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Der Periodische Sicherheitsbericht des BMI

Am 20.01.1997 hatte der heutige Innenminister Otto Schily eine Entkriminalisierung des Besitzes geringer Mengen von Drogen zum Eigengebrauch unterstützt. In seinem soeben erschienen "periodischen Sicherheitsbericht" lehnt der Bundesinnenminister eine Aufhebung des Cannabisverbots ab, obwohl er selbst zugibt, dass die Strafandrohung allenfalls einen geringen Einfluss auf den Konsum hat. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht 1994 vorgeschrieben, dass Strafverfolgung nach dem Grundgesetz nur dann zulässig ist, wenn sie erstens geeignet ist ihr Ziel zu fördern und zweitens kein weniger schädliches Mittel zur Verfügung steht das gleich wirksam wäre. Beide Bedingungen sind nach aktuellen Erkenntnissen nicht erfüllt.

"Auch wenn das Gefährdungspotential von Cannabiskonsum sich unter Berücksichtigung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse als geringer erweist, als der Gesetzgeber ursprünglich bei Erlass des Gesetzes angenommen hat, verbleiben dennoch auch nach dem jetzigen Erkenntnisstand nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken. Da insbesondere die Gruppe derjenigen Jugendlichen ansteigt, die riskante Konsummuster aufweisen und auch die Zahl der Klienten in Beratungs- und Behandlungseinrichtungen gestiegen ist, die mit einer primären Cannabisproblematik behandelt werden, beabsichtigt die Bundesregierung nicht - auch unter Berücksichtigung der Haltung der internationalen Staatengemeinschaft und der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands - das grundsätzliche und strafbewehrte Verbot des Besitzes und Erwerbs von Cannabis aufzuheben." (Sicherheitsbericht)
Mit dieser Argumentation schafft die Regierung einen Zirkelschluss: Der Anstieg der Cannabisfaelle ist eine Folge der gestiegenen Anzeigezahlen. Mit Cannabis ertappte Jugendliche werden von Eltern oder Gerichten zu Besuchen bei Beratungsstellen geschickt. Mit diesen zuätzlichen Besuchen wird dann wieder versucht, die Fortsetzung der Strafverfolgung zu begründen.
"Eine 1997 vorgelegte Studie der Kriminologischen Zentralstelle zeigte freilich auf, dass bestehende Unterschiede in der Sache dadurch nicht völlig ausgeglichen wurden. Die Bundesregierung hält das Maß an erreichter Übereinstimmung vordringlich bei Haschisch und Marihuana für hinreichend, so dass sich kein akuter Handlungsbedarf ergibt." (Sicherheitsbericht)

Bei der erwähnten Studie handelt es sich um folgendes Buch:

Susanne Aulinger: "Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten" Bundesministerium für Gesundheit, 1997, ISBN: 3-7890-5116-0, DM 78,00/EUR 39,88
Liest man dieses genauer, dann zeigt sich, dass keineswegs von einer "im wesentlichen einheitlichen Einstellungspraxis" gesprochen werden kann, wie vom Bundesverfassungsgericht vorgeschrieben. Diese Studie untersuchte nur jene Verfahren, die eingestellt worden waren, ohne auf die Zahl der trotz kleiner Mengen nicht eingestellten Verfahren in den entsprechenden Bundesländern einzugehen (in denen es in der Regel zu Gerichtsverfahren kam). Sie nennt jedoch konkrete Zahlen sowohl zu Anzeigen als auch zu Verfahrenseinstellungen, die deutlich zeigen, dass von einer "im wesentlichen einheitlichen Einstellungspraxis" keine Rede sein kann.

Einstellungen nach §31a Abs.1 als Anteil der Tatverdächtigen nach allgemeinen Verstössen nach §29 BtMG

1995: §29 BtMG §31a Abs.1 Einstellungsrate
Schleswig-Holstein 1863 1716 92,1 %
Bremen 1690 1363 80,7 %
Hamburg 4609 2987 64,8 %
Nordrhein-Westfalen 21433 10406 48,6 %
Hessen 7241 3429 47,4 %
Niedersachsen 7462 3323 44,5 %
Saarland 1173 472 40,2 %
Berlin 4572 1705 37,3 %
Rheinland-Pfalz 4391 1594 36,3 %
Baden-Würtemberg 13164 3846 29,2 %
Bayern 14465 2752 19,0 %
Brandenburg 720 86 11,9 %
Thüringen (*) 301 205 --- (*)
Sachsen 790 80 10,1 %
Sachsen-Anhalt 551 55 10,0 %


(*) Anmerkung: Die aus den Zahlen von AULINGER an sich errechnete Einstellungsrate von 68.1 Prozent für Thüringen im Jahre 1995 beruht wahrscheinlich auf einem Datenfehler. Die in der Studie genannte Zahl von 301 Tatverdächtigen in Thüringen im Jahr 1995 ist fragwürdig, weil sie einer Halbierung zum Vorjahr entspricht, während Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg in etwa eine Verdoppelung meldeten. Ausserdem machen allgemeine Verstösse normalerweise etwa zwei Drittel aller BtMG-Verstösse aus. Bei 703 BtMG-Anzeigen im Jahre 1995 wären ca. 500 allgemeine Verstösse zu erwarten. 1994 wurden in Thüringen nur 11 Prozent der Fälle straflos eingestellt, konsistent mit den Einstellungsraten von 10-12 Prozent in allen anderen neuen Bundesländern im Jahre 1995. Eine Versechsfachung der Rate in einem Jahr wurde in keinem anderen Bundesland beobachtet.

Otto Schily: Eigenverbrauch straffrei stellen (1997)
Verfahrenseinstellung nach §31a Betäubungsmittelgesetz
Behandlungszahlen und Cannabisverbot
Kriminalisierung der Jugend
Zahlen zum Cannabisverbot


Der Bericht im Original:

http://www.bmi.bund.de/top/dokumente/Pressemitteilung/ix_48281.htm http://www.bmi.bund.de/Downloads/Sicherheitsbericht_1.pdf
http://www.bmi.bund.de/Downloads/Sicherheitsbericht_2.pdf http://www.bmi.bund.de/Downloads/Sicherheitsbericht_3.pdf http://www.bmi.bund.de/Downloads/Sicherheitsbericht_4.pdf

Seite 211

Alle anderen illegalen Drogen bleiben im Regelfall der empirischen Erhebungen im unteren einstelligen Prozentbereich. Das heißt auch: Die Verhaltensgeltung der Norm, keine illegalen Drogen zu nehmen, ist generell vor allem bezüglich Heroin und Kokain fast vollständig gewährleistet, selbst bei Cannabis darf sie mit bis zu 70% nach wie vor, trotz allen Diskussionen um die Berechtigung der Kriminalisierung des Drogenkonsums [722], insbesondere um die Forderung der Freigabe bzw. Liberalisierung der sog. Weichen Drogen, als bemerkenswert hoch eingestuft werden. Demgegenüber spielt die so genannte Sanktionsgeltung, definiert i. w. S. als Entdeckt- und Verfolgtwerden durch die zuständigen Behörden und i. e. S. als Bestraftwerden, grundsätzlich eine eher geringe Rolle, soweit direkte Einflüsse auf das Verhalten in Frage stehen. Bei längerfristigem Konsum kann es zwar hin und wieder zum Kontakt mit der Polizei kommen. So gaben immerhin 25% der männlichen und 12% der weiblichen Cannabiskonsumenten des "Cannabisprojekts" bei der Frage nach "Komplikationen im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum" an, "Ärger mit der Polizei" gehabt zu haben.[723] Wie viele Konsumenten dadurch ihr Verhalten ändern, ist aber eine andere Frage, zu der so gut wie nichts empirisch bekannt ist. In der oben erwähnten bundesweiten Repräsentativerhebung wurde entsprechendes erhoben: dort gaben nur 0,1% der Cannabiskonsumenten und 2,2% der Konsumenten harter Drogen an, ihren Konsum aufgrund eines Ermittlungsverfahrens oder einer gerichtlichen Verurteilung beendet zu haben.[724]

Seite 229

Durch Gesetz vom 9. September 1992 wurde § 31a BtMG eingeführt. Danach ist es der Staatsanwaltschaft möglich, ohne Zustimmung des Gerichts bei einfachen Drogenvergehen (nach dem Grundtatbestand des § 29 Abs. 1, 2 oder 4 BtMG) von der Verfolgung abzusehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.

Diese Vorschrift hat im Zusammenhang mit der Diskussion um die Entkriminalisierung sog. weicher Drogen aufgrund des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 9. März 1994 (Neue Juristische Wochenschrift 1994, 1577,1583) erhebliche Bedeutung speziell für Cannabis gewonnen. Das BVerfG hatte auf eine Vorlage des Landgerichts Lübeck hin zu entscheiden, ob die Strafvorschriften des BtMG mit dem Grundgesetz vereinbar sind, auch insoweit sie Verhaltensweisen mit Strafe bedrohen, die ausschließlich den gelegentlichen Eigenverbrauch geringer Mengen von Cannabisprodukten vorbereiten und nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden sind. Das Gericht verneinte einen Verstoß gegen das in Frage stehende Übermaßverbot mit dem Hinweis, dass es der Gesetzgeber den Strafverfolgungsbehörden durch das Absehen von Strafe oder bereits das Absehen von der Strafverfolgung ermögliche, einem geringen individuellen Unrechts- oder Schuldgehalt der Tat Rechnung zu tragen.

Die weitere Formulierung, dass die Strafverfolgungsbehörden in diesen Fällen nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in § 31a BtMG bezeichneten Straftaten "grundsätzlich" abzusehen hätten, wurde in Teilen der Öffentlichkeit fälschlicherweise dahingehend missverstanden, dass das BVerfG den Konsum weicher Drogen in geringen Mengen generell "freigegeben" habe. Für die Praxis entstanden ungeachtet dessen Schwierigkeiten aus dem ergänzenden Hinweis des BVerfG dahin gehend, dass die Länder verpflichtet seien, für eine im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften Sorge zu tragen. Die Länder kamen dieser Verpflichtung förmlich durchweg auf dem Wege des Erlasses von Richtlinien etc. nach. Eine 1997 vorgelegte Studie der Kriminologischen Zentralstelle zeigte freilich auf, dass bestehende Unterschiede in der Sache dadurch nicht völlig ausgeglichen wurden.[770] Die Bundesregierung hält das Maß an erreichter Übereinstimmung vordringlich bei Haschisch und Marihuana für hinreichend, so dass sich kein akuter Handlungsbedarf ergibt. [771]


770 Vgl. AULINGER, S., 1997.
771 Vgl. Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Christa Nickels vom 9. November 1999 auf entsprechende schriftliche Fragen; BT-DS 14 /2099, 21 f.

Seite 620:

Nach Auffassung der Bundesregierung muss - besonders im Hinblick auf Jugendliche und Heranwachsende - auch den Strafverfolgungsbehörden ein differenziertes Handlungsspektrum zur Verfügung stehen. Hier hat sich nach Einschätzung der Bundesregierung die bisherige Regelung des § 31a BtMG (bzw. der §§ 45, 47 Jugendgerichtsgesetz) mit den Möglichkeiten des Absehens von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft bzw. der Möglichkeit der gerichtlichen Einstellung in ihrer praktischen Anwendung bewährt. § 31a BtMG erfasst unter anderem auch den Besitz geringer Mengen von Betäubungsmitteln zum Eigenverbrauch, d. h. die Fallkonstellation einer individuell geringen Schuld des Täters, die auch das Bundesverfassungsgericht bei seiner "Cannabis-Entscheidung" von 1994 im Blick hatte. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Notwendigkeit der Strafbewehrung derartiger Fälle des Eigenverbrauchs ausdrücklich eine Einschätzungsprärogative eingeräumt. Auch wenn das Gefährdungspotential von Cannabiskonsum sich unter Berücksichtigung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse als geringer erweist, als der Gesetzgeber ursprünglich bei Erlass des Gesetzes angenommen hat, verbleiben dennoch auch nach dem jetzigen Erkenntnisstand nicht unbeträchtliche Gefahren und Risiken. Da insbesondere die Gruppe derjenigen Jugendlichen ansteigt, die riskante Konsummuster aufweisen und auch die Zahl der Klienten in Beratungs- und Behandlungseinrichtungen gestiegen ist, die mit einer primären Cannabisproblematik behandelt werden, beabsichtigt die Bundesregierung nicht - auch unter Berücksichtigung der Haltung der internationalen Staatengemeinschaft und der völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands - das grundsätzliche und strafbewehrte Verbot des Besitzes und Erwerbs von Cannabis aufzuheben.