlin produzieren, zu vorher festgelegten Preisen über den Zeitraum des Modellprojektes, so dass da nicht viel zu beobachten sein wird, sondern man wird eher beobachten können, wie z. B. die Konsumenten innerhalb des Zeitraums in irgendei-ner Weise ihren Konsum verändern, auch unter gesundheitlichen Aspekten usw., ob es insgesamt mehr oder weniger werden. Aber ich gehe davon aus, dass keine großartigen Marktschwankungen beobachtbar sein werden. Ich bin auch der Meinung, dass es möglich und notwendig ist, die Preise leicht oberhalb oder auf Preislinie des Schwarzmarktes zu belassen. Damit wird eine bundesweite Versorgung des Schwarzmarktes mit Berliner Cannabis verhindert werden. Bei leicht über den Schwarzmarktpreisen liegenden Cannabisprei-sen werden die Konsumenten das bei entsprechender Qualität akzeptieren. Davon gehe ich aus.

Ein weiteres wichtiges Merkmal der ganzen Geschichte ist, dass dieses Modellprojekt sicherlich nur für Einwohner von Berlin stattfinden wird. Das ist hier noch nicht so deutlich gesagt worden. Die Fragen haben gezeigt, dass es nicht so klar war. So war es auch in Schleswig-Holstein geplant: nicht für eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern, sondern für alle Einwohner Schleswig-Holsteins, aber eben auch nur für die. Des-wegen ist auch dieses Chipkartensystem notwendig, damit die sich eben einmal registrieren. Das wird aus Datenschutzgründen dann gleich wieder anonymisiert, aber es geht nur an Einwohner des entsprechenden Bundeslandes. Die könnten dann wiederum das Cannabis an andere weitergeben, auch an außerhalb von Berlin Kommende, aber dadurch, dass der Preis nicht unter Schwarzmarktniveau liegen wird, ist da nicht mit wesentlichem Ausfluss zu rechnen. Das wird auch einen Drogentourismus, wie er in den Niederlanden zu beobachten ist und was manche auch innerhalb der Niederlande als Problem wahrnehmen, verhindern. Denn in den Niederlanden darf jeder im Coffeeshop Cannabis kaufen, auch eben Deutsche usw. In Berlin wird das nicht der Fall sein. Das wird nur bei Berlinern möglich sein.

Das beantwortet auch die Frage nach der Insellösung: Macht es Sinn, innerhalb von Berlin so einen Modell-versuch zu machen? – Ich würde das eindeutig bejahen, und das ist auch die Frage des weiteren Vorgehens – was man auf Landesebene tun könnte und sollte. Ein Unterschied der Anträge zwischen Grünen und FDP war, ob man sofort innerhalb Berlins dieses Modellprojekt installieren sollte oder erst einmal über den Bun-desrat versuchen sollte, da vorwärts zu kommen. Wie eben schon gesagt wurde, ist es über den Bundesrat nicht sehr wahrscheinlich, dass man da vorwärts kommt und würde die Sache unnötig verzögern. Da gehen wieder Jahre ins Land, in denen überhaupt kein Forschritt passiert. Insofern plädiere ich dafür, so selbstbe-wusst zu sein und zu sagen: Okay, wir sind die Region, die das jetzt anpacken will. Wir wollen es gleich tun. Wir wollen nicht Verzögerungen im CDU-dominierten Bundesrat, und ich bitte daher auch die FDP, über den Punkt noch einmal nachzudenken, ob man den Versuch nicht gleich wagt, ohne den Bundesrat.

Frau Vors. Dr. Schulze (PDS):

Herr Wurth, versuchen Sie bitte zum Ende zu kommen.

Herr Wurth (Deutscher Hanfverband):

Ich versuche, alle Fragen zu beantworten, und ich versuche schon, mich zu beeilen. – Zur Frage der Beschaffungskriminalität ganz kurz: Die ist bei Cannabis sicherlich nicht sehr ausgeprägt. Das dürfte nur einen sehr kleinen Teil der Konsumenten betreffen, die tatsächlich dafür etwas klauen gehen, weil die Kosten des Cannabiskonsums meiner Meinung nach deutlich unterhalb der Kosten von Alkoholkonsum liegen.

Zur Frage Cannabis als Medizin auf Landesebene: Da sehe ich keine großen Möglichkeiten, auf Landesebe-ne vorwärts zu kommen. Der Anbau zum Eigenverbrauch ist ein ganz wichtiges Thema, das heute noch nicht besprochen wurde und was auch Einfluss haben wird auf diese ganzen Fragen z. B. welcher Schwarzmarkt übrig bleiben wird und wie viel Versorgung mit Cannabis außerhalb der offiziellen Wege noch da sein wird. Es ist sicherlich eine sinnvolle Geschichte, wenn Leute ihren eigenen Hanf anbauen – ein zwei Pflanzen auf dem Balkon oder sonst wo – und damit überhaupt keinen Kontakt mehr zu illegalen Strukturen oder sonst was für Beschaffungsstrukturen bekommen. Das ist sicherlich eine feine Sache, die man auch bedenken soll-te. Dabei spielt auch wieder die Frage, nach 15 oder 30 Gramm eine Rolle. Bei der Festlegung auf 15 Gramm ist es praktisch unmöglich – auch nur bei einer Pflanze – darunter zu bleiben, obwohl dabei ein so kleiner Ertrag heraus kommt, dass man den innerhalb von ein paar Monaten ganz gemütlich zum Eigenkon-sum verbraucht. Aber jede normale Pflanze hat mehr als 15 Gramm. Es wäre aber möglich, wenn man nicht allzu große Turbozüchtungen nimmt, unterhalb von 30 Gramm zu bleiben. Dieses Argument sollte man nicht unterschätzen. Zu dem politischen Einfluss auf das BfArM wegen der Entscheidung über das Modellprojekt: Das sehe ich auch so. Damals beim Schleswig-Holsteiner Antrag hat der Bundesgesundheitsminister Seehofer schon im Vorfeld, vor der Prüfung des BfArM gesagt, dass er sich eine solche Genehmigung nicht vorstellen kann. Insofern sind unter den jetzigen politischen Bedingungen Grüne und SPD gefragt, da entsprechend Einfluss zu nehmen. Hier ist sowieso die Frage, wie sich letztendlich die SPD verhält. Die SPD wird bei der ganzen Diskussion der entscheidende Faktor sein. Wenn sich die SPD traut zu sagen: Ja, wir wollen diese fortschritt-liche Drogenpolitik, dann sind Rot-Grün vereint und sollten diesen Einfluss geltend machen können.

Eine konkrete Frage war noch, welche Menge Cannabis von nicht chronischen Konsumenten verbraucht wird. – Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage, weil eine riesige Bandbreite dabei ist. Ein Gele-genheitskonsument kann jemand sein, der einmal oder zehnmal Cannabis im Jahr konsumiert, eine Konsum-einheit kann dann in dem Fall 0,1 oder 0,2 Gramm sein. Es kann auch 0,5 Gramm sein oder noch mehr in-nerhalb einer Konsumdauer. Es gibt aber auch Leute, die relativ häufig Cannabis konsumieren, ohne dabei in irgendeiner Weise auffällige Erscheinungen mit sich zu tragen oder irgendwelche Probleme damit zu be-kommen, die z. B. mehrmals pro Woche konsumieren. Da ist dann die Frage: Ist das ein regelmäßiger Can-nabiskonsument? – Sicherlich. – Aber ist das chronisch? – Abhängigkeit ist auch dann wahrscheinlich nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation noch nicht gegeben, so dass Cannabiskonsumenten, die nicht als abhängig zu gelten haben, auch einige Gramm pro Woche konsumieren können. Da ist also eine große Spannbreite. Aber natürlich wächst das Risiko, desto mehr man sich solchen Grenzwerten nähert, meinetwe-gen einem halben Gramm pro Tag oder mehr. Da ist man sicherlich schon in einem Bereich, in dem manche Konsumenten damit Probleme kriegen könnten. Die Frage ist also schwer zu beantworten.

Zum letzten Punkt: Die Jugendlichen. – Das ist auch aus meiner Sicht eine der schwierigsten Fragen über-haupt in der ganzen Geschichte, und wir haben uns in unseren Empfehlungen für die Richtlinien für Hanf-fachgeschäfte da auch extra herausgehalten, weil wir der Meinung sind, dass das eine Frage ist, die die Poli-tik letztendlich selbst entscheiden sollte. Für 16 Gramm spricht tatsächlich die Realität. Die Leute sind teil-weise deutlich jünger und dass man die Leute eben da abholen sollte, mit sinnvolleren Vertriebsregelungen als wir sie jetzt haben, wie ich sie eben dargestellt habe, die auf jeden Fall besser sind, als die jetzige Schwarzmarktregelung. Damit sollte man möglichst viele Leute mitnehmen. Ich gehe davon aus, dass unter-halb dieser Grenze ein Schwarzmarkt entstehen wird, mit denselben negativen Begleiterscheinungen, die wir jetzt bei allen Leuten haben. Insofern ist tatsächlich die Frage, wie man damit umgeht, ob man Jugendliche, die konsumieren, überhaupt in irgendeiner Weise belangt, wie man mit Erwachsenen umgeht, die an diese Jugendliche weitergeben usw. Insgesamt muss ich aber auch sagen, dass ein möglichst hohes Einstiegsalter aus unserer Sicht auch sinnvoll ist. Problematische Entwicklungen finden vor allem bei niedrigem Einstiegsalter statt. Insofern ist das eine Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit, wo ich auch sagen würde: Vielleicht ist es sinnvoll, wenn die Leute erst ab 18 anfangen. Wir sollten auch dieses Signal setzen, aber letztendlich ist es immer nur ein Signal. Ich persönlich tendierte da hin zu sagen: Eine Altersgrenze von 16 ist sinnvoller als 18, aber das wird sogar innerhalb unseres Verbandes kontrovers diskutiert, so dass ich dazu jetzt kein eindeutiges Votum abgeben will. – Danke schön!

Frau Vors. Dr. Schulze:

Frau Dr. Schulze, bitte!

Frau Dr. Schulze (teenex e.V.):

Sehr verehrte Damen und Herren! – Ich möchte auch in der Chronologie der an mich gerichteten Fragen antworten. Die erste Frage war nach der Prävention: Was hätte den frühzeiti-gen Einstieg verhüten bzw. verhindern können? – Ich muss dazu sagen, dass Jugendliche, die wir betreuen und Jugendliche, die wir auch in teenex – unserer Organisation – im Kontakt haben, ihre ersten Versuche mit Drogen – – Ich gehe durchaus nicht nur auf Cannabis ein. Für uns sind auch Medikamente, Alkohol und Nikotin Drogen. Sie haben mit 8, 9 Jahren angefangen, Nikotin zu rauchen und Alkohol zu trinken. Insofern sind das für sie Einstiegsdrogen gewesen, ihre Befindlichkeit zu verändern, sich zu Gruppen zugehörig zu fühlen oder sich Lernmodellen zu näher, die sie unter den Erwachsenen finden. Da möchte ich wirklich kri-tisch über den gegenwärtig praktizierten Umgang mit Alkohol und Drogen und auch einer Verharmlosung bzw. einer Hinabrückung dieser Drogen in der Diskussion über Cannabis sprechen.

Wir haben auch zu verzeichnen, dass Jugendliche, die begonnen haben, Cannabis zu konsumieren, natürlich für sich – und so reflektieren sie es auch – eine Schwelle niedergerissen haben. Die Leichtigkeit, mit der es heute möglich ist, Cannabis zu konsumieren und das an jeder Stelle in jedem Dorf – – Unsere Einrichtungen liegen auf dem Land, in Brandenburg und um Berlin herum. Es ist zu jeder Zeit möglich, Cannabis zu erhal-ten, auch alle anderen Drogen. Ich muss auch dazu sagen, dass diese Jugendlichen, die so konsumieren, längst nicht mehr kriminalisiert werden. Kriminalisiert werden andere soziale Verhaltensweisen – Gewalt und Diebstahl in Größenordnungen wie Raub – und gehören auch nicht zur Beschaffungskriminalität. Diese Korrelation stimmt in vielen Fällen nicht. Was sich Jugendliche erwartet hätten, wären klare Grenzsetzungen, die sie nicht von ihren Eltern erfahren, die sie auch sehr selten an den Schulen erfahren. Sie wissen nicht, was richtig und falsch ist. Sie haben keine Lernmodelle, keine Vorbilder. Das ist ein Problem. Ein weiteres ist, dass sie nicht ernst genug genommen werden, dass sie keine Verantwortung in den Schulen haben oder auch in ihrem Ausbildungsbereich. Warum pflegen sie z. B. in ihrer Gruppe, in ihrer Szene, in ihrer Peergroup viel engere und viel interessantere und möglicherweise auch ganz andere soziale Neigungen. Weiterhin sagen sie, dass Perspektiven fehlen. Sie setzen sich auch mit dem, was sie in unserer Gesellschaft bewirken können, auseinander. Wie ist ihre Chance auf dem Arbeitsmarkt? Welche Chance haben sie überhaupt, eine Ausbildung zu erhalten? – Was hinzu kommt ist, dass sie auch erleben, wie Jugendliche Drogen konsumieren, und es gibt z. B. eine sehr enge Ver-bindung zwischen den Jugendlichen, die selbstbestimmt ein Leben ohne Drogen leben wollen und das auch praktizieren, und Jugendlichen, die Erfahrungen mit Drogen gemacht haben, auch sehr schmerzvolle Erfah-rungen gemacht haben, die sie auch damit bewusst für ihre Zukunft beiseite lassen müssen, weil die Abhän-gigkeitspotentiale, die sie entwickelt haben, auch auf Grund des langjährigen Konsums, derart sind, dass sie in ihrer weiteren Lebensperspektive unbedingt die Drogenabstinenz pflegen müssen, weil auch ihre Erfah-rungen mit Rückfällen derart ist. Der Austausch zwischen diesen Jugendlichen sagt auch, dass die Verharm-losung von Cannabis, die schon über viele Jahre in der Presse passiert, die durch bestimmte Gesetzesanhö-rungen passiert, dass das Signale für sie setzt, weil sie die medizinischen Begründungen, die politischen Be-gründungen, die rechtlichen Begründungen nicht mehr hören. Sie hören nur: Cannabis ist harmlos. Cannabis ist ein Medizinprodukt. Cannabis kann die Befindlichkeit verändern, und Cannabis ist längst nicht so schäd-lich wie Alkohol. Und das postulieren sie auch. Sie sagen auch, dass sie genau solchen Empfehlungen Folge geleistet haben: Nimm mal nicht den Alkohol, sieh dir die Leute an, die alkoholabhängig werden, mit Can-nabis kommst du besser zurande.

In unseren Einrichtungen sind die Jugendlichen im Wesentliche nicht wegen Opiatabhängigkeit, sondern weil sie eine psychische Abhängigkeit von Cannabis entwickelt haben. Wir haben Wartelisten, die über Jahre nicht abgebaut werden können, weil diese Jugendlichen mit 14, 15 Jahren aus ihrer Schullaufbahn geschleu-dert worden sind und aus anderen sozialen Zusammenhängen, u. a. auch der Familie. Wir haben auch bei der Frage: Was könnte dir helfen? – den Jugendlichen gegenüber ein anderes politisches Bewusstsein, dass sie andere Möglichkeiten der Einflussnahme haben.

Unsere Arbeit im präventiven Bereich an den Schulen ver-teufelt keine Drogen. Wir stellen uns auch nicht prinzipiell gegen Cannabis. Wir wollen über uns reden oder die Jugendlichen über sich und ihre Erfahrungen in der Schule, mit ihren Eltern, in unserer Gesellschaft, und das wird thematisiert. Es wird auch thematisiert: Warum konsumiert man Drogen? – Und es wird auch frei-mütig gesagt, es wird kein Tabu darüber gelegt. Ich kann das nicht feststellen, und ich habe in den 12 Jahren, in denen ich in diesem Bereich Prävention, Suchthilfe, Jugendhilfe arbeite, habe ich diese Erfahrungen nicht machen können und auch nicht machen müssen. Ich bin froh darüber, weil wir auch ein Stück Lobby für die sind, die Drogenprobleme haben und sich auch wieder integrieren wollen.

Eine Frage zur Einstiegsdroge habe ich bereits beantwortet. Es ist einfach die Schwelle für die Jugendlichen, dass sie eine illegalisierte Droge konsumieren, die relativ leicht zu haben ist und dass sie auch mit anderen Erfahrungen machen wollen. Ich kann Ihnen auch mitteilen, dass dann der Umstieg auf Opiate und Desig-nerdrogen sehr schnell passiert, weil Cannabis nicht die Wirkung, die sie erreichen wollen, erzielt. Es ist sehr wohl richtig, dass Cannabis die Zustände verschärft oder zum Ausdruck bringt und auch potenziert, die in der Persönlichkeit stecken. Insofern wollen sie mehr exzessive Erfahrungen machen. Die machen sie nicht mit Cannabis.

Ein weiteres Problem, das wir z. B. im Zusammenhang mit Legalisierungsdebatte sehen, ist, dass Jugendli-che immer mehr zum Ausdruck bringen: Ich muss erst Drogen nehmen, damit man mich in der Gesellschaft wahrnimmt, dass ich über ein Förderprogramm einen Ausbildungsplatz bekomme, dass ich in eine gute The-rapieeinrichtung komme oder dass meine Eltern sich wieder für mich engagieren und sich darauf einlassen. – Das ist auch eine Erfahrung, die sie machen. Für benachteiligte Jugendlich gibt es in einem viel größeren Umfang Programme in Bezug auf die Integration in die Ausbildung oder in das Berufsleben und auch in eine Gesundheitsvorsorge als für Jugendliche, die selbstbestimmt ohne Drogen leben wollen. Das sind auch Zei-chen, die wir mit der Diskussion, wie wir sie jetzt führen, setzen. Ich wünsche mir, dass wir die Ressourcen – da spreche ich im Namen der Jugendlichen –, die wir haben – sowohl wissenschaftliches als auch politisches Potential – einsetzen, um über die Situation der Jugendlichen im Bereich des Alkoholmissbrauchs und -kon-sums, des Nikotinmissbrauchs und auch der Bewertung dieser legalen Drogen, mehr Kraft einsetzen und dass wir als Erwachsene, z. B. Lehrer, Ärzte und andere Gruppen, die politisch ausstrahlen können, auch für Jugendliche ein Vorbild sein können, weil es Menschen sind, die vorleben, wie sie mit Problem und Konflik-ten umgehen. Das ist das, was Zeichen setzt und was dann auch diesen Damm nieder reißt und Jugendliche darauf neugierig macht. Wir haben es mit Sicherheit damit zu tun, dass nahezu alle Jugendlichen einmal diese Erfahrungen machen wollen und probieren wollen. Das ist auch nicht das Thema. Das Thema ist, dass wir mit einer Erklärung – wir können den Gebrauch von herkömmlichen Drogen – unsere so genannten Kul-turdrogen – seit Jahrhunderten mit Erfahrungen stützen, und diese Erfahrungen sind beileibe nicht positiv – eine weitere Droge hinzusetzen, einen Feldversuch an Menschen machen, den ich einfach nicht verantworten könnte, weil er eine Zielgruppe gefährdet, die keine Muster und keine Möglichkeiten hat, weil sie es von ihren erwachsenen Eltern nicht lernt, weil ihnen z. B. der vernünftige Umgang mit Alkohol, Nikotin und Medikamenten auch nicht vermittelt wird, wie es möglicherweise in früheren Generationen einmal war. Aus diesem Grund halte ich es für gefährlich, wenn man sich nicht im Vorfeld die Erfahrungen derer, die konsu-mieren und die unter den gegenwärtig gegebenen Bedingungen konsumieren, ansieht. Ich sage es einmal mit dem Status quo, dass viele über den illegalen Markt konsumieren können, und ich bezweifle, dass mit dem Versuch, den Sie vorhaben, dem Schwarzmarkt irgendwelche Grenzen gesetzt werden, denn die Kreativität, neue Felder und neue Zielgruppen und neue Drogen zu entdecken, sind ungemein größer, als wir uns mögli-cherweise vorstellen können.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Recht herzlichen Dank! – Herr Prof. Kleiber bitte!

Prof. Dr. Kleiber (FU Berlin):

Wenn ich in die Runde schaue, dann habe ich den Eindruck, dass es – ob-wohl hier sehr sitz- und aufmerksamkeitsgeschulte Menschen um mich herum sitzen – doch einen gewissen Preis gibt, den die Zeit hat. Deshalb will ich versuchen, auf die mir gestellten Fragen einigermaßen kurz ein-zugehen. Ich möchte mich vorab schon dafür entschuldigen, dass das wahrscheinlich nicht für alle befriedi-gend sein wird, denn um auf eine jede einzelne Frage einzugehen, brauchten wir wahrscheinlich mehrere Tage, und die haben wir nicht.

Ich fange von hinten an, weil ich Ihre letzten Fragen, Herr Staatssekretär, bemerkenswert konkret fand und deshalb auch gerne beantworten möchte. Zur Frage: Was ist eine geringe Menge? – Und: Wie verhält es sich mit der Relation einer geringen Menge und der Menge, die man im Rahmen eines chronischen Substanzmit-telgebrauchs nutzt? – Wenn es diesen Zusammenhang zwischen der Definition einer geringen Menge und dem Verbrauchsmuster gäbe, dann wäre mir ein bisschen wohler. Das Problem ist nur, dass es bei der Defi-nition einer geringen Menge entweder um eine Menge geht, die man bei sich führen muss, damit ein Straf-verfahren nicht niedergeschlagen werden kann – das hat also etwas mit einem justitiellen Umgang, nicht aber mit einem Konsummuster oder irgendeinem Konsumverhalten zu tun –, oder die geringe Menge ist, wenn man sie im Rahmen eines Modellversuchs definiert, möglicherweise die maximale Menge, die jeweils abge-geben werden darf. Dann weiß ich aber nicht, wie oft diese geringe Menge gekauft wird, wie oft sie konsu-miert wird oder ob ich mir die geringe Menge von einer Freundin oder einem Freund zusätzlich geben lasse, die ihrerseits gar nicht konsumieren wollen. Die geringe Menge hat mit dem konkreten Konsummuster und Gebrauch der Substanz fast gar nichts zu tun. Insofern ist die Definition einer geringen Menge tatsächlich mehr etwas, was den Innenausschuss und die Ökonomie des justitiellen Apparats betrifft als eine gesund-heitspolitisch relevante Frage. Ich habe bei meinem Vorredner, Herrn Wurth, herausgehört – was mir neu war –, dass es möglicherweise pragmatische Gründe gibt und die geringe Menge etwas mit der Pflanzengrö-ße zu tun hat. Man müsste die Pflanze irgendwie beschneiden, damit man sicher ist, dass man nicht mehr als eine geringe Menge hat. Solche pragmatischen Dinge sind mir bisher fern gewesen, mögen aber tatsächlich justitiabel gefasst werden müssen, wenn man sich mit der Definition der geringen Menge befasst. Alle Be-gründungsmuster für geringe Mengen, die ich kenne, sind letztlich willkürlich und nehmen einen indirekten Bezug auf gesundheitswissenschaftliche Sachverhalte, aber keinen direkten.

Zum Modellversuch und seiner Zielgruppe: Wenn wir uns die bundesdeutsche Realität anschauen, dann liegt das Einstiegsalter für Cannabis derzeit bei 16,5 Jahren. Es lag vor mehr als 10 Jahren bei 16,9 Jahren. Es gibt also einen moderaten Abfall des Einstiegsalters. Diesen zu bewerten, ist allerdings nicht ganz einfach, weil wir parallel zur Tatsache, dass das Einstiegsalter nach unten sinkt, Indikatoren haben, dass das Einstiegsalter von so vielen Dingen nach unten geht. Die Menarche bei Mädchen ist in den letzten 30 Jahren um 3 Jahre nach vorne gerückt. Wenn Jugendliche heutzutage früher in die Pubertät, in die Jugendphase, kommen, dann ist es auch erwartbar, dass die entsprechenden Verhaltensweisen früher gezeigt werden. Das hat mit Politik oder Drogenverfügbarkeit oder so etwas zunächst einmal gar nichts zu tun, sondern eher mit dem Entwick-lungsalter. Gleichwohl gilt die Tatsache – die ich auch in meinem Beitrag erwähnt habe –, dass das Ziel jeder vernünftigen Drogenpolitik sein sollte, das Einstiegsalter möglichst nach oben zu verschieben. Es gilt die alte Grundregel: Wenn man bis zum 21. Lebensjahr eine Substanz nicht konsumiert hat, dann geht die Wahr-scheinlichkeit gegen Null, dass man noch zu einem regelmäßigen Konsumenten wird. Das gilt für illegale Drogen, für Alkohol und vor allem auch für Tabak. – Zum Modellversuch: Wenn man beispielsweise über 16 Jahre als Teilnehmeralter ansetzen würde, dann bekommen wir mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder die-selbe Diskussion, wo die Vergleichbarkeit mit Alkohol ist, der ab 16 Jahre konsumiert werden kann. Wenn wir 16 Jahre ansetzen würden, dann hätten wir realistischerweise, wenn wir von einem derzeitigen durch-schnittlichen Einstiegsalter von 16,5 Jahren ausgehen, etwa 60 % derjenigen, die Cannabis real konsumieren, in einer solchen Population mit drin. – So viel zu den Verteilungen.

Was die Risiken des Cannabiskonsums in Bezug auf die Schizophrenieentwicklung anbelangt, die Sie zu Recht angesprochen haben, habe ich zu differenzieren versucht zwischen der These, dass Cannabis schizophrenien verursacht, also der Verursacherhypothese, und einer zweiten Hypothese, dass Cannabis latent vor-handene Schizophrenien auslöst. Wenn die Verursacherhypothese richtig ist, dann muss es einen logischen Zusammenhang geben zwischen der Zahl derjenigen, die konsumieren, und dem steigenden Risiko, an einer Schizophrenie erkranken. Das heißt: Wenn Cannabis die Schizophrenien verursacht, dann muss sich ein Mehr an Risikoexposition in einem Mehr an Schizophrenien niederschlagen. Dieses scheint aber weltweit nicht der Fall zu sein, denn – da bin ich anders informiert als Sie – die Schizophrenie gehört zu den wenigen psychiatrischen Störungsbildern, die weltweit eine Prävalenz von etwa 1 % haben. Es variiert marginal. Richtig ist allerdings, dass es in den sozialen Schichten Differenzierungen gibt. Das hat wiederum mit zwei Dingen zu tun: einmal mit der Tatsache, dass es nicht nur eine biologische Wirkung der Schizophrenieent-wicklung gibt, sondern auch Lebensumstände mit eine Rolle spielen können, vor allem aber auch, dass es im Zuge der Entwicklung einer Schizophrenie zum Social drift kommt, d. h. dass Menschen, die eine latente Schizophrenie haben, weniger leistungsfähig sind und eine Tendenz haben, sozial marginalisiert zu werden und sozial abzusinken. Innerhalb der Schizophreniepopulation sammeln sich Menschen, die dann sozial an den Rand gedrängt sind, und dadurch finden wir epidemiologisch diesen Effekt, den Sie vermutet haben. Die Fachwelt ist sich noch nicht ganz einig darüber, ob die kausale Hypothese, die Verursachungshypothese, in Bezug auf die Schizophrenie ganz zurückzuweisen ist. Dieses epidemiologische Argument, das ich angeführt habe, gilt aber als eines der starken Argumente. Im Übrigen ist man – auf die ganze Bevölkerung hochge-rechnet – immer noch in einem Bereich der niedrig prävalenten Phänomene.

Die Frage des Kollegen Wansner, ob wir die Studien auch alle richtig ausgewählt haben und bewerten, ist eine Frage, die man zu Recht stellt. Deswegen sind Herr Kovar und ich so vorgegangen, dass wir gesagt haben: Wir gucken uns in allererster Linie an, welche Studien methodisch wie sauber gearbeitet sind, und daraus machen wir eine Selektion, und nur diejenigen, die wissenschaftlich sauber gearbeitet sind, kommen in ein Review mit rein. – Wir haben ein Sample von mehr als 5 000 Studien analysiert. Wenn man sich an-schaut, wie viele übrig bleiben von denen, die methodisch kontrolliert und brauchbar wissenschaftlichen Kriterien standhalten, dann reduziert sich das schnell auf ein paar hundert. Mit anderen Worten: Es gibt Ge-legenheit für alle, sich alles herauszugreifen und so zu tun, als würde es sich um eine wissenschaftliche Stu-die handeln. Man ist im Rahmen solcher Anhörungen leider Gottes darauf angewiesen, einen gewissen Ver-trauensvorschuss als Wissenschaftler in Anspruch zu nehmen und zu sagen: Wir haben das wissenschaftlich seriös gemacht. – Alle Rezensionen, die unser Review betreffen, haben mindestens das auch bescheinigt. Insofern sage ich Ihnen mit aufrechter Haltung und gutem Gewissen, dass wir die wichtigsten und metho-disch besten Studien ausgewertet und einbezogen haben und selbst auch nach den höchsten wissenschaftli-chen Kriterien vorgehen.

Die Tendenz dabei ist – und das muss aufmerksam stimmen – sowohl bei der Weltgesundheitsorganisation, beim Schweizer Bericht, beim holländischen Bericht, bei der International Cannabis Task Force, an der fünf europäische Länder beteiligt sind, als auch bei unserem eigenen Bericht einhellig. Wir haben es mit der merkwürdigen Diskrepanz zu tun, dass sich die Wissenschaft weltweit über die gesundheitlichen Risiken viel einiger ist, als die gesellschaftliche Diskussion es erwarten lässt, und die gesellschaftliche Diskussion ist offenbar sehr viel polarisierter und deshalb auch geneigter, Einzelmeinungen sehr akzentuiert wahrzuneh-men, in die Diskussion einzuführen und damit den Trend der Gesamtdiskussion zu diskreditieren. Das kann ich nur konstatieren und mache an dieser Stelle darauf aufmerksam, damit das Parlament und der Fachaus-schuss in solche Fallen nicht hineintappt. Das sollte man nicht tun, sondern ein bisschen auf das vertrauen, was als mehrheitlich gesichert gilt.

Dabei gibt es ein Phänomen, auf das ich zurückkommen muss – speziell mit Bezug auf Frau Dr. Schulze –, das mir mühsam über die Jahre in der Beschäftigung immer wieder bewusst und klar geworden ist: Wir müs-sen bei den Risikoabschätzungen differenzieren zwischen einer bevölkerungs- oder populationsbezogenen Risikoabwägung und einer medizinischen Perspektive, die vom Einzelfall ausgeht. Die Tatsache, dass ein Gesamtrisiko XY zu bewerten ist, sagt noch überhaupt nichts darüber aus, wie tragisch oder auch harmlos ein individueller Fall verlaufen mag. Wenn ich medizinisch-konkretistisch am Einzelfall orientiert argumen-tiere, dann finde ich Argumente für alles und jedes, treffe aber dummerweise nicht das, was Sie als Politiker interessieren muss, nämlich die Gesamtabschätzung des gesellschaftlich Erwartbaren bei bestimmten Ent-scheidungen. Dies muss aber von der Politik erwartet werden.

Die Frage war, ob wir eine hinreichend gute Wissenschaftslandschaft für die Durchführung eines Modellver-suchs im Raum Berlin haben. Gerade hat sich eine Berlin-Brandenburgische Suchtakademie gegründet. Es gibt sowohl im biologischen als auch im sozialwissenschaftlichen Bereich eine Expertise, die sich national und international sehen lassen kann. Insofern bin ich da guter Dinge. Die Durchführbarkeit eines Modellversuchs, was die technische Seite anbelangt – man müsste sicher viele Details im Einzelfall diskutieren –, halte ich nicht für in Frage gestellt. Ich halte allerdings eine Grundfrage – für mich jedenfalls – noch nicht für hinreichend beantwortet, nämlich welches konkrete Ziel den Erfolg eines Modellversuches ausmachen soll. Wenn ich beispielsweise als Wissenschaftler gefragt würde, einen Modell-versuch zu evaluieren, dann muss ich vorher definieren: Welches sind die Erfolgskriterien eines Modells? Wann hat ein Modell Fehler? Wann sind Misserfolge festzustellen? – Die epidemiologische Orientierung würde beispielsweise nahe legen, sich die Konsumentenentwicklung anzuschauen, ob die Konsumentenzah-len zunehmen oder nicht. Nur: Wie bewerte ich es, wenn sie zunehmen – bei einer Substanz, von der manche Leute sagen, sie sei harmlos, und andere sagen, sie sei hochgefährlich? – Wenn Sie also einen Modellversuch beschließen, dann empfehle ich dringend, noch klarere operationale Zielkriterien zu benennen, die ein Mo-dellversuch erreichen und auf die hin er evaluiert werden soll, weil wir sonst im Erkenntnisgewinn nicht weiterkommen und möglicherweise Ergebnisse haben, aber unsicher bleiben, wie wir diese Ergebnisse be-werten wollen.

Ich bin auf die Risiken der Pönalisierung angesprochen worden und habe mich ein bisschen auf die doku-mentierten Fälle bezogen, die 1995 in einem Buch der Kriminologischen Zentralstelle zusammengetragen worden sind. Wie viele Fälle von Verstößen gegen § 29 BtMG sind pro Jahr in welchen Bundesländern re-gistriert worden? – 1996 waren es insgesamt 84 425 Fälle, von denen 40,3 % dann nach § 31 a eingestellt worden sind – in einer Variationsbreite von 10 % der aufgedeckten Fälle, die in einem Bundesland niederge-schlagen worden sind, bis zu 90, 92 % in anderen Bundesländern. Wenn ein Bundesland wie Schleswig-Holstein, wo ich auch als Sachverständiger bei einer Anhörung geladen worden bin, 92 % der Fälle nieder-schlägt, die die Polizei mühsam aufdeckt und dann staatsanwaltschaftlich verfolgt, dann kann man – würde ich jedenfalls – den Schluss daraus ziehen, dass diese 92 % nutzlose Energie waren, die, wenn man nicht andere Ziele wie möglicherweise ein repressives pädagogisches Ziel dabei im Vordergrund sieht, dann die Polizei und den entsprechenden Apparat frustrieren müsste. Wenn eine Variation zwischen 10 % und 90 % zwischen den Bundesländern existiert, dann ist sicherlich die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts einer einheitlichen Vorgehensweise bezüglich der Frage, was eine geringe Menge ist, bei der niedergeschlagen wird, aus meiner Sicht in Frage zu stellen – um es ein bisschen vorsichtig auszudrücken.

Wir wissen auch nicht und haben darüber überhaupt keine Erkenntnisse, wie viele Schulkarrieren abgebro-chen werden, weil Jugendliche wegen Cannabis kurz vor dem Abitur von der Schule verwiesen werden und dadurch Jahre verlieren und möglicherweise gar keinen Anschluss mehr finden. Zu untersuchen, welche Sozialisationseffekte sich aus solchen Biographien und Karrieren ziehen, habe ich an verschiedenen Stellen schon angeregt und bin dabei überwiegend auf Interesse gestoßen. Allerdings sehe ich noch nicht, dass eine solche Studie in Angriff genommen wäre.

Es gab noch die Frage von Herrn Czaja. Da kann ich den Hinweis geben, dass im März vom Max-Planck-Institut aus Freiburg eine Studie vorgelegt werden wird, bei der man sich mit der Frage beschäftigt, nach welchen Regeln in welchen Bundesländern mit welcher Einstellungspraxis bei geringen Mengen vorgegan-gen wird. Die Ergebnisse liegen bisher nicht vor. Ich bin gespannt darauf. Das soll im März dieses Jahres nachgeholt werden.

Schließlich war die Frage: Was können wir hier im Land Berlin machen? – Mehrheitlich – so habe ich es jedenfalls ein bisschen herausgehört – hegt man eine gewisse Sympathie für den Antrag der FDP, man sieht aber das Problem, dass man dort ohne den Bund nicht weiterkommt. Das heißt nicht, dass man deshalb nicht trotzdem genau in diesem Sinne verfährt. Mein Fragezeichen in Bezug auf die Durchführbarkeit, die Zielfüh-rung und Zielgenauigkeit eines Modellversuchs habe ich ein bisschen angemerkt. Insofern reduziert es sich dann im pragmatischen Gehalt auf die Definition einer geringen Menge. Hier, glaube ich, wäre ein Fort-schritt erreicht, wenn man über das hinauskäme, was wir im Land Berlin haben, und sich ansonsten das Land Berlin in der Diskussion mit den anderen Bundesländern als sehr engagierter Verfechter der Richtung dar-stellen würde, in der die meisten der heute vorgelegten Anträge gehen. Was dabei konkret erwartbar ist, ist in Ihrem Politikfeld und nicht in meinem. Deshalb beneide ich Sie nicht um diese Aufgabe, sondern kann Ihnen nur noch mehr Kraft wünschen, als Sie heute Nachmittag brauchten.

Frau Vors. Dr. Schulze:

Danke schön, Herr Prof. Kleiber! – Herr Müller, bitte!

Herr Müller (Amtsgericht Bernau):

Ich werde mich auch kurz fassen. Zunächst noch mal zu der Frage: Landes- oder Bundesrecht? – Richtig ist, dass Strafrecht und damit auch das Betäubungsmittelstrafrecht Bundesrecht ist. Richtig ist allerdings auch, dass das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Die Länder kön-nen Richtlinien aufstellen, wenn sie sich einigen. – Das ist bislang nicht passiert. Da aber der Bundesgesetz-geber nicht reagiert hat und das Bundesverfassungsgericht bislang auch nicht, ist die Möglichkeit offen, die geringen Mengen auf Länderebene so lange zu bestimmen, bis etwa das Bundesverfassungsgericht bzw. der Bundestag im Einklang mit dem Bundesrat entschieden hat. Insofern ist es möglich, auf 30 Gramm oder 15 Gramm hochzugehen. Die 15-Gramm-Regelung hat Berlin bislang eigentlich schon, weswegen ich per-sönlich – auch in Kenntnis der verschiedenen Verfahren, die damit einhergehen – die 30-Gramm-Regelung favorisiere und diese als einen Fortschritt betrachte.

Zur Beschaffungskriminalität ein Wort: Haschisch ist mittlerweile so billig, dass es einer Beschaffungskri-minalität gar nicht bedarf. 1 Gramm Haschisch kriegen Sie für 5 oder 6 €, es ist billiger als vergleichbare Alkoholika, die Sie bei Getränke-Hoffmann oder sonst wo erwerben können. Insofern ist vielleicht der Ge-danke einer vernünftigen Fiskalpolitik gar nicht so unsinnig. Machen Sie nämlich das Sucht- oder Betäu-bungsmittel ein wenig teurer, so könnte das tatsächlich dazu führen, dass sich Jugendliche überlegen, ob sie zu diesem Betäubungs- oder Suchtmittel dann noch greifen. Im Übrigen kommt dadurch auch Geld in die Staatskasse.

Zum Modellprojekt: Das Modellprojekt per se betrachtet, ist wieder ein Schritt in die richtige Richtung, näm-lich in die Richtung Legalisierung von Cannabis. Andererseits leben wir in Europa, und ich rufe noch mal in Erinnerung: Das große „Modellprojekt“, die Niederlande mit 12 Millionen Einwohnern, läuft seit 30 Jahren – 30 Jahre im Übrigen unter den unterschiedlichsten Regierungen. Vielleicht wäre es insoweit angezeigt, sich mit niederländischen Wissenschaftlern und der niederländischen Regierung über deren Ausarbeitung ihres seit 30 Jahren laufenden Modells kurzzuschließen oder diesbezügliche Personen auch nach Berlin ein-zuladen. Vielleicht ist es auch angezeigt – es gibt ja oft die Mitteilungen, dass Abgeordnete gern reisen –, dass man eine Kaffeefahrt zu Coffeeshops nach Amsterdam plant und sich einmal im Zusammenwirken mit dortigen Politikern und Wissenschaftlern vor Ort anschaut, warum es dort so gemacht wird. Herr Matz kennt sich aus – holländische Grenze –: Vielleicht übernehmen Sie die Organisation?

Zu den Kosten und zu den Ermittlungsverfahren – nochmals: Nach den mir vorliegenden Informationen hatte allein das Bundesland Berlin im Jahr 2002 ca. 8 300 Ermittlungsverfahren. Das sind 8 300 Ermittlungsver-fahren, wo Polizeibeamte gearbeitet haben. Gehen wir nur davon aus – Berlin führt keine entsprechenden Statistiken –, dass alle bei Staatsanwälten angekommen sind, denn nur der Staatsanwalt darf nach der mo-mentanen Rechtslage einstellen. D. h. alle Verfahren mussten von einem gut bezahlten Staatsanwalt, der möglicherweise auch etwas anderes hätte machen können, bearbeitet werden. Ein Teil von diesen Verfahren ist dann an die Gerichte gegangen, die sich wiederum damit beschäftigen mussten, und hier wurde dann wei-ter eingestellt. Viel wurde mithin für den Papierkorb gearbeitet. Nehmen Sie nur das Beispiel Hasenheide. Auch ich bearbeite regelmäßig Fälle aus der Hasenheide – monatlich –, weil viele Asylbewerber, die in mei-nem Landkreis wohnsässig sind, in der Hasenheide mit Cannabis dealen. Allein in der Hasenheide sind etwa 30 bis 60 Polizeibeamte – so habe ich es mir sagen lassen – tagtäglich am Wirken – letztlich für nichts. Wenn Sie diese ganzen Kräfte, dieses ganze Personal, vernünftig bündeln und vor allen Dingen repressiv gegen die harten Drogen auffahren, dann, glaube ich, wäre in der Suchtpolitik ein wichtiger Schritt getan. Diese Kosten – da nehme ich noch den Antrag der FDP-Fraktion – sollten eingespart und für eine Prävention angewandt und hingebracht werden, die nicht nur Cannabis im Auge hat, sondern alle Drogen und die unsere Kinder und Jugendlichen letztlich dagegen stark macht, Drogen allgemein zu nehmen und die nicht auf der einen Seite den Jugendlichen ein so genanntes Mittelstandssaufen vorführt und das als ganz normal betrach-tet und auf der anderen Seite den anderen Suchtstoff, mit dem man sich noch ausgrenzen kann, mit dem man noch als cool gilt, kriminalisiert. Das ist das, was ich mir wünsche: eine ehrliche, offene und vernünftige Drogenpolitik. – Ich danke!

Frau Vors. Dr. Schulze:

Herzlichen Dank, Herr Müller! – Wir sind am Ende der Anhörung. Ich bedanke mich im Namen aller Mitglieder des Ausschusses recht herzlich, dass Sie uns so lange Rede und Antwort gestanden haben. Das Wortprotokoll wird erstellt und Ihnen zugesandt. Dann werden wir vereinbaren, wann der zweite Teil der Anhörung mit einer Beschlussfassung stattfinden wird. Davon werden wir Sie auch in Kenntnis setzen.


Anmerkungen:
Beitrag von Herrn Wansner: Der Abgeordnete Wansner zitierte in seiner Auseinandersetzung mit Professor Dr. Kleiber einen gewissen "Charlton Turner" als Autorität zu Cannabis. Tatsächlich heisst dieser Herr "Carlton", nicht "Charlton" mit Vornamen. Der Tippfehler verrät jedoch die Quelle des Zitats: Keine wissenschaftliche Studie sondern die Website "jesusfreaks-drogenarbeit.de", wo der selbe Fehler zu finden ist... Deren Quelle wiederum ist alles andere als seriös oder aktuell. Es handelt sich um ein schon zwei Jahrzehnte altes Buch der mittlerweile schon verstorbenen amerikanischen Journalistin Peggy Mann, das aus einer Artikelserie dieser Autorin für das Wohnzimmertisch-Blatt "Reader's Digest" entstand. Frau Mann bezog ihre Aussagen vor allem von Dr. Gabriel Nahas, einem wissenschaftlich diskreditierten, fanatischen Cannabisgegner. Die darin zitierten Studien sind rund 30 Jahre alt (siehe auch Peggy Mann, Thread zum Jesusfreak-Artikel).


Anhörungen und Tagungen:
http://www.cannabislegal.de/aktionen/tagungen.htm


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