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Drogenpolitische Thesen/ Evang. Jugendarbeit (Michael Kleim)

Michael Kleim Talstraße 30 Gera 07545 Tel. 0365/ 26843

Überarbeitete Fassung vom 22.Oktober 1998

 

 

Obwohl Mißbrauch von Alkohol, Psychopharmaka und Schnüffelstoffen auch zu DDR-Zeiten verbreitet war, erlangte das Drogenthema erst nach der Wende allgemeines öffentliches Interesse. Dabei haben Bedrohungsängste und Klischeebilder eine überdimensionale Rolle gespielt. Indem sich Medien und Politik auf die illegalisierte Drogenszene fixieren, wurden und werden undifferenzierte Feindbilder gepflegt , Menschen stigmatisiert, die reale Suchtsituation in unserem Land verdrängt und die eigentlichen Suchtursachen aus den Blick verloren.

Zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften haben Menschen Mittel angewandt, welche das Bewußtsein verändern. Eine Lösung des Drogenproblems in dem Sinne, das die Drogen verschwinden werden, wird es nie geben. Wir müssen also lernen, mit diesem Phänomen umzugehen. Abstrakte Ideale wie eine allgemeine Abstinenz helfen nicht weiter. Vielmehr muß sich die Drogenpolitik am konkreten Menschen orientieren und sich nüchtern der Wirklichkeit stellen, wie sie ist...Die Liebe sucht den Menschen da auf, wo er ist; nicht da, wo sie ihn hin haben will.(Alfred Köbele).

Die folgenden Thesen orientieren sich an eigenen Erfahrungen und an den Vorschlägen des Deutschen Caritasverbandes(1993) sowie des Schweizerischen Evangelischen Kirchenrates(1995).

 

Mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch zugemessen werden. Matth.7/2

·       Das Drogenthema wird emotional sehr heftig diskutiert. Um so not-wendiger sind Sachlichkeit und die Fähigkeit zur Differenzierung. Nicht jeder, der illegale Substanzen gebraucht, wird abhängig oder ins Elend gestürzt. Die meisten Suchtkranken in unserem Land sind von legalen Mitteln oder Verhaltensweisen abhängig. Gerade bei Cannabis ist eine grundlegende Neubewertung längst überfällig.

Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein. Johannes 8/7

·       Gesellschaftliche und menschliche Probleme, dies haben wir in der DDR gründlich gelernt, können niemals durch Kriminalisierung, Polizei und Strafrecht gelöst werden .Im Gegenteil wird dadurch nur eine konsequente Auseinandersetzung mit den Ursachen blockiert und die Situation verschärft. Dies ist genau so bei der zur Zeit bestehenden Drogenpolitik zu beobachten. Die strafrechtliche Verfolgung von Drogengebrauchern hat zu deren Ausgrenzung und damit zu mehr Problemen und mehr Sucht geführt. Andererseits werden Möglichkeiten zur konkreten Hilfe verbaut.

Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan. Matt.25/40

·       Auch kirchliche Jugendarbeit muß sich mit der Tatsache auseinandersetzen, daß Drogengebrauch eine Realität darstellt. Sie sollte sich an die Seite dieser Jugendlichen begeben, ihnen Schutzraum, Begleitung und Hilfe bieten, einen Umgang der Akzeptanz und Schadensbegrenzung einüben, statt die gesellschaftliche Ausgrenzung mitzuvollziehen. Integration statt Abdrängung in eine unüberschaubare Szene sollte das Ziel sein. Dabei sollte sich kirchliche Jugendarbeit auch politisch engagieren.

·       Drogenpolitik sollte generell aus dem Bereich des Strafrechtes herausgenommen und konsequent in die Jugend-, Sozial- und Gesundheitspolitik eingebunden werden. Statt Drogenbekämpfung müßte Schadensminimierung und Suchtvorbeugung betrieben werden. Dies sollte sich auch in der Sprache von Drogenhilfe, Politik und Medien widerspiegeln.

 

 

Vorschläge für konkrete Schritte hin zu einer humanen Drogenpolitik:

 

I. Prävention

·       .Suchtprävention bleibt unverzichtbar. Um aber sinnvoll zu werden, darf diese nicht auf Substanzen starren, sondern muß sich an Suchtursachen orientieren. Die Aufklärung über Rauschmittel darf nicht dämonisieren, sondern muß in sachlicher und begründbarer Art und Weise erfolgen.

·       Prävention ist keine Propaganda! Apodiktische Kampagnen wie „Keine Macht den Drogen“ sind nicht nur teuer und nutzlos; langfristig stehen sie wirklicher Prävention sogar entgegen.

·       Die Jugendlichen sind keine Präventionsobjekte, sondern unser menschliches Gegenüber. Deshalb müssen diese auch spüren und erfahren, daß sie ernst genommen werden und sich selbst, ihre Sicht und Erfahrungen einbringen können. Prävention wird so zu einem wechselseitigen Prozeß, der immer wieder neu auf Gespräch und gegenseitigen Zuhören angewiesen ist.

·       Auch der Dialog mit drogengebrauchenden Menschen muß gesucht werden. Dafür braucht es angst- und repressionsfreie Räume sowie den Mut, Vorurteile hinter sich lassen zu können.

·       Prävention sollte von den drei Grundsäulen Vertrauen, Verständnis und Sachkompetenz getragen werden.

 

 

II. Politik

·       Entkriminalisierung der Drogengebraucher: Drogenkonsum und Kleinhandel dürfen nicht mehr bestraft werden. Der jetzige Paragraph 31a Betäubungsmittelgesetz muß umgehend als eine bindende Regelvorschrift angewendet werden; und dies nicht erst auf Ebene des Gerichtes, sondern schon im Verantwortungsbereich der Polizei

·       Cannabis: Die realen Risiken und Gefahren von Cannabis rechtfertigen keine strafrechtliche Verfolgung . Cannabis sollte schrittweise legalisiert werden.

·       Alkohol und Tabak: Gleichzeitig sollte ein bewußterer Umgang mit legalen Drogen in Angriff genommen werden. Eine Reduzierung der Tabak- und Alkoholwerbung, die Abschaffung des Automatenverkaufes von Tabakwaren und die Einschränkung der Verkaufsmöglichkeiten hochprozentiger Alkoholika (lizensierte Läden) weisen in eine solche Richtung.

·       Die Arbeit mit drogengebrauchenden Menschen muß unter mehr Rechtssicherheit gestellt werden. Razzien in Jugendeinrichtungen sind an dieser Stelle kontraproduktiv. Projekte, die bewußt niedrigschwellig und akzeptierend arbeiten, sollten von der Politik und Staatsanwaltschaft respektiert werden. Jugendarbeiter, die versuchen, drogengebrauchende Jugendliche zu integrieren, sollten unterstützt und nicht kriminalisiert werden. Der § 29 (1) 10 (Verschaffung einer Gelegenheit zum Drogengebrauch) sollte gestrichen oder aber konkretisiert werden, um der Jugend- und Drogenarbeit mehr Freiraum und Rechtssicherheit zu gewähren.

·       Drogen als Heilmittel : Die Bereitstellung von Mitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, für einen medizinischen Gebrauch muß erleichtert bzw. überhaupt ermöglicht werden. Dies betrifft insbesondere: eine Vereinfachung der Verschreibung von Opiaten an Schmerzpatienten, die Zulassung von Hanf als Heilmittel und die Verwendung von Halluzinogenen in der Psychotherapie. . Aus Solidarität mit den kranken Menschen sollten die Kirchen sich hier viel stärker einmischen als bisher. Ein Schweigen an dieser Stelle bedeutet Schuld. Nach ärztlichen Angaben sind neun von zehn Schmerzpatienten in Deutschland unterversorgt. Bis zu 3000 Suizide im Jahr sind die Folge. Es sind vor allem ideologische Vorurteile und bürokratische Hürden, die verhindern, daß diese leidenden Menschen die notwendige Hilfe erhalten.

 

 

Es gibt auch in der Drogenpolitik keinen Königsweg. Es braucht ein Miteinander unterschiedlichster Sichtweisen, Erfahrungen und Ansätze. Meinungsstreit ist notwendig - im Interesse der Menschen und der Demokratie.