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Grüne Drogenpolitik - wohin? (20.07.2001)

Sehen Sie auch: Offene Briefe, Grüne und Drogenpolitk

Folgender Artikel wurde über ein Jahr vor der Wahl zum 15. Bundestag verfasst:


Unabhängig davon, wie man zum Rest der grünen Politik steht, sind sie doch diejenige Partei, die sich am längsten gegen eine repressive Drogenpolitik und für eine Legalisierung von Cannabis eingesetzt hat. Verständlich, dass beim Regierungswechsel grosse Hoffnungen auf drogenpolitische Reformen bestanden. Auch die SPD hatte auf ihrem letzten Parteitag vor der Wahl "Neue Wege in der Drogenpolitik" gefordert. Seitdem gab es zwar Fortschritte bei der Politik zu harten Drogen (Fixerstuben, Heroinverschreibung, Einbeziehung von Alkohol und Nikotin in die Drogenpolitik), aber was Cannabis betrifft, nichts als Enttäuschungen.

In den Koalitionsverhandlungen schlossen Gerhard Schröder und Otto Schily eine Gesetzesänderung in dieser Legislaturperiode aus. Ende Januar wurde die bisherige grüne Drogenbeauftragte Christa Nickels durch Marion Caspers-Merk von der SPD ersetzt. Frau Caspers-Merk, die bisher mit dem Thema Drogenpolitik kaum etwas zu tun hatte, glaubt, eine Gesetzesänderung würde "die falsche Signale" senden. Sie spricht von "Entkriminalisierung der Konsumenten", meint damit jedoch nur den unhaltbaren Zustand von über 130.000 Anzeigen pro Jahr und einer verfassungswidrigen, weil regional höchst ungleichen Anklagepraxis. Die Schäden durch Repression scheinen ihr kaum bewusst zu sein. Genau wie die CDU führt sie Besuche von Problemkonsumenten und Repressionsopfern bei Drogenberatungen als Argument für die Strafandrohung an, obwohl Repression diese Ergebnisse nicht verhindert sondern fördert. Die Auswirkungen der Repression auf nicht abhängige Cannabiskonsumenten (92-98 Prozent) fallen unter den Tisch.

Doch weder in der SPD noch bei den Grünen regt sich Widerspruch. Nicht einmal über Reformen in künftigen Legislaturperioden darf scheinbar mehr geredet werden. Das Thema wird komplett der neuen Drogenbeauftragten überlassen. Es gibt keine grünen Pressemitteilungen zu den drogenpolitischen Bezügen der neuen Polizeilichen Kriminalstatistik oder des Periodischen Sicherheitsberichts (PSB). Die laut PSB erreichte "im Wesentlichen einheitliche Rechtspraxis" bei der straflosen Einstellung von kleinen Cannabisdelikten ist eine Fiktion, die schon durch eine Studie der CDU/CSU-Regierung wiederlegt worden war. Wo sind Initiativen zur Rücknahme der Führerscheinverordnung oder des Hanfsamenverbots? Stattdessen wurden zum 1. Juli weitere Drogen illegalisiert. Warum haben die Grünen bei diesem Thema kapituliert?

Wir glauben, dass das grüne Schweigen viele Stammwähler der Partei von den Wahlurnen fernhalten wird oder PDS wählen lässt. Die Grünen geben der PDS eine Chance, sich auch im Westen zu profilieren und etablieren. Auch die CDU freut sich darüber, weil sie Dank Grünen und SPD ihre Cannabispolitik sogar von der Oppositionsbank aus fortsetzen kann.

Es wäre ein taktischer Fehler, das Thema Drogenpolitik gerade zu einem Zeitpunkt aufzugeben, wo sich die Akzeptanz für von den Grünen in diesem Bereich vertretene Ideen stetig verbessert. Anstatt zu führen, wie beim Thema Umweltschutz, gibt die Partei die Initiative ab, beschädigt ihre Glaubwürdigkeit und verliert an Unterstützung.

Hier haben wir eine Reihe von Veröffentlichungen aus den letzten Monaten zusammengefasst die zeigen, wiesehr sich die Grünen aus dem Thema zurückgezogen haben. Teilweise kommen aus der SPD positivere Aussagen als von den Grünen.

Christa Nickels: Entkriminalisierung "voll unterstützt" (24.10.2000)

Pressemitteilung der Grünen: Rot-Grüne Drogenpolitik umsetzen (30.01.2001)
Laut dieser Pressemitteilung haben sich die drogenpolitischen Sprecher der Grünen und der SPD auf weitere Schritte zur Entkriminalisierung von Cannabis verständigt. Die Grünen fordern, konkrete Schritte noch in dieser Legislaturperiode anzugehen.

Caspers-Merk: "Diskussion um das Thema Legalisierung setzt falsche Akzente" (10.02.2001)
Caspers-Merk spricht sich gegen die Legalisierungsdiskussion aus. Keine Reaktion der Grünen.

Christa Nickels wird Leiterin der AG Drogenpolitik der Grünen (13.02.2001)
Pressemitteilung NR. 0087/2001 der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 13.02.2001 über die Gremienbesetzung der Fraktion teilte mit, dass Christa Nickels zur neuen drogenpolitische Sprecherin der Fraktion wurde.

Die Schweizer Regierung legt den Reformentwurf vor (09.03.2001)
Es kommt keine Stellungnahme der deutschen Grünen.

In einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung vom 02.04.2001 behauptete Marion Caspers-Merk :

"Wir haben bereits den Besitz und den Konsum geringer Mengen von Haschisch faktisch straffrei gestellt."
Tatsächlich gab es 131.662 Anzeigen nur wegen Cannabis im Jahr 2000. Keine Reaktion von den Grünen zu solchen Aussagen.

Das SPD-geführte Gesundheitsministerium schreibt an Jo Biermanski von der Grünen Hilfe (Hanf! 2001/04).

"Der Bundesregierung geht es bei der Regelung des Umgangs mit Cannabis letztlich darum, einen verfassungskonformen Ausgleich zwischen dem erforderlichen Gesundheitsschutz für den Einzelnen und die Allgemeinheit einerseits und den Einschränkungen der persönlichen Handlungsfreiheit infolge des strafbewehrten Cannabisverbots andererseits zu finden. Sie nimmt die neuen Studien zum Anlass, mit allen Beteiligten in Gesellschaft und Wissenschaft die Diskussion über eine dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechende Entkriminalisierung bzw. Entpönalisierung weiterzuführen, wobei auch mögliche gesetzliche Änderungen im Bereich der sogenannten Konsumentendelikte grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden."
Nur, von den Grünen hört man immer weniger zum Thema.

Ute Vogt für Entkriminalisierung (11.04.2001)
Die Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin der SPD in Baden-Württemberg zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten:

"Durch die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts ist immer noch nicht vollständig klar, was im Einzelfall Eigenbedarf ist und was nicht. Deshalb finde ich es entscheidend, zunächst den Verbrauch zu entkriminalisieren.
In einem zweiten Schritt sollten wir sehr sorgfältig über den weiteren Umgang mit Cannabis beraten. Aktueller Vorschlag ist momentan die Durchführung einer Anhörung im Bundestag, zu der auch und gerade KonsumentInnen eingeladen werden. Diese Forderung finde ich sehr sinnvoll und unterstütze sie auch."

"Im Wesentlichen einheitliche Einstellungspraxis" (12.04.2001)
Auf eine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke (PDS) zur Einheitlichkeit der Einstellungspraxis entsprechend der Bundesverfassunggerichtsvorgabe beruft sich die Bundesregierung auf eine zwei Jahre alte Antwort von Christa Nickels, die sich auf eine Studie beruft die in Wirklichkeit zeigt, dass Einstellungsraten je nach Bundesland zwischen 10 und 92 Prozent liegen.

Caspers-Merk: Rede auf der 2. Fachtagung "Zukunft der Suchtprävention": (20.02.2001)

"Die Strafverfolgung der Konsumenten ist dagegen ein wenig geeignetes Mittel, um Verhaltensänderungen, insbesondere bei Jugendlichen, zu erreichen."
Dabei ist muss Strafverfolgung laut Cannabisentscheidung des BVerfG ein geeignetes Mittel sein, um nicht verfassungswidrig zu sein! Einen einem Interview mit "Akzeptanz" schreibt Frau Caspers-Merk:
"Eine Kriminalisierung von Jugendlichen ist aber sicherlich nicht der geeignete Weg, um eine kritischen Umgang mit psychoaktiven Substanzen zu erreichen."

Das selbe Heft enthielt Stellungsnahmen von den drogenpolitischen Sprechern der SPD, CDU, FDP und PDS aber nicht der Grünen. Der Beitrag von Dr. Hansjörg Schäfer wäre vielversprechend, wenn sich Herr Dr. Schäfers Standpunkt in der SPD gegen den von Frau Caspers-Merk durchsetzen könnte. Richtungsweisend war der Beitrag von Joachim Eul von der Landesarbeitsgruppe Drogen der Berliner Grünen, der leider nicht im Bundestag sitzt.

Im April 2001 kündigt ein Artikel in der der Mitgliederzeitung der Grünen, Schrägstrich, Anhörungen zum Thema Führerschein sowie Entkriminalisierung an:

Cannabiskonsum entkriminalisieren
Die neue AG Drogenpolitik unter der Leitung von Christa Nickels hat ihre Arbeit aufgenommen. Noch in dieser Legislaturperiode sind zwei Anhörungen geplant. Die erste wird sich mit dem Thema "Drogen im Straßenverkehr" beschäftigen. Langfristiges Ziel ist, die Ungleichbehandlung von Cannabis- und Alkoholkonsumenten zu beenden. Derzeit wird Alkoholmissbrauch erst dann geahndet, wenn jemand betrunken am Steuer erwischt wird. Dagegen kann bereits der bloße Besitz von Cannabis dazu führen, dass die Polizei eine medizinischpsychologische Untersuchung (MPU) anordnet, um die Fahreignung des Betroffenen zu überprüfen. Die Anordnung einer MPU ist rechtlich nicht anfechtbar. Viele Fachleute sind deshalb der Auffassung, die MPU werde unter der Hand zu einem neuen Sanktionierungsmittel gegen Cannabiskonsumenten. Eine zweite Anhörung soll sich der weiteren Entkriminalisierung von Cannabis widmen. Da dies auch ein Anliegen der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht ist, soll daraus eine gemeinsame Veranstaltung von Fraktion und Partei werden. Zu den Mitgliedern der neuen AG Drogenpolitik gehören neben Christa Nickels auch Volker Beck, Monika Knoche, Sylvia Voss sowie Helmut Wilhelm, der speziell für das Thema "Drogen im Straßenverkehr" zuständig ist.

Grundsatzprogramm-Entwurf der Grünen
In diesem 77 Seiten langem Dokument findet sich folgende kurze Notizen zur Drogenpolitik - das war's dann auch schon. Das Wort "Cannabis" taucht kein einziges Mal auf:

Die Bildungs- und Ausbildungspolitik sowie die Teilnahme am Erwerbsleben und die soziale Sicherheit sind wichtig zur Verhinderung von Kriminalität. Dazu gehört auch eine neue differenzierte Drogenpolitik sowie die Legalisierung der Prostitution.
Sucht und Abhängigkeit sind gesundheitliche Probleme, die einen humanen Umgang zum Beispiel durch das Angebot freiwilliger Therapien erfordern. Die bestehenden Hilfesysteme wollen wir weiter zielgruppenspezifisch ausbauen.

Im April 2001 gab es eine Fragestunde mit Reinhard Bütikofer, dem Politischen Bundesgeschäftsführer. Die Frage mit der höchsten Punktezahl wurde wie folgt beantwortet:

joewein: Die Schweizer Regierung hat ihren Gesetzesentwurf zur Cannabislegalisierung eingebracht, aber in Deutschland hat sich dazu auch 7 Jahre nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch nichts zum positiven geaendert. Weder das Hanfsamenverbot noch die Fuehrerscheinverordnung wurde zurueckgenommen. Wann und wie werden die Gruenen endlich fuer die Entkriminalisierung von 2,4 Millionen Konsumenten aktiv werden?
Reinhard Bütikofer: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben sich bereits seit langem für die Entkriminalisierung bestimmter Drogen wie Haschisch nach ähnlichen gesetzlichen Schutzvorschriften wie Alkohol eingesetzt. In der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene von 1998 allerdings konnten wir diese Position nicht durchsetzen. Deshalb wird wohl in dieser Legislatur eine entsprechende Gesetzgebungsinitiative nicht mehr zustande kommen. Trotzdem halten wir an unserer Position fest und hoffen, dafür noch mehr Rückhalt zu bekommen. Ich wünsche mir, daß den übrigen Parteien etwas mehr Druck gemacht würde, damit sie sich endlich auch bewegen.
Mit anderen Worten, "versprochen ist gar nichts und bevor wir was tun soll erst mal die SPD ran..." Warum aber sollte sich bei anderen Parteien etwas tun, wenn das Thema sogar von den Grünen totgeschwiegen wird? Der Koalitionsvertrag verbietet keine Diskussion über künftige Reformen. Wenn die Grünen nicht einmal den politischen Spielraum zur notwendigen Öffentlichkeitsarbeit nutzen, dann werden sie bei der nächsten Wahl die Quittung dafür bekommen.


Ergänzung:

Am 30.11.2001 veranstaltete Christa Nickels eine Anhörung zur Fahrerlaubnisverordung und Cannabis. Mehrere Experten erklärten unter Berufung auf Gerichtsurteile, warum sie die aktuelle Rechtspraxis für verfassungswidrig halten.

Führerscheinnovelle und Verfassungsklage [CLN#44, 11.01.2001]
Ergebnisse der Führerscheinanhörung [CLN#39, 07.12.2001]
Anhörung der Grünen zum Führerscheinrecht [CLN#38, 30.11.2001]

Kurz darauf sprach sich Volker Beck in einer Pressmitteilung für das Schweizer Modell der Cannabisreform aus.

Volker Beck und Caspers-Merk debattieren Cannabisreform [CLN#41, 21.12.2001]

Wir begrüssen diese Initiativen und hoffen, dass die Grünen dem Thema in Zukunft wieder mehr Aufmerksamkeit schenken werden.


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