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Brief von Marion Caspers-Merk (Mai 2004)
Siehe auch:
Sehr geehrter Herr ...,
Die Legalisierung von Cannabis ist seitens der Bundesregierung nicht
geplant. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach Artikel 4 Buchstabe c
des Einheitsübereinkommens über Suchtstoffe von 1961 verpflichtet, die
Verwendung von Suchtstoffen, einschließlich Cannabis, auf ausschließlich
medizinische oder wissenschaftliche Zwecke zu beschränken. Daneben
verlangt Artikel 3 Abs. 2 des Suchtstoffübereinkommens von 1988 von
allen Vertragsparteien , „vorbehaltlich ihrer Verfassungsgrundsätze und
der Grundzüge ihrer Rechtsordnung ... den Besitz, den Kauf oder den
Anbau von Suchtstoffen oder psychotropen Stoffen für den persönlichen
Verbrauch ... als Straftat zu umschreiben“. Der Verkehr mit Cannabis zu
anderen als medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken ist deshalb
nach dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verboten und strafbar. Ein
Ausschluss der Bestrafung konsumbezogener Verhaltensweisen bei geringen
Mengen von Suchtstoffen oder psychotropen Stoffen ist jedoch
völkerrechtlich zulässig und unter den Voraussetzungen des § 31 a BtMG
möglich.
Der Bundesregierung geht es bei der gesetzlichen Regelung des Umgangs
mit Cannabis letztlich darum, einen verfassungskonformen Ausgleich
zwischen dem erforderlichen Gesundheitsschutz für den Einzelnen und die
Allgemeinheit einerseits, sowie den Einschränkungen der persönlichen
Handlungsfreiheit infolge des strafbewehrten Cannabisverbots
andererseits, zu finden. Dies hat das
Bundesverfassungsverfassungsgericht in seiner bekannten
„Haschisch-Entscheidung“ vom 9. März 1994 1994 ausdrücklich anerkannt
und u.a. aus diesem Grund die Rechtmäßigkeit der Cannabisverbote bestätigt.
Als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes regte
die Bundesregierung seinerzeit bei den Landesjustizministerien die
Festlegung von einheitlichen Kriterien für die Einstellungspraxis nach §
31a BtMG, insbesondere die Bestimmung der „geringen Menge“ für den
Eigenkonsum von Cannabis im Sinne dieser Vorschrift, an. Es kam dann
zwar nicht zu einer ländereinheitlichen Festlegung, da die
Justizverwaltungen nach und nach in Einzelerlassen bzw. Richtlinien
unterschiedliche Kriterien und Mengen für die Anwendung des § 31a BtMG
festgelegt haben. Eine seinerzeit im Auftrag des Bundesministeriums für
Gesundheit im März 1997 vorgelegte rechtstatsächliche Untersuchung der
Kriminologischen Zentralstelle zum Thema „Die Rechtsgleichheit und
Rechtswirklichkeit bei der Strafverfolgung von Drogenkonsumenten“ (Nomos
Verlag, Baden-Baden) ergab jedoch, dass beim Umgang mit sog. weichen
Drogen, insbesondere Haschisch und Marihuana, hinsichtlich der Mengen,
bei denen die Vorschrift des § 31a BtMG regelmäßig zur Anwendung kommt,
bundesweit ein hohes Maß an Übereinstimmung in der strafrechtlichen
Praxis vorliege, so dass von einer im Wesentlichen einheitlichen
Rechtsprechung, die das Bundesverfassungsgericht gefordert hatte,
gesprochen werden könne.
Das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung hat im
Oktober 2002 beim Max-Planck-Institut für ausländisches und
internationales Strafrecht, Freiburg, ein weiteres Forschungsprojekt zu
dem Thema „Drogenkonsum und Strafverfolgungspraxis“ in Auftrag gegeben,
dass im Oktober 2004 abgeschlossen sein wird. Ziel des Vorhabens ist die
Aktualisierung der durch die Untersuchung der Kriminologischen
Zentralstelle aus dem Jahre 1997 gewonnenen Erkenntnisse über die
Einstellungspraxis nach § 31a BtMG und anderen Vorschriften in
ausgewählten Bundesländern. Gleichzeitig sollen die Auswirkungen
justizieller Sanktionen auf das Dogenkonsumverhalten untersucht werden.
Sollte sich aus diesen oder aus sonstigen Erkenntnissen ergeben, dass
die erforderliche Bundeseinheitlichkeit nicht mehr gewährleistet ist, so
wird die Bundesregierung mit den Ländern Kontakt aufnehmen und die
notwendigen Maßnahmen prüfen, um eine verfassungskonforme
Rechtsanwendung sicher- bzw. wiederherzustellen.
Die Bundesregierung nimmt im übrigen den jeweils neuesten Stand der
Forschung zum Anlass, mit allen Beteiligten in Gesellschaft und
Wissenschaft die Diskussion über die Entkriminalisierung bzw.
Entpönalisierung von - ggf. - nicht strafwürdigen Konsumentendelikten
weiterzuführen, wobei auch mögliche gesetzliche Änderungen grundsätzlich
nicht ausgeschlossen werden.
Allerdings hat keine der neueren Studien Cannabis eine
„Unbedenklichkeitsbescheinigung“ ausgestellt. Vielmehr wird auf eine
Reihe akuter und langfristiger Beeinträchtigungen durch
nichtmedizinischen Cannabiskonsum hingewiesen, die zwar normalerweise
gering, bei chronischem Dauerkonsum aber mit größeren Risiken, bis zur
psychischen Abhängigkeit, verbunden sind. Die Untersuchungen weisen auf
die „vielen Unbekannten“ hin und empfehlen weitere wissenschaftliche
Untersuchungen im Hinblick auf den Wirkmechanismus der Inhaltsstoffe von
Cannabis.
Die Bundesregierung sieht deshalb derzeit keine Veranlassung, übereilt
ein unbegrenztes Freigabesignal für eine berauschende Substanz zu geben.
Sie wird darin von der internationalen Gemeinschaft und der hierfür
zuständigen Weltgesundheitsorganisation bestärkt, die an dem
obligatorischen Cannabisverbot der Suchtstoffübereinkommen der Vereinten
Nationen festhalten wollen. Deutschland ist zur Umsetzung der
Übereinkommen vertraglich verpflichtet. Das gleiche gilt übrigens in den
Niederlanden, wo der Cannabiserwerb für den Eigenkonsum ebenfalls
gesetzlich nicht erlaubt ist, sondern lediglich in sehr engen Grenzen
geduldet wird.
Gerade dieser liberale Ansatz stößt EU-weit und auch innerhalb der
internationalen Gemeinschaft mehr und mehr auf Kritik. So scheiterten
Ende 2002 die seit Sommer 2001 laufenden EU-Verhandlungen zu einem
Rahmenbeschluss des Rates zur Festlegung von Mindestvorschriften über
die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich
des illegalen Drogenhandels allein an der Forderung der Niederlande, für
den Handel mit geringen Mengen von weniger gefährlichen („weichen“)
Drogen auch eine Mindesthöchststrafe von weniger als 1 bis 3 Jahren
vorsehen zu dürfen. Die übrigen Mitgliedstaaten sprachen sich gegen eine
entsprechende Ausnahmeregelung aus.
Auf der letzten Tagung der UN-Suchtsoffkommission im April dieses Jahres
wandten sich die USA, gefolgt von Japan, Italien, Schweden und Dänemark,
ebenso wie die geschlossenen Gruppen der afrikanischen und
lateinamerikanischen Staaten vehement gegen alle Tendenzen der
Legalisierung, Entkriminalisierung und Liberalisierung, insbesondere im
Hinblick auf Cannabis. Dabei wurde die Debatte über nachgiebige oder
harte Drogenpolitik viel heftiger und emotionaler geführt als in den
Vorjahren. Insgesamt war bei den drogenpolitischen Grundsatzfragen eine
deutliche Rückwärtsbewegung im Vergleich zu den letzten Jahren zu
beobachten.
Als weitere und aktuelle Lektüre zu diesem Thema habe ich Ihnen den
aktuellen Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung vom April 2004
angehängt.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Marion Caspers-Merk
Unsere Stellungnahme zum aktuellen Schreiben:
Ein Textvergleich mit der Vorgängerfassung dieses Schreibens vom Herbst 2003 zeigt, dass von "Die Legalisierung von Cannabis ist seitens ..." bis "...eine deutliche Rückwärtsbewegung im Vergleich zu den letzten Jahren zu beobachten." Wort für Wort alles identisch ist.
Zum Inhalt:
- Das Einheitsübereinkommen von 1961 (siehe Cannabisverbot und UN-Drogenabkommen) schreibt kein generelles Verbot von Cannabis vor. Es lässt z.B. sogar ausdrücklich den Anbau von Cannabis als Zierpflanze zu.
- Das Bundesverfassungsgericht erklärte zwar das Cannabisverbot nicht für grundgesetzwidrig, schrieb aber eine "im wesentlichen einheitliche" Rechtspraxis bei der straflosen Einstellung vor, die auch 10 Jahre später noch nicht existiert. Es forderte den Gesetzgeber auf, die Notwendigkeit und Eignung des Verbots anhand neuerer Erkenntnisse regelmäßig zu überprüfen. In der Folge zeigten Studien, dass die negativen Konsequenzen des Konsums sowie der praktische Nutzen des Verbots allgemein überschätzt werden.
- Sollte die im Oktober 2004 erwartete MPI-Studie bestätigen, dass erhebliche Ungleichheiten bei der Rechtspraxis verbleiben und dass Sanktionierungspraxis und Konsumverhalten in keinem konsistenten Zusammenhang stehen, dann ist sehr gut möglich, dass sich das Bundesverfassungsgericht erneut mit der Verfassungskonformität des Cannabisverbots befassen und die Politiker unter Zugzwang setzen wird.
- Weil Cannabis nicht harmlos ist, muss der Staat auf glaubwürdige Aufklärung der Konsumenten und wirksamen Jugendschutz achten. Unter den Bedingungen der Repression und des Schwarzmarkts ist beides jedoch nur eingeschränkt möglich. Tabus und Schwarzmärkte verhindern wirksamen Verbraucherschutz.
- Die UN-Drogenabkommen erweisen sich zunehmend als Hindernis auf dem Weg zu einer pragmatischeren Drogenpolitik. Kommissionen des britischen Unterhauses und des kanadischen Senats haben deshalb angeregt, über eine Überarbeitung oder einen gar Austritt aus diesen Abkommen nachzudenken. Auch Deutschland könnte diesen Weg gehen. Die Drogenabkommen aus der Zeit vor und nach dem zweiten Weltkrieg sind keine Einbahnstrasse.
- Frau Caspers-Merk schreibt von gescheiterten Verhandlungen über Mindeststrafen. Weil sie von ihrem Brief vom Herbst abschrieb, übersah sie die im Dezember 2003 erfolgte Einigung der EU-Staaten auf einen Kompromiss. Dieser erforderte zwar eine Anhebung der Höchststrafen in den Niederlanden, erzwingt aber keine Auslieferung von Coffeeshopbetreibern in andere EU-Staaten aufgrund geduldeter Cannabisverkäufe. Dass hier soviel Druck auf die Niederlande ausgeübt wurde, ist vor allem Frankreich und Schweden zuzuschreiben. Interessanterweise hat Frankreich selbst mit seiner intoleranten Cannabispolitik eine der höchsten Konsumraten bei Jugendlichen (siehe CLN#153, 16.04.2004) und Schweden beklagt eine mehrfach höhere Drogensterblichkeit als die Niederlande (CLN#146, 20.02.2004)
.
- Wenn Frau Caspers-Merk in Mai 2004 von der "letzten Tagung der UN-Suchtsoffkommission im April dieses Jahres" schreibt, übernimmt sie Wort für Wort ihr Schreiben vom Herbst 2003, obwohl seitdem eine weitere Jahressitzung stattgefunden hat. Nicht einmal den Tippfehler "UN-Suchtsoffkommission" hat sie ausgebessert. Tatsächlich kann aber von einer internationalen "Rückwärtsbewegung" keine Rede sein. Grossbritannien hat erst im Januar Cannabis in die am wenigsten restriktive Kategorie des britischen Drogengesetzes eingestuft. Belgien hat im vorigen Jahr geringe Mengen straffrei gestellt (siehe CLN#143, 30.01.2004). Von Kanada über die Schweiz bis Westaustralien (CLN#151) werden weiterhin Schritte zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten unternommen.
- Dass die Vertreter von arabischen und afrikanischen Ländern in UN-Gremien weiterhin gegen mehr Toleranz gegenüber Cannabiskonsumenten sind, ist vor allem Ausdruck einer schwachen Verankerung von Menschenrechten und individueller Freiheiten in vielen dieser Länder (was sich z.B. auch in der Diskriminierung gegen Frauen, Homosexuelle oder religiöse Minderheiten äussert). Was Grundrechte angeht, sind Iran, Saudi-Arabien, Ägypten oder Nigeria nicht gerade die leuchtendsten Vorbilder, die die Bundesregierung finden könnte. Statt in die Ferne zu schweifen, hätte sich Frau Caspers-Merk besser an ihrem Amtssitz in Berlin umhören sollen, wo das Abgeordnetenhaus unlängst eine Anhebung der "geringen Menge" auf bis zu 30g Cannabis beschloß. (siehe CLN#155, 01.05.2004)
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