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Briefwechsel: Mechthild Dyckmans, Drogenbeauftragte der Bundesregierung
Brief an Mechthild Dyckmans, Drogenbeauftragte der Bundesregierung
From: Joe Wein <joewein@pobox.com>
To: Mechthild Dyckmans <mechthild.dyckmans@bundestag.de>
Sent: Dienstag, 15.12.2009
Subject: Cannabisverbot und Konsumverbreitung
Sehr geehrte Frau Dyckmans,
mein Glückwünsch zu Ihrem Amtsantritt als Drogenbeauftragte der
Bundesregierung.
In Ihrer Antwort auf die Frage von Uwe Amerkamp auf Abgeordnetenwatch.de zu
der relativ niedrigen Cannabiskonsumrate in den Niederlanden schreiben Sie:
Die von Ihnen angeführte Zahl von 5,4% erwachsenen Konsumenten von Cannabis
in den Niederlanden - bei der Sie offen lassen, auf welche Altersgruppe Sie
sich genau bzw. auf welches Jahr Sie sich beziehen - ist in dem von Ihnen
als Quelle genannten Jahresbericht der Europäischen Drogenbeobachtungsstelle
2009 nicht enthalten. Die von Ihnen genannte Vergleichszahl von 6,8% bezieht
sich entweder auf den Konsum in den letzten 12 Monaten in allen
Altersgruppen, oder auf den Konsum von Cannabis in den letzten 30 Tagen in
der Altersgruppe 15 bis 34 Jahre.
Ich fand die entsprechenden Daten nach kurzer Suche. In der deutschen
Fassung des EBDD-Jahresberichts 2009 steht:
Viele Länder berichten über relativ hohe 12-Monats- und
30-Tage-Prävalenzraten des Cannabiskonsums.
Schätzungen zufolge haben etwa 22,5 Millionen
Europäer in den letzten zwölf Monaten Cannabis
konsumiert, das entspricht durchschnittlich 6,8 % der
Bevölkerung im Alter zwischen 15 und 64 Jahren.
("Stand der Drogenproblematik in Europa", S. 45)
Das also waren die 6,8% europaweit. Die erwähnten 5.4% in den Niederlanden
(selbe Altersgruppe und Konsumfrequenz) sind hier zu finden:
"Table GPS-3. Last year prevalence of drug use among all adults (aged 15 to
64 years) in nationwide surveys among the general population"
Netherlands
National 2005 (3) 15-64 4516 5.4
http://www.emcdda.europa.eu/stats09/gpstab3
Demnach hatten also die Niederlande im Jahre 2005 eine Jahresprävalenz des
Cannabiskonsums in der Bevölkerung zwischen 15 und 64 Jahren von 5,4%
während laut des EBDD-Berichts der entsprechende europäische
Durchschnittswert bei 6,8% lag.
Wie immer man diese Zahlen erklären mag, die Duldung des Besitzes geringer
Mengen von Cannabis sowie des Einzelhandels mit Cannabis in sogenannten
Coffeeshops in den Niederlanden scheint zu keinem erhöhten Konsum im
Vergleich zu deutlich repressiveren Regelungen in anderen Ländern geführt zu
haben.
Juristisch ist das sehr bedeutungsvoll. Das Bundesverfassungsgericht hat
1994 in seiner vielbeachteten Cannabis-Entscheidung festgestellt, dass dem
Gesetzgeber bei der Bekämpfung des Cannabiskonsums durch das
Verhältnismässigkeitsgebot des Grundgesetzes Schranken gesetzt sind. Laut
der Entscheidung von 1994 ist das Cannabisverbot nur dann verfassungskonform
wenn es
- geeignet ist, die Ziele des Gesetzes (Verminderung von Schäden) zu
fördern,
- das am wenigsten schädliche, wirksame Mittel zum Zweck ist.
Der Gesetzgeber wurde in der Entscheidung dazu verpflichtet, das Gesetz zu
überprüfen. Er muss dabei Erfahrungen aus dem Ausland und neuere
wissenschaftliche Erkenntnisse berücksichtigen. Aufgrund der
wissenschaftlichen Studien der letzten 15 Jahre ist inzwischen sehr
fraglich, ob diese beiden Bedingungen erfüllt sind.
Die Kleiber/Kovar-Expertise für das Bundesgesundheitsministerium, die
aufgrund der Cannabisentscheidung vom damaligen Bundesgesundheitsminister
Seehofer in Auftrag gegeben worden war, hat gezeigt, dass die Risiken von
Cannabiskonsum geringer sind als bisher noch allgemein angenommen wird. Die
Kleiber/Soellner-Studie zeigte, dass nur eine relativ kleine Minderheit der
Konsumenten (2-8%) psychisch abhängig ist und dass es unter langjährigen
Konsumenten sogar weniger Probleme gibt als unter Konsumenten die erst seit
kürzerer Zeit Cannabis verwenden.
Ein strafrechtliches Verbot wäre als konsumminimierendes Mittel plausibel,
wenn die Konsumraten in Europa insgesamt wesentlich niedriger lägen als in
den toleranteren Niederlanden. Das ist jedoch nach den Zahlen der EBDD nicht
der Fall, siehe oben. Die EBDD-Zahlen sind kein Einzelfall. Auch die Studie
des Schweizer Suchthilfeverbands SFA vom Februar 2001 ist hierzu
interessant, zeigt sie doch, dass es in der repressiven Westschweiz
(Romandie) prozentual nicht weniger sondern mehr Cannabiskonsumenten gibt
als in der toleranteren Deutschschweiz oder im Tessin und gleichzeitig ein
grösserer Anteil der Cannabiskonsumenten in der Westschweiz psychische und
soziale Probleme hat.
Dass die Cannabisprohibition geeignet wäre, Schäden zu minimieren, ist
empirisch nicht zu belegen, weshalb auch die SFA für eine
Entkriminalisierung eintritt.
Dass Cannabis nicht harmlos ist, sei unbestritten. Das ist aber für sich
noch kein Grund, Konsumenten mit Strafe zu bedrohen. Um Probleme zu
minimieren, müsste die Strafandrohung problematischen Konsum in stärkerem
Masse reduzieren, als die strafrechtliche Durchsetzung des Verbots zwecks
Abschreckung selbst an Problemen produziert. Wenn jedoch keine
konsumminimierende Wirkung nachweisbar ist, geschweige denn eine insgesamt
problemminimierende Wirkung, dann ist die Cannabisprobhibition weder ein
geeignetes noch ein nötiges Mittel. Damit ist keine der beiden Bedingungen
erfüllt, die Voraussetzung sind, damit ein in Artikel 2 Absatz 2 des
Grundgesetzes eingreifendes Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Eine repressive Cannabispolitik kann weder weniger Konsum noch weniger
Probleme erzielen als eine auf Prävention und Schadensminimierung basierende
Politik. Ich bitte Sie, mir als Juristin zu erklären, wie ein letztlich
unwirksames, aber erheblich in Grundrechte eingreifendes Gesetz, das
jährlich eine sechsstellige Zahl von Mitmenschen kriminalisiert und Kosten
von Hunderten von Millionen Euro pro Jahr verursacht, mit dem Grundgesetz
vereinbar sein soll. Eine Reform ist längst überfällig.
Mit freundlichen Grüßen
Joe Wein
(Mitglied im Verein für Drogenpolitik e.V.)
[Anschrift]
Leider erreichte uns bisher keine Antwort von Frau Dyckmans auf diesen Brief.
Hier ist eine Antwort von Frau Dyckmans auf eine andere Anfrage auf Abgeordnetenwatch, vom 24.02.2010 auf eine Anfrage zu einer ähnlichen Fragenstellung:
Anfrage von Christoph Wander vom 01.02.2010:
Hallo Frau Dyckmans,
meine Fragen möchte ich mit einem Zitat aus dem sicher auch Ihnen bekannten "Cannabis-Urteil" des BVerfG beginnen:
"Angesichts der dargestellten offenen kriminalpolitischen und wissenschaftlichen Diskussion über die vom Cannabiskonsum ausgehenden Gefahren und den richtigen Weg ihrer Bekämpfung (vgl. oben I. 2. c) und 4.) hat der Gesetzgeber die Auswirkungen des geltenden Rechts unter Einschluß der Erfahrungen des Auslandes zu beobachten und zu überprüfen. Dabei wird er insbesondere einzuschätzen haben, ob und inwieweit die Freigabe von Cannabis zu einer Trennung der Drogenmärkte führen und damit zur Eindämmung des Betäubungsmittelkonsums insgesamt beitragen kann oder ob umgekehrt nur die strafbewehrte Gegenwehr gegen den Drogenmarkt insgesamt und die sie bestimmende organisierte Kriminalität hinreichenden Erfolg verspricht."
Wie Sie sicher wissen ist die verfassungsgemäße Aufrechterhaltung des Cannabisverbotes laut Verfassungsgericht an folgende Bedingungen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes geknüpft: "Nach diesem Grundsatz muß ein grundrechtseinschränkendes Gesetz geeignet und erforderlich sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Ein Gesetz ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der erstrebte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können"
Hier nun meine Fragen:
- Können Sie Untersuchungen und Studien nennen die im Sinne des oben Zitierten an den Gesetzgeber ergangenem Prüfungsauftrag verfertigt wurden.?
- Inwieweit wird Erfahrungen aus dem Ausland Rechnung getragen - Stichwort Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum und Strafverfolgung?
- Wie verbinden Sie die von Ihnen geforderte "Unbedenklichkkeitsbescheinigung" mit der Frage der Verhältnismässigkeit?
- Ist Ihnen bekannt daß auch die Erfüllung von Suchtstoffabkommen an den Verfassungsvorbehalt geknüpft ist?
MfG
Christoph Wander
Antwort von Mechthild Dyckmans:
Sehr geehrter Herr Wander,
vielen Dank für Ihre Frage.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der von Ihnen angeführten Cannabisentscheidung klar festgestellt, dass das Verbot des Handels, des Anbaus, der Abgabe und des Erwerbs von Cannabis durch die angestrebten Zwecke gerechtfertigt, also verhältnismäßig, ist. Durch das Verbot soll die Bevölkerung, vor allem Jugendliche, vor den von Cannabis ausgehenden Gesundheitsgefahren sowie vor der Gefahr einer psychischen Abhängigkeit geschützt werden. Diese wichtigen Gemeinschaftsbelange gehen dem individuellen Interesse an einer Freigabe des Umgangs mit der Droge vor.
Die internationale Gemeinschaft ist sich nach wie vor darin einig, dass dem Cannabiskonsum wirksam begegnet werden muss, und dass dies durch ein Verbot von Cannabis wirkungsvoller erreicht werden kann als durch eine Legalisierung. Daher ist Cannabis auch in den von Cannabisbefürwortern herangezogenen Beispielen Niederlande oder Tschechien nach wie vor grundsätzlich illegal, wenn auch der Gebrauch in geringem Umfang toleriert wird.
Auch in Deutschland besteht die Möglichkeit, von einer Strafverfolgung abzusehen, wenn eine geringe Schuld vorliegt und kein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung besteht. Damit wurde das Übermaßverbot des Grundgesetzes vom Gesetzgeber zusätzlich berücksichtigt und sichergestellt, dass die individuellen Freiheiten der Konsumenten noch besser geschützt werden.
Selbstverständlich werden die Erfahrungen anderer Staaten mit dem Cannabisverbot und seine Auswirkungen auf den Drogenmarkt und die organisierte Kriminalität vom Gesetzgeber sorgfältig beobachtet. Wie z.B. die umfangreiche Studie von Schäfer und Paoli (2006) zur Strafverfolgungspraxis bei Drogenkonsum zeigt, werden in der Praxis eine große Zahl von eingeleiteten Strafverfahren auf Grund des §31a BtMG eingestellt.
Es ist problematisch, die Diskussion um die Strafverfolgung einseitig auf Nachteile für Einzelne zu reduzieren und darüber die durch die organisierte Kriminalität verursachten Schäden zu vergessen. Auch die Strafverfolgung des Drogenhandels hat letztlich zum Ziel, die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen zu schützen.
Eine Legalisierung von Cannabis kann nicht die Lösung aller mit der Existenz der Drogenkriminalität verbundenen Probleme sein. Genauso wie eine extrem repressive Drogenkontrolle schädliche Auswirkungen haben kann, kann auch die Abwesenheit von Kontrollen negative Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben. Eine verantwortungsvolle Drogenpolitik berücksichtigt beide Aspekte und versucht, einen optimalen Ausgleich zwischen dem Schutz der Rechte des Einzelnen und dem öffentlichen Interesse an einem Schutz vor organisierter Kriminalität zu finden.
Ich finde, dies ist in Deutschland bisher recht gut gelungen.
Mit freundlichen Grüßen
Mechthild Dyckmans
Frau Mechthild Dyckmans und die Cannabisreform
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