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Antwort der Bundesregierung auf Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen (20.04.2006)

Der Folgende Text ist der Wortlaut der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage von B90/Die Grünen zu den Ergebnissen der MPI-Studie.

Bundesministerium für Gesundheit

Präsident des Deutschen Bundestages - Parlamentssekretariat -11011 Berlin

Dr. Klaus Theo Schröder
Staatssekretär
HAUSANSCHRIFT Am Propsthof 78a, 53121 Bonn POSTANSCHRIFT 53109 Bonn
TEL 449(0)1888 441-1030
FAX +49(0)1888 441-4903
E-MAIL poststelle@bmg.bund.de

Bonn, 20 April 2006
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Harald Terpe, Hans-Christian
Ströbele, Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Volker Beck (Köln),
Monika Lazar, Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Silke Stokar von
Neuforn, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN betreffend „Konsequenzen aus der unterschiedlichen
Strafverfolgung geringfügiger Drogendelikte in den Bundesländern",

BT-Drs. 16/1215

Sehr geehrter Herr Präsident,
namens der Bundesregierung beantworte ich die o. a. Kleine Anfrage wie
folgt:

Vorbemerkung der Fragesteller:

Infolge eines im Jahre 2002 erteilten Auftrags des Bundesministeriums
für Gesundheit und soziale Sicherung aus 2002 untersuchte das
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht
(MPI) empirisch die Strafverfolgung "konsumbezogener" Drogendelikte
sowie anschließende (präventive) Maßnahmen der Ordnungsbehörden und
veröffentlichte die Ergebnisse im März 2006.

Anders als die so genannte "Aulinger-Studie" von 1997 bestätigte das MPI
die Annahme, dass die Bundesländer- entgegen der Forderung des
Bundesverfassungsgerichts - sehr unterschiedlich von der Möglichkeit
Gebrauch machen, gemäß § 31 a Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) von
Strafverfolgung abzusehen und die dabei vorausgesetzte "geringe Menge"
Droge sehr verschieden interpretieren.

Nur in 20 % der untersuchten Cannabis-Strafverfahren verfuhren die
Strafverfolgungsbehörden der Bundesländer etwa gleich (bis zu einer
Menge von 6 Gramm Cannabis, Tatverdächtige jünger als 20 Jahre, nicht
einschlägig vorbestraft und keine Fremdgefährdung vorliegend). In den
übrigen 80% der Fälle wurde jedoch sehr verschieden verfahren (vor allem
gegenüber Jugendlichen und Heranwachsende oder anderweitig vorbestraften
Betäubungsmittel-Ersttätem).

Vorbemerkung der Bundesregierung:

Das damalige Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat
im Oktober 2002 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht in Freiburg (MPI) eine rechtsvergleichende
Studie zu dem Thema "Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis" in Auftrag
gegeben. Anlass für diese Studie war die sog. Cannabis-Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994, in der das Gericht die
Länder aufgefordert hatte, für eine im Wesentlichen einheitliche
Einstellungspraxis der Staatsanwaltschaften bei der Anwendung des § 31a
Betäubungsmittelgesetz (BtMG), der das Absehen von der Strafverfolgung
ermöglicht, zu sorgen. Gleichzeitig hatte das Bundesverfassungsgericht
den Gesetzgeber beauftragt, die Auswirkungen des geltenden Rechts zu
beobachten.

Zu diesem Zweck hatte das Bundesministerium für Gesundheit schon im März
1994 bei der Kriminologischen Zentralstelle eine Untersuchung zur
"Rechtsgleichheit und Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von
Drogenkonsumenten" in Auftrag gegeben, die im Jahr 1997 veröffentlicht
wurde (sog. "Aulinger-Studie"). Nunmehr sollte - nach Ablauf von fünf
Jahren - die Rechtspraxis bei der Anwendung des § 31 a BtMG und anderer
Einstellungsvorschriften vom MPI erneut evaluiert werden. Ziel dieser
neuerlichen Studie war es, auf der Grundlage neuerer Daten
herauszufinden, ob § 31a BtMG in den Ländern - wie seinerzeit in der
"Aulinger-Studie" jedenfalls für Cannabis festgestellt - nach wie vor zu
einer im Wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendung führt oder ob
aufgrund einer ungleichen Rechtsanwendung eine Angleichung der
Einstellungspraxis erforderlich ist.

Das MPI hat diese empirische Untersuchung in sechs Ländern durchgeführt,
wobei die meisten der beteiligten Gerichtsbezirke auch schon in der
"Aulinger-Studie" untersucht worden waren. Das MPI ist dabei wie folgt
vorgegangen: Es hat die länderspezifischen Richtlinien zum Vollzug des §
31a BtMG einer vergleichenden Analyse unterzogen. Sodann hat es die
vorhandenen statistischen Daten insbesondere zur Einstellung der
Verfahren nach § 31a BtMG und zu anderen Einstellungsvorschriften (§ 153
Abs. 1, § 153a Abs. 1 StPO; § 29 Abs. 5 BtMG i.V.m. § 153b Abs. 1 StPO;
§ 45 Abs. 1 bis 3 JGG sowie § 37 Abs. 1 bzw. § 38 Abs. 2 i.V.m. § 37
Abs. 1 BtMG) ausgewertet und eine Aktenanalyse von insgesamt 2.011
Einzelverfahren vorgenommen, die von den Staatsanwaltschaften der elf
Landesgerichtsbezirke gegen Beschuldigte wegen
Betäubungsmittelkonsumdelikten eingeleitet worden waren. Schließlich hat
das MPI eine qualitative Expertenbefragung in 11 Städten sowie einen
abschließenden Quervergleich zwischen den statistischen Angaben, den
Ergebnissen der Experteninterviews und der Aktenanalyse einerseits und
zwischen den unterschiedlichen Prävalenzraten des Drogen- und speziell
des Cannabiskonsums in den einzelnen Bundesländern andererseits
durchgeführt.

Die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der MPI-Studie lassen sich wie
folgt zusammenfassen: Das MPI stellt in seiner Kernaussage eine
"deutlich unterschiedliche" Anwendung des § 31a BtMG fest, die im
Hinblick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zumindest
"problematisch" erscheine, und kommt damit jedenfalls für
Cannabisdelikte zu einem tendenziell anderen Ergebnis als die
"Aulinger-Studie" im Jahr 1997. Sowohl der Vergleich aller
Länderrichtlinien als auch die Analyse des staatsanwaltschaftlichen
Erledigungsverhaltens anhand der Akten in den einbezogenen Bundesländern
hätten diese Uneinheitlichkeit aufgezeigt. Als wesentlichen Grund
hierfür nennt das MPI eine unterschiedliche Auslegung und vor allem
Gewichtung der einzelnen für die Anwendung des § 31a BtMG bestimmenden
Einflussfaktoren. Von einer gleichmäßigen Rechtsanwendung könne nach den
Erkenntnissen des MPI lediglich in Fällen mit einer Höchstmenge von bis
zu sechs Gramm Cannabis ausgegangen werden, in denen der Betreffende
strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten sei, das 20.
Lebensjahr vollendet habe, und eine Fremdgefährdung nicht festgestellt
werden könne.

Der endgültige Abschlussbericht des MPI wurde Ende Oktober 2005 dem
Bundesministerium für Gesundheit vorgelegt und von diesem im Namen der
Bundesregierung unverzüglich den Vorsitzenden der Justiz-, Innen- und
Gesundheitsministerkonferenzen der Länder zugeleitet. Die
Bundesregierung hat die Länder gebeten, die Ergebnisse zunächst in den
zuständigen Fachgremien der genannten Länderkonferenzen zu prüfen und
angeregt, anschließend in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe, bestehend aus
Vertretern dieser Fachgremien und Vertretern der Bundesregierung,
Handlungsoptionen mit dem Ziel einer größeren Annäherung der
Strafverfolgungspraxis auszuloten.

Frage Nr. 1:

Welche Gründe führten zur Verzögerung bei der Fertigstellung und
Veröffentlichung der Untersuchungsergebnisse?

Antwort:

Der zeitliche Ablauf der Fertigstellung und Veröffentlichung der
Untersuchungsergebnisse stellt sich wie folgt dar: Der vertraglich
vereinbarte Abgabetermin wurde auf Bitten des MPI von Oktober 2004 auf
Januar 2005 verschoben. Die erste Fassung des Abschlussberichtes, der
über 400 Seiten umfasste, wurde vom MPI Ende Januar übersandt und am 1.
März 2005 im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale
Sicherung vorgestellt und erläutert. Diese Fassung wurde auf Bitten der
Bundesregierung überarbeitet und dahingehend ergänzt, dass auch ein
Vergleich der Ergebnisse der MPI-Studie mit den Ergebnissen der
Vorgängeruntersuchung, dero. g. "Aulinger-Studie", eingefügt wurde (vgl.
nun insbesondere Kapitel H). Nach einer abschließenden Besprechung am
19. August 2005 wurde im Oktober 2005 die endgültige Fassung abgegeben,
die am 30. November 2005 abgenommen und zur Veröffentlichung freigegeben
wurde. Die Studie ist Anfang März 2006 in der Schriftenreihe des MPI
beim Verlag Duncker & Humblot erschienen.

Frage Nr. 2:
Wie bewertet die Bundesregierung die vom MPI festgestellten Unterschiede
in der Strafverfolgungspraxis der Bundesländer

a) bei der Bemessung der „geringen Menge"?

b) bei der Behandlung von strafrechtlich bereits vorbelasteten, aber
betäubungsmittelspezifischen Ersttätern?

c) bei der Behandlung von betäubungsmittelspezifischen Wiederholungstätern?

d) bei der Behandlung von jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten?

Sollten nach Auffassung der Bundesregierung
Betäubungsmittel-Strafverfahren gegen diese vorrangig gemäß § 31a BtMG
oder § 45 Jugendgerichtsgesetz eingestellt werden?

e) bei den polizeilichen Ermittlungen, insbesondere das in Berlin,
Hessen, Nordrhein- Westfalen, Schleswig-Holstein sowie München
angewendete „vereinfachte Verfahren"?

f) bei der differierenden Wertung einzelner Tatumstände in der
staatsanwaltlichen Verfahrenserledigung?

g) bei der staatsanwaltschaftlichen Erledigung von Verfahren, die andere
Betäubungsmittel als Cannabis betreffen?

Antwort:

Aus Sicht der Bundesregierung besteht eine der wesentlichen Aussagen der
MPI-Studie in der Feststellung, dass die unterschiedliche
Einstellungspraxis weniger auf verschiedenen Grenzwerten hinsichtlich
der "geringen Menge" beruhe, als vielmehr auf deren Ausgestaltung als
Mindest- oder Höchstmenge und der Auslegung und Anwendung des Kriteriums
des "Gelegenheitskonsums". Gefolgert hat dies das MPI aus der
Erkenntnis, dass in Ländern mit restriktiveren Richtlinien zu § 31a BtMG
Kriterien wie strafrechtliche Vorbelastung oder die Anzahl der Taten
auch unterhalb der in den Länderrichtlinien festgesetzten
Schwellenmengen zu regelmäßigen Nichteinstellungen führten. Dagegen sei
in Ländern mit einer liberaleren Einstellungspraxis die
Betäubungsmittelmenge wichtigstes Entscheidungskriterium; der Grenzwert
für eine obligatorische Einstellung führe hierzu einer nahezu
vollständigen Einstellung der Verfahren.
Diese Feststellung zeigt, dass die vom BVerfG geforderte Annäherung der
Strafverfolgungspraxis nicht nur auf die in der öffentlichen Diskussion
im Vordergrund stehenden „Mengendiskussion" verkürzt werden darf.

Frage Nr. 3:

Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der aktuellen
MPI-Untersuchung

a) angesichts abweichender Ergebnisse der „Aulinger-Studie" von 1997?

b) hinsichtlich der Tendenz der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, die
Obergrenze der „geringen Menge" erst bei 10 statt schon bei 6 Gramm
anzunehmen? Was spräche dafür, solche Anhebung im Betäubungsmittelgesetz
einheitlich festzuschreiben?

Frage Nr. 4:

Wie steht die Bundesregierung zu einer Neuregelung des § 31a
Betäubungsmittelgesetz, wonach differenzierend bei kleineren
Drogenmengen das Strafverfahren obligatorisch einzustellen ist und bei
etwas größeren Mengen fakultativ eingestellt werden kann?

Frage Nr. 5:

Könnte nach Auffassung der Bundesregierung eine einheitliche Definition
des „gelegentlichen Eigenverbrauchs" bei Verfahren gegen
Wiederholungstäter hier weiterhelfen? Wie könnte diese aussehen?

Antwort:

Wie das in der Vorbemerkung der Bundesregierung erläuterte Herantreten
der Bundesregierung an die Länder zeigt, sieht die Bundesregierung
aufgrund der Ergebnisse der MPI-Studie - anders als bei der
"Aulinger-Studie" von 1997 - Erörterungs- und Handlungsbedarf im
Hinblick auf eine stärkere Angleichung der Einstellungspraxis der
Strafverfolgungsbehörden. Da sich die Forderung des BVerfG nach einer im
Wesentlichen einheitlichen Rechtspraxis in erster Linie an die Länder
und deren Einstellungsrichtlinien richtet, stehen aus Sicht der
Bundesregierung primär die Länder in der Verantwortung. Erst in zweiter
Linie, nämlich wenn sich die Länder nicht auf eine stärkere Annäherung
verständigen könnten, wäre zu prüfen, ob und ggf. welche gesetzliche
Konkretisierungen im Zusammenhang mit § 31a BtMG im Hinblick auf eine
Angleichung der Praxis angezeigt sind.

Frage Nr. 6:

Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage der MPI-Studie, wonach die
unterschiedliche Strafverfolgungspraxis den Konsum illegaler Drogen
wahrscheinlich nicht direkt beeinflusst, also weder eine zurückhaltende
Verfahrenseinstellung den Konsum verringern hilft noch eine weitere
Verfahrenseinstellung den Konsum fördert?

Antwort:

Die Studie sollte u.a. auch die Frage prüfen, ob die unterschiedlichen
Einstellungsvorschriften und Einstellungspraxen für das konkrete
Drogenkonsumverhalten relevant sind. Das MPI hat festgestellt, dass für
die Beantwortung dieser Frage nur unzureichende empirische Grundlagen
und kein aussagekräftiges Datenmaterial vorhanden sind, so dass - anders
als in der Frage behauptet - keine wissenschaftlich fundierten
Erkenntnisse über einen Kausalzusammenhang zwischen Einstellungspraxis
und Konsumverhalten möglich sind.

Frage Nr. 7:

Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, wonach die festgestellten
Unterschiede in der Rechtspraxis der Länder im Lichte der Forderungen
des Bundesverfassungsgerichtes verfassungsrechtlich problematisch sind,
und wenn nein, warum nicht?

Antwort:

Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass die festgestellten
Unterschiede in der Rechtspraxis der Länder im Lichte der Forderungen
des BVerfG Veranlassung geben, dass Bund und Länder gemeinsam alle
Optionen für eine stärkere Angleichung der Strafverfolgungspraxis erörtern.

Frage Nr. 8:

Welchen bundespolitischen Handlungsbedarf leitet die Bundesregierung aus
den Untersuchungsergebnissen ab? Aufweiche Weise - wenn nicht durch eine
präzise Neufassung des Betäubungsmittelgesetzes - will die
Bundesregierung auf eine im Wesentlichen gleichmäßige
Rechtsanwendungspraxis der Länder hinwirken?

Antwort:

Auf den letzten Absatz der Vorbemerkung der Bundesregierung und die
Antwort zu den Fragen 3, 4 und 5 wird verwiesen.
Mit freundlichen Grüßen


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