Cannabislegalisierung in Deutschland!
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Briefwechsel: Konrad Freiberg (Gewerkschaft der Polizei)

1) Email an Konrad Freiberg (Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei)

Sehr geehrter Herr Freiberg,

laut Presseberichten nannten Sie den Vorstoss der Berliner Grünen und der FDP, die Obergrenze der "geringen Menge" anzuheben und die Abgabe von Cannabis in Fachgeschäften als Modellversuch zu erproben, ein "falsches Signal". Damit würden "kostspielige[n] Aufklärungsaktionen für ein drogenfreies Leben (...) ad absurdum geführt".

Ein drogenfreies Leben ist individuell durchaus möglich, ist aber weit von vorherrschenden gesellschaftlichen Normen entfernt. So hatten laut einer Studie im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums im Jahre 2000 etwa 94,5% der Erwachsenen zwischen 18 und 59 Jahren innerhalb der letzten 12 Monate Alkohol konsumiert. Das heisst konkret, dass nur etwa 2,6 Millionen Angehörige dieser Altersgruppe auf die Droge Alkohol gänzlich verzichten. Berücksichtigt man auch Koffein und Arzneimittel, dann dürfte der Anteil der wirklich "drogenfrei" lebenden Erwachsenen noch weit geringer ausfallen. Eine Forderung nach einem drogenfreien Leben mag daher beim Einzelnen auf Zustimmung stossen, geht im grossen und ganzen aber an der bestehenden gesellschaftlichen Realität vorbei. Wie glaubwürdig ist eine strikte Abstinenzforderung bei Drogen an andere, wenn sie von Menschen erhoben wird, bei denen der Konsum riskanter Drogen wie Alkohol und Nikotin zum persönlichen Alltag gehört?

Was "kostspielige" Öffentlichkeitsarbeit angeht, sind die Waagschalen derzeit sehr ungleich besetzt. Während Bund, Länder und Gemeinden insgesamt weniger als 50 Cent pro Einwohner pro Jahr für Drogen- und Suchtprävention bei legalen und illegalen Suchtmitteln ausgeben, bewirbt die Alkohol- und Tabakindustrie zwei der meistverbreiteten Suchtmittel und "Einstiegsdrogen" mit 550 bzw. 330 Millionen Euro pro Jahr. Damit kommen auf jeden Drogenwerbungs-Euro ganze 5 Drogenpräventions-Cents.

Wir finden, eine erfolgreiche Politik muss sich an der gesellschaftlichen Realität orientieren. Cannabis ist schon lange keine neue, "zusätzliche" Droge mehr. Der frühere Konsens für Repression gegen Konsumenten ist schon vor Jahrzehnten unwiderbringlich zerbrochen. Das Strafrecht hat die stete Zunahme des Konsums in Deutschland in den letzten Jahren - auch in den neuen Bundesländern mit ihrer besonders repressiven Drogenpolitik - nicht aufhalten können.

Drei Jahrzehnte nach der Verabschiedung des Betäubungsmittelgesetzes von 1972 ist Cannabiskonsum in Deutschland laut offiziellen Studien nicht weniger verbreitet als in den Niederlanden, wo der Konsum und der staatlich überwachte Einzelhandel seit über einem Vierteljahrhundert toleriert werden. Das gilt auch und gerade bei Jugendlichen.

Heute konsumieren über drei Millionen Deutsche Cannabis. Das heisst, der Staat kriminalisiert mit dem bestehenden Verbot etwa soviele Menschen, wie bei der letzten Bundestagswahl CSU wählten - ohne jeden vorzeigbaren Nutzen. Staatliche Mittel, die in Grundrechte eingreifen, sind nach dem Verhältnismässigkeitsgebot des Grundgesetzes nur dann zulässig, wenn sie sowohl notwendig als auch geeignet sind. Nach aktuellen Erkenntnissen erfüllt das Verbot beide Anforderungen nicht.

Die Repression gegen Cannabiskonsumenten verschlingt bei Polizei und Justiz mittlerweile beträchtliche finanzielle und personelle Mittel. Es kann nicht im Interesse der Bürger unseres Landes sein, dass mutmassliche Bankräuber und Mörder aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil wegen der Überlastung der Justiz kein rechtzeitiger Verhandlungstermin möglich ist, während andererseits weiterhin gegen eine sechsstellige Zahl von Cannabiskonsumenten pro Jahr strafrechtlich ermittelt werden muss.

Gleichzeitig verhindert das strafrechtliche Verbot wirksame Alterskontrollen beim Verkauf, glaubwürdige Aufklärung der Konsumenten und eine Besteuerung, mit der besonders in dieser Zeit knapper öffentlicher Kassen wirksamere Präventionsmassnahmen finanziert werden könnten. Bei einer sehr vorsichtigen Schätzung mit Cannabisverkäufen von 500 Millionen Euro pro Jahr brächte allein die Erhebung von Mehrwertsteuer auf Cannabis dem Staat 80 Millionen Euro pro Jahr, genug um die Mittel für Suchtvorbeugung ohne zusätzliche Belastung von Nichtkonsumenten zu verdreifachen.

Der Vorschlag des stellvertretenden Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut im vergangenen Jahr, Cannabis in Apotheken kontrolliert an Erwachsene abzugeben, wäre ein Schritt in die richtige Richtung.

Mit freundlichen Grüßen

Joe Wein

Sprecher, Verein für Drogenpolitik e.V.


2)Brief von Konrad Freiberg (Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei)

Berlin, 13. Oktober 2003
Abgabe von Cannabis


Sehr geehrter Herr Wein,

ich bedanke mich für Ihre Mail vom 30. September 2003. Ich will Ihnen gerne unsere Gründe nennen, weshalb wir als GdP gegen einen freien Verkauf von Cannabis sind.

Von einem drogenfreien Leben redet niemand. Das Problem stellt sich aus unserer Sicht anders: Gerade weil wir mit Alkohol und Nikotin schon genug Probleme haben,
brauchen wir nicht unbedingt noch ein weiteres.

Mit dem Argument der "gesellschaftlichen Realität" zu operieren, ist gefährlich. Beispielsweise sind bestimmte Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung wie z.B. zu schnelles Fahren "gesellschaftliche Realität" und somit weit verbreitet, doch gibt es keine ernst zu nehmende Diskussionen zur Abschaffung von Geschwindigkeitsbegrenzungen. Ähnlich verhält es sich mit anderen Themen: auch der Ladendiebstahl ist weit verbreitet. Wollen wir dem Thema ausweichen, indem wir es "entkriminalisieren"?

Das Verhältnismäßigkeitsgebot des Grundgesetzes setzt im Übrigen nicht bei der Strafbarkeit als solcher an, sondern dort, wo es um deren Durchsetzung geht, und zwar auch nur in Bezug auf das "Wie", nicht aber grundsätzlich auf das "Ob".

Die Äußerung meines Kollegen Bernhard Witthaut, auf die Sie sich beziehen, war eine persönliche Sichtweise, die jedem unbenommen ist. Die Beschlusslage der GdP ist völlig eindeutig: Wir sind gegen eine Freigabe.

Mit freundlichen Grüßen

Konrad Freiberg


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