Berlin, den 15.04.2003
Caspers-Merk: Internationale Drogenpolitik muss ausgewogen, realistisch und flexibel sein
Anlässlich ihrer Teilnahme an der 46. UN-Suchtstoffkommission, die vom 8. bis 17. April 2003 in Wien stattfindet und auf der eine Halbzeitbilanz der Drogenaktionsprogramme der Vereinten Nationen von 1998 gezogen wird, erklärt die Parlamentarische Staatssekretärin und Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marion Caspers-Merk:
Wir müssen heute realistischerweise eingestehen, dass das globale Ziel der Vereinten Nationen von 1998, bis zum Jahre 2008 eine drogenfreie Welt zu schaffen, nicht erreicht werden kann. Es ist aber nach wie vor wichtig, sich diese Ziele zu setzen. Denn die Politik braucht manchmal Visionen, auch und gerade in der Drogenpolitik.
“Es kommt jetzt darauf an, dass wir anspruchsvolle Ziele mit realistischen Schritten kombinieren. Den grundsätzlichen Ansatz der Vereinten Nationen halte ich nach wie vor für richtig, auf ein internationales Netzwerk der Zusammenarbeit bei der Reduzierung von Drogen- und Suchtproblemen zu setzen. Es geht um einen integrierten und ausgewogenen Ansatz, der das Drogenproblem auf der Angebots- und auf der Nachfrageseite erfasst. Dennoch konnte der Anbau von Drogenpflanzen in den letzen fünf Jahren nicht im erhofften Umfang reduziert werden. Stattdessen gibt es in den Anbauregionen selbst zunehmend wachsende Drogenprobleme. Deshalb stellen sich aus meiner Sicht für die Konferenz fünf zentrale Aufgaben:
- Die Aktionsprogramme müssen in Zukunft flexibler auf neue Konsummuster reagieren.
- Von den UN-Kontrollbehörden muss mehr Verständnis für innovative Ansätze der Prävention und Hilfen erwartet werden, die sich in den Mitgliedstaaten bewährt haben.
- Wir brauchen einen “ausgewogenen Ansatz”, nicht nur Programme zur Angebotsreduzierung, die zudem noch weitgehend auf Erntevernichtungsprogramme zugeschnitten sind, sondern auch Präventions- und Behandlungsprogramme, gerade auch in den Anbauländern.
- Wir brauchen eine größere Flexibilität innerhalb der internationalen Verträge und bei der Umsetzung der Aktionsprogramme, d.h. dass die Zielsetzungen realistischer werden müssen. Die internationalen Suchtstoffkontrollbehörden müssen die Souveränität der Mitgliedstaaten stärker beachten und bei ihrer Arbeit mehr Wert auf Kooperation legen.
- Wir brauchen aber keine neuen Verträge, denn die bestehenden bieten genügend Spielraum für einen umfassenden Ansatz zur Reduzierung drogenbezogener Probleme, einschließlich von Maßnahmen der Schadensreduzierung.
Diesen Ansatz verfolgen wir in Deutschland auch auf der nationalen Ebene. Der gerade in der Abstimmung befindliche “Aktionsplan Drogen und Sucht” ist einem integrierten und ausgewogenen Ansatz verpflichtet. Dieser Aktionsplan beruht auf den vier Säulen: Prävention, Behandlung, Überlebenshilfen, Repressi-on/Angebotsreduzierung. Der Aktionsplan befasst sich nicht nur mit den illegalen Drogen, sondern richtet seine Aufmerksamkeit auch auf die legalen psychoaktiven Substanzen wie Tabak und Alkohol, die erhebliche gesundheitliche, geistige und soziale Schäden hervorrufen.
International geht es nicht darum, neue Ziele zu definieren oder eine völlig neue Drogenpolitik zu entwerfen, sondern die vorgegebenen Ziele beharrlich zu verfolgen. Die drei internationalen Suchtstoff-Konventionen stellen auch heute noch grundsätzlich eine geeignete Basis für eine moderne Drogenpolitik dar, obwohl sie teilweise schon über 40 Jahre alt sind und - drogenpolitisch betrachtet - aus einer völlig anderen Epoche stammen. Allerdings enthalten sie sehr unterschiedliche Verpflichtungen für die Staaten, die teilweise in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen: so steht z. B. neben der Verpflichtung, drogenbezogene Handlungen unter Strafe zu stellen, auch diejenige, alle praktikablen Maßnahmen zu ergreifen, um den Drogenmissbrauch zu verhüten, frühzeitig Drogenprobleme zu erkennen und drogenabhängige Menschen angemessen zu behandeln und ihnen eine soziale Wiedereingliederung zu ermöglichen.
Bei der Verwirklichung dieser Verpflichtungen kann es auch zu Zielkonflikten kommen. Die Konventionen bieten aber genügend Flexibilität, diese Spannung auszugleichen: Sie stellen viele dieser Verpflichtungen unter einen nationalen Verfassungs- oder Gesetzesvorbehalt. Und sie deuten selbst die Lösung von etwaigen Zielkonflikten an, indem sie beispielsweise auch schon den Grundsatz “Therapie statt Strafe” festschreiben. Deshalb ist die Bundesregierung überzeugt, dass es keiner grundlegenden Änderungen der internationalen Drogenkonventionen bedarf, sondern allenfalls gewisser Klarstellungen an den Punkten, die heute von den Beteiligten unterschiedlich interpretiert werden. So sind die in Deutschland eingerichteten Drogenkonsumräume nach Auffassung der Bundesregierung in vollem Einklang mit den internationalen Suchtstoffübereinkommen. Es handelt sich um Maßnahmen, die nicht das Ziel haben, den Drogenkonsum zu fördern, sondern schwerstabhängigen Menschen, die keine anderen Angebote zum Ausstieg aus der Sucht annehmen, Überlebenshilfe anzubieten und sie an das Hilfesystem heranzuführen. Sie tragen erfolgreich dazu bei, den Drogentod und lebensbedrohliche Infektionen, wie Hepatitis und HIV, zu verhindern und weitergehende Hilfen, wie eine Substitutionsbehandlung, in Anspruch zu nehmen.”