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Briefwechsel: Marion Caspers-Merk, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

Brief an Marion Caspers-Merk, Drogenbeauftragte der Bundesregierung

From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: Marion Caspers-Merk <marion.caspers-merk@bundestag.de>
Sent: Donnerstag, 01.11.2001
Subject: Cannabisreform

Sehr geehrte Frau Caspers-Merk,

am 18.10. veröffentlichte der Bremer Weser-Kurier ein Interview mit Ihnen, in dem Sie sagten: "Eine Legalisierung ist immer ein Zeichen von: 'Du darfst.' Da wird es schwierig zu sagen, lass die Finger davon. 92 Prozent aller Deutschen haben Erfahrungen mit Alkohol, diese Quote möchte ich bei Cannabis nicht erleben."

Diese Quote werden Sie bei Cannabis auch nicht erleben. Die Niederlande haben schon 1976 Cannabis entkriminalisiert. Es wird dort an Erwachsene in Coffeeshops verkauft. Jeweils etwa 2 Prozent der Wohnbevölkerung der Niederlande und Deutschlands (323.000 von 15,5 Millionen, 1,6 Millionen von 80 Millionen) sind regelmässige Cannabiskonsumenten (CEDRO 1997, IFT 2000). 92 Prozent wie bei Alkohol sind es nicht, ob es Coffeeshops gibt oder nicht. Diese Prävalenzzahlen decken sich mit der Selbsteinschätzung der Bevölkerung. So gaben 97 Prozent der Briten in einer Mori-Umfrage an, sie würden Cannabis auch dann nicht probieren, wenn es legalisiert würde, während gleichzeitig 65 Prozent diesen Schritt unterstützten. Ein kürzliche Umfrage des EMNID-Instituts ergab, dass 96 Prozent der deutschen Bevölkerung ihnen gratis angebotenes Cannabis ablehnen würden.

Sie fürchten eine falsche Signalwirkung einer Entkriminalisierung von Cannabis. Das setzt voraus, dass der gesetzliche Status vom potenziellen Konsumentenkreis überhaupt noch ernstgenommen wird. Die rapide Verbreitung des Konsums in den letzten Jahren spricht gegen diese Annahme. Mit der derzeit weit klaffenden Diskrepanz zwischen der Cannabis- und Alkoholpolitik setzen wir nur die staatliche Glaubwürdigkeit aufs Spiel, was den Präventionsbemühungen eher schadet.

Eine signifikante konsumminimierende Wirkung des Verbots ist in wissenschaftlichen Studien nicht nachweisbar. Ich verweise Sie z.B. auf die vielbeachteten Studien von MacCoun und Reuter (British Journal of Psychiatry, Februar 2001), die eine Entkriminalisierung empfahlen. Wenn das Verbot den Konsum nicht wirksamer minimiert als Aufklärung und staatliche Kontrolle der Vertriebsstellen, wozu brauchen wir es dann? Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 festgestellt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, das am wenigsten schädliche, geeignete Mittel zu wählen.

Der derzeitige untaugliche Versuch, Gesundheitsvorsorge mit den Mitteln des Strafrechts zu betreiben, führt letztlich zum gedankenlosen Umgang mit Drogen. Die falsche Annahme, die relative Schädlichkeit einer Substanz begründe ihren legalen Status führt zur Unterschätzung von Alkohol und Nikotin, zwei Substanzen die oft bleibende Schäden verursachen. Wir müssen stattdessen mehr auf Aufklärung und Eigenverantwortung setzen, wie bei der Ernährung oder der Zahnpflege.

Kritischer Umgang mit Drogen muss ehrlich stattfinden. Solange Konsumenten kriminalisiert werden, werden Erfahrungen kaum weitergegeben. Prohibition behindert so Prävention. Nicht zu vergessen, die Verfolgung kostet Geld das uns dann für Präventionsmassnahmen wieder fehlt. Eine Besteuerung des Cannabisvertriebs könnte die Mittel für Prävention vervielfachen.

Ärzte, Suchtexperten und sogar Polizisten sprechen sich für eine Entkriminalisierung von Cannabis aus, vom Berliner Ärztekammerpräsidenten Dr Günther Jonitz bis zum oberösterreichischen Gendarmeriekommandanten Manfred Schmidbauer. Die schon 1902 gegründete Schweizer Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme (SFA) unterstützt die Schweizer Cannabisreform. Expertenberichte wie die Studie der britischen Polizeistiftung oder der Cannabisbericht der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen haben eine solche Reform empfohlen. Wir sehen auch der Veröffentlichung des seit 22 Monaten in Arbeit befindlichen Berichts der Drogen- und Suchtkommission Ihrer Regierung mit grossem Interesse entgegen.

Nach derzeitigem Recht muss gegen die Mehrzahl der Cannabiskonsumenten ohne problematische Konsummuster in jedem Fall noch ermittelt werden. Abhängige Konsumenten andererseits haben nach einer Verhaftung statt einem dann zwei Probleme, besonders als Wiederholungstäter. In Ihrer Rede auf der 2. Fachtagung "Zukunft der Suchtprävention" (20.02.2001) stellten Sie fest: "Die Strafverfolgung der Konsumenten ist dagegen ein wenig geeignetes Mittel, um Verhaltensänderungen, insbesondere bei Jugendlichen, zu erreichen." In einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt (19.02.2001) sagten Sie: "Der richtige Ansatz ist, den Einzelnen im Eigenverbrauch zu entkriminalisieren und in eine umfassende Präventionsstrategie einzubinden." Dem pflichten wir bei. Im vergangenen Jahr wurden 40-mal mehr Menschen wegen des Cannabisverbots polizeilich angezeigt als wegen Cannabisproblemen als Hauptgrund zu einer Drogenberatungsstelle gingen (laut Zahlen des BKA und des IFT). Wenn man Probleme im Leben von Menschen verringern will, ist diese repressive Politik kontraproduktiv.

Solange man z.B. in Bayern noch 3250 DM Geldstrafe für ein halbes Gramm Cannabis bekommen kann, wie kürzlich in der Presse berichtet, kann von einer Entkriminalisierung nicht die Rede sein. Die Studie von Frau Aulinger im Jahr 1997 fand extreme Unterschiede bei der Anwendungshäufigkeit des §31a Betäubungsmittelgesetz (straffreie Verfahrenseinstellung): Die Einstellungsrate in den Bundesländern schwankte von 10 bis 92 Prozent. Schon allein wegen der bundesweit ungleichen Handhabung des Gesetzes besteht Handlungsbedarf!

Wie andere Länder auch ist der deutsche Gesetzgeber durch das UN-Abkommen von 1988 nicht vollständig festgelegt. Das Verbotsgebot tritt ausdrücklich vor der jeweiligen verfassungsmässigen Ordnung zurück, wie etwa dem Übermassverbot des Grundgesetzes. Reformen sind möglich und nötig. Erforderliche Schritte im Verlauf dieser und der nächsten Legislaturperiode wären - und ich hoffe, dass diese Schritte auch von der Drogen- und Suchtkommission diskutiert und empfohlen werden:

1) Die Erteilung von Sondergenehmigungen zum Cannabisbesitz zu medizinischen Zwecken.
2) Eine baldige Korrektur der unverhältnismässigen Führerscheinverordung bzw. Einführung von THC-Genzwerten.
3) Die Aufhebung der Strafbarkeit bei geringen Mengen von Cannabis zum eigenen Konsum.
4) Eine staatlich kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene, mit Besteuerung zur Finanzierung der staatlichen Prävention. Alternativ wäre die Einführung einer Opportunitätslösung zur Tolerierung des Kleinhandels möglich, wie in der Schweiz geplant.

Wir vom Verein für Drogenpolitik e.V. fordern die Bundesregierung und die Vertreter der Bundestagsparteien zu einer Zusammenarbeit zur überfälligen Entkriminalisierung von Cannabis auf.

Mit freundlichen Grüssen

Joe Wein

Verein für Drogenpolitik e.V.
http://www.drogenpolitik.org

[Anschrift]

Frau Caspers-Merk und die Cannabisreform


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